Die ersten 100 Tage als König hat Charles III. (74) erstaunlich ruhig hinter sich gebracht. Auch Gattin Camilla (75) nun Queen Consort, ist geräuschlos in das neue Amt gestartet und absolviert ihre ersten «Kronen-Termine» souverän. Klar ist allerdings: Nach 70 Jahren Regnum der Queen müssen der Posten eines Königs und die Rolle der Monarchie neu definiert werden. Ironisch könnte man den Auftrag an Charles so zusammenfassen: Du hast keine Chance, nutze sie.
Der grösste Pluspunkt, den das lange Leben als Kronprinz für Charles gebracht hat: Ihm ist klar, dass er nie der König der Herzen sein wird, dem die Sympathien einfach zufliegen. Dafür hat er sehr viel mehr politisches Bewusstsein entwickelt, als seine Mutter je besass – weil sie es nicht besitzen musste.
Charles beherrscht Politik, auch in kleinen Gesten. Davon zeugt etwa die erste Weihnachtskarte, die er und Camilla in diesen Tagen verschickt haben: eine Aufnahme der beiden beim Royal Highland Gathering, einer Traditionsveranstaltung im schottischen Braemar – aufgenommen fünf Tage vor dem Tod der Queen. Der neue König in Tweed, die Königin ebenfalls in schottisch inspirierter Kleidung.
Die Bildauswahl ist einerseits gewiss eine Reverenz an die Queen, die ja in ihrem schottischen Schloss Balmoral verstorben war.
Andererseits auch politisches Kalkül aus dem Wissen, dass in Schottland, von Brexit-Gegnern dominiert, eine neue Abstimmung zu einer Trennung von England und einer Rückkehr in die EU angestrebt wird. Zumindest der neue König signalisiert, dass er ein besonderes Augenmerk auf Schottland legt.
Charles wählt Termine bewusst: Zuletzt besuchte er Wales, traf sich immer wieder mit Vertretern anderer Religionen und mit Britinnen und Briten mit Migrationshintergrund, genau weil er weiss, dass diese in der Bevölkerung zahlenmässig starken Gruppen wichtig sind, um weiterhin Mehrheiten für die Monarchie zu garantieren.
Auf grosse Auslandsreisen haben er und Camilla vorläufig verzichtet – der neue König will vor allem Sympathien im eigenen Land sammeln.
Das Konzept geht bisher auf. Gut zwei Drittel der britischen Bevölkerung sind aktuell der Meinung, dass die Monarchie weiter bestehen sollte. Das klingt nicht überragend, aber für Charles und seine Familie beruhigend.
Frühere Umfragen haben stets die Queen im Mittelpunkt gesehen – deren Zustimmung war immer auch Respekt für ihre Lebensleistung und ihr hohes Alter.
Und auch für die Krönung am 6. Mai gibt es Signale, dass Charles mehr auf die aktuelle Situation im Lande reagiert: Das imposante Zeremoniell soll abgespeckt, die Zahl der Gäste im Vergleich zur Krönung der Queen 1953 gedrittelt bis geviertelt werden.
Die Krönung solle etwa eine Stunde dauern, auf traditionellen Pomp in vielen Stellen werde verzichtet. Charles hat in Zeiten einer angespannten Wirtschaftslage, des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise schon jetzt das Signal gesetzt, dass das Königshaus in der Gegenwart angekommen ist.
Das politische Bewusstsein von Charles zeigt sich zudem darin, wie er die Familie neu definiert hat: Neben ihm und Gattin Camilla stehen Sohn William (40) und Gattin Kate (40) – jetzt Prinzenpaar von Wales – die als Hoffnungsträger des Königshauses aufgebaut werden und das Königreich auch international stärker repräsentieren sollen. Deren hohe Popularitätswerte werden vom König gefördert.
Dazu wirkt an Charles’ Seite ein «Kabinett» mit den durch viele und skandalfreie Arbeitseinsätze bewährten Geschwistern Anne (72) und Edward (58) plus dessen Gattin Sophie (57). Der skandalbehaftete Bruder Andrew (62) wird nie mehr im royalen Dienst erscheinen.
Charles hat zudem bezahlte Planstellen gestrichen, die im Dienst der verstorbenen Queen anzusiedeln waren. Natürlich gibt das Proteste, das hat Charles klar einkalkuliert. Mit einer Rechnung, die bisher aufging.
Die Aufregung in den Medien war kurzzeitig heftig, hat aber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern im Lande bewiesen, dass auch die Royals bereit sind, bewusst zu wirtschaften.
Die wichtigste Schützenhilfe bekam Charles zuletzt ausgerechnet von den gewählten Volksvertretern. Das traditionell politisch stabile Vereinigte Königreich hat mittlerweile den dritten Premierminister innerhalb nicht einmal eines Jahres, die regierenden Konservativen sind zerstritten und stehen vor einer verheerenden Wahlniederlage.
In politisch unsicheren Zeiten ist die Monarchie als stabilisierender Faktor gefragt – und der vergleichsweise ruhig und leise regierende Charles passt genau in diese Rolle.
Dazu kommt, dass er sich für viele Dinge frühzeitig engagiert hat, die ihm Anerkennung in der Politik, in der Kultur und bei Intellektuellen einbrachten – wie Umwelt- und Artenschutz, humane Städteplanung, Integration oder den Erhalt traditioneller Berufe.
Die Regierungszeit seiner Mutter kann Charles nicht ansatzweise erreichen. In die Geschichtsbücher wird er trotzdem eingehen. So wie es derzeit aussieht als «Charles, der Politische»