God save the King!» tönt es am Samstag in der Londoner Westminster Abbey aus vielen Mündern. Charles (74) wird acht Monate nach seiner Proklamation zum Regenten im September 2022 endlich zum neuen König Charles III. gekrönt. Nach dem Tod seiner Mutter, Queen Elizabeth II., hält er in Zukunft die Zügel der Monarchie in den Händen. Der schrullige Alte, den manche lange Zeit in ihm gesehen haben, gilt vielen plötzlich als weiser Erneuerer. Nach sieben Jahrzehnten des Wartens hat der Monarch jetzt die Aufgabe seines Lebens – und kann dafür auf seine vielen Rollen und Facetten zurückgreifen.
Als Charles Philip Arthur George Mountbatten-Windsor am 14. November 1948, spätabends um 21.14 Uhr im Buckingham-Palast in London geboren wird, liegt die Bestimmung des per Kaiserschnitt auf die Welt geholten Drei-Kilo-Prinzen bereits in dessen Wiege: Er wird dereinst König von Grossbritannien. Bis er aber offiziell als King Charles III. ausgerufen wird, muss sich der «ewige Thronfolger» 73 Jahre in Geduld üben. Kein Monarch vor ihm war bei der Amtsübernahme so alt.
Während seiner Schulzeit im Internat in Gordonstoun wird Charles gemobbt, geschlagen und an den Ohren gezogen. Mitschüler rufen ihn «Fatty», weil er pummelig ist. «Wir waren stolz, dass es uns gelungen war, Englands künftigem König eins mitzugeben», erinnert sich ein ehemaliger Mitschüler. Und Charles? «Er hats einfach hingenommen, er hat so weitergemacht – und ich denke, dass Gordonstoun ihm wohl mehr Rückgrat verschafft hat.»
Als leidenschaftlicher Gärtner verriet Charles einst, dass er mit Pflanzen spreche – und wurde dafür verspottet. Längst stossen seine Ansichten zu Umweltschutz und Ökolandwirtschaft aber auf Zustimmung. Sein Bio-Label Duchy Originals spült Charles seit Jahrzehnten ordentlich Geld in die Kasse. Mehrfach wird der Royal für sein Umweltengagement international ausgezeichnet. Besonders freut ihn, als er 2012 wegen seines Einsatzes für den Regenwald geehrt und ein seltener Frosch in Ecuador nach ihm benannt wird: Hyloscirtus princecharlesi.
Charles malt gern Aquarelle, verkauft Lithografien für wohltätige Zwecke. Eines seiner Werke, mit «Charles 2001» signiert, zeigt ein Idyll im schottischen Balmoral: Wolkenhimmel, Schloss, sanfte Hügel, zwei Wege. An einer Versteigerung des renommierten Londoner Kunstauktionshauses Bonhams erzielt es 6500 Franken. Ein Foto von 1994 zeigt den König selbstvergessen beim Malen in Klosters GR. «Eine entspannende und therapeutisch wirksame Übung.» Ein Alpenbild von Charles nutzt die Region Davos-Klosters 1997 als Sujet für den Skipass. Wasserfarben bevorzugt er, da sie schneller trocknen als Ölfarben; so müsse sein Bodyguard nicht allzu lang mit ihm draussen stehen und warten. Die Rücksichtnahme sagt auch einiges über Charles’ Umgang mit Angestellten aus.
Auch das Kinderbuch «The Old Man of Lochnagar» hat Charles geschrieben – es geht darin um einen Eigenbrötler, der in einer Höhle in der Nähe des königlichen Schlosses Balmoral lebt. «Je älter ich werde, desto einsamer bin ich», sagt Charles einmal im Interview. Nebst Malen und Schreiben liebt er die Musik, spielt Klavier, Trompete, Cello.
Bereits 1976 gründet er The Prince’s Trust, verhilft seither einer Million junger Menschen zu einer Ausbildung oder Arbeit. So startet etwa Schauspieler Idris Elba (50) dank einem Stipendium von Charles seine Karriere. Der Royal distanziert sich mit Engagement für soziale Randgruppen in den 1980er-Jahren von der Politik der «Eisernen Lady», Margaret Thatcher. Über ein Dutzend Hilfswerke ruft er ins Leben, leiht seinen Namen 600 Projekten, sammelt jährlich Spenden von 100 Millionen Franken ein.
Trotz engem Terminplan nimmt sich Charles III. Zeit fürs Volk: Er schüttelt Hände, lässt sich umarmen und küssen. Er spricht mit Menschen, hört zu, fragt nach. «Der Monarch und seine Beziehung zum Volk haben sich verändert», stellt eine britische Journalistin fest. «Da spricht einer, der etwas versteht von dem, worüber er spricht. Einer, der sich auch mal selbst die Finger schmutzig macht», lobt der deutsche Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert (86). Als sich Charles nach dem Tod seiner Mutter vor dem Buckingham-Palast zeigt und die um die Queen trauernde Menge tröstet, schreibt die deutsche «Bild»: «Er begegnet den Bürgern im Schmerz mit Herz.»
Dass Charles einer ist wie du und ich, bei dem durchaus auch mal die Nerven blank liegen, zeigt er, als ihm wegen eines schmierenden Füllers ein Fluch entfährt: «Ich kann dieses blöde Ding nicht ertragen.» Es menschelt beim König von Gottes Gnaden.
Ausgerechnet in Herzensangelegenheiten sorgt Charles für den wohl grössten Skandal in der Monarchie. Dabei beginnt es vielversprechend: 750 Millionen Menschen werden 1981 zu TV-Trauzeugen, als Charles der Kindergärtnerin Lady Diana Spencer in der Londoner St. Paul’s Cathedral sein Jawort gibt. Sie schenkt Englands wartendem König zwei Söhne: William, heute (40) und Harry (38).
In der Ehe kriselts bald, Charles hält weiterhin Kontakt zu seiner Ex-Geliebten Camilla Parker Bowles. Und als Tonbandaufnahmen publik werden, in denen er flüstert, gern Camillas Tampon zu sein, ist der Aufschrei riesengross und sein Image ziemlich ramponiert. Von diesem Tiefschlag erholt sich der Kronprinz erst Jahre später. Dann aber hat Charles selbst den Segen der Queen, als er 2005 doch noch seine grosse Liebe Camilla heiratet. Jetzt hat er sie zu seiner Königin gemacht.
Dass blaues Blut mit Benzin gemischt und grüne Weltanschauung unter eine Krone passen, zeigt Autonarr Charles mit seinem 1970er Aston Martin DB6 Volante. Ein Geschenk der Königin zum 21. Geburtstag ihres Ältesten. Sein «Wein und Käse»-Flitzer, wie Charles das Liebhaberfahrzeug selbst nennt, fährt seit 15 Jahren mit Bioethanol. Unter Sammlern ist der Wagen übrigens mehr als zwei Millionen Franken wert.
Gemüse lässt sich Charles mit royalem Mineralwasser dämpfen. Täglich werden für ihn sieben Eier gekocht, von denen er das mit der gelungensten Eigelb-Konsistenz verspeist. Er ist an der Whisky-Marke Barrogill beteiligt – «ein robust-komplexer Blended Malt, blumig und mittelsüss in der Nase». Sein unumstössliches Nachmittagsritual: Punkt 16 Uhr schlürft er eine Teetasse Darjeeling mit Honig und Milch, nascht dazu Muffins und «Cheesy Baked Eggs», ein Gericht aus Spinat, Tomaten, Eiern; mit Rahm und reichlich Käse überbacken. Schoggi und Kaffee mag er nicht; das Mittagessen lässt er komplett ausfallen, weil er es als «Luxus» empfindet, der sich nicht mit seinem stressigen Arbeitsalltag vereinbaren lasse.
Charles ist der erste britische Monarch, der nicht von Privatlehrern erzogen wird. Er hat Abitur, geht als Austauschschüler nach Australien. In Cambridge studiert er erst Archäologie und Anthropologie, ehe er im Fach Geschichte seinen Bachelor-Abschluss macht. Charles spricht fliessend Englisch, Walisisch und Französisch, ausgezeichnet Deutsch, wie er erst kürzlich bei seinem Deutschland-Besuch in einer viel beachteten Rede im Bundestag bewiesen hat, sowie ein wenig Gälisch.
Charles sagt, was er denkt. Einst verglich er Putin mit Hitler, sorgte so für diplomatischen Wirbel. Berühmt sind seine Briefwechsel mit Premierministern: 27 der Schriftstücke dürfen 2015 nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs publiziert werden. In den Zeilen, von britischen Medien wegen der Tintenbuchstaben, die wie dahingekrakelte Spinnenbeine aussehen, «black spider memos» genannt, äussert Charles nicht nur offen seine Meinung, er gibt auch Ratschläge.
Auf die Frage, ob er sich auch als König in die Politik einmischen werde, antwortete er grinsend: «Ich bin nicht so dumm.» König und Prinz seien zwei vollkommen verschiedene Rollen.