Die grösste private Herausforderung hat König Charles III. schon gemeistert: Die zerstrittenen Brüder William, 40, und Harry, 38, sowie ihre Frauen Kate, 40, und Meghan, 41, gaben einen gemeinsamen Auftritt vor trauernden Menschen auf Schloss Windsor. Für Charles war dieses Signal sehr wichtig: Er schafft es – zumindest in diesem Moment –, seine Familie zu vereinen. Das bedeutet diplomatische Fähigkeiten, Empathie und Durchsetzungsvermögen. Ein wertvoller Erfolg: Denn wie soll ein König eine Nation vereinen, wenn er es bei der eigenen Familie nicht schafft? Der grösste Unterschied zwischen Charles und seiner Mutter: Die Queen hatte sich aus allen Fragen der Politik herausgehalten, auch wenn sie sicher persönliche Ansichten hatte. Charles hat sich eingemischt. Das war auch wichtig, um seine Qualitäten als künftiger König unter Beweis zu stellen. Ein 73-jähriges Leben, das nur aus Partys und Polo bestünde, wäre keine Empfehlung gewesen. Die Qualität, perfekt sitzende Anzüge zu tragen, bei Traditionsveranstaltungen freundlich Hände zu schütteln und unfallfrei regionale Lebensmittel zu verkosten, ist unverzichtbar – als Empfehlung für eine Regentschaft hätte sie nicht ausgereicht.
Charles hat viel Gespür bewiesen, weil er Themen aufgriff, bevor sie bei Politikern und Landsleuten wirklich populär waren. Er kritisierte etwa seelenlose Wohnblöcke und liess als Gegenentwurf die Siedlung Poundbury bauen. Dieses Projekt steht heute auf den Lehrplänen fast aller Architektur-Studiengänge. Er kritisierte die konventionelle Landwirtschaft, machte aus seinem Landbesitz Duchy of Cornwall einen ökologischen Musterbetrieb. Er kritisierte die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher ebenso wie den Verlust alter Handwerksberufe – und schuf entsprechende Ausbildungsprojekte. Und er liess seinen historischen Aston-Martin-Sportwagen auf Biotreibstoff umstellen. Mit seinen deutlichen Worten zum Klimaschutz hat er auch Menschen für sich gewonnen, die nicht zur klassischen Klientel der Royal-Fans gehören: Klima- und Umweltschützer, Intellektuelle, Kulturschaffende. Diese könnten nun ein wertvoller Rückhalt für ihn sein, wenn er denn ihre Erwartungen erfüllt.
Charles selbst hat schon vor einigen Monaten darauf hingewiesen: Wie er als Kronprinz agiere, könne er als König nicht in dieser Form fortsetzen. In seinem Land und weit darüber hinaus ist allerdings bekannt, wofür Charles steht – und das wird auch der Thron nicht ändern. Das wichtige, aber international kaum bemerkte Tagesgeschäft eines Monarchen hat er längst übernommen: Schon während der vergangenen Jahre hat er der Queen zahllose Aufgaben abgenommen – und das, ohne grosses Aufheben davon und ohne sichtbare Fehler zu machen.
Dabei kann sich Charles auf Mitglieder der Windsors verlassen, die sich selbst gern «Die Firma» nennen: Gattin Camilla, 75, und er führen seit 17 Jahren eine skandalfreie Ehe. William, Kate und die seit Jahren diskret und bewährt für das Königshaus arbeitenden Geschwister Anne, 72, und Edward, 58, sowie deren Familien. Die grössten Probleme könnte dennoch die eigene Familie machen – auch wenn Charles in einer seiner ersten Ansprachen als König Harry und Meghan seine Liebe versichert.
In Kürze werden die Memoiren von Harry erwartet, für die er eine Millionensumme erhalten hat. Die Publikation wurde mehrfach verschoben. Jetzt bleibt abzuwarten, was in dem Buch steht und wie stark Charles attackiert wird. Zumindest hat er dem Verfasser mit liebevollen Worten noch einmal die Hand gereicht – wohl wissend, dass ein weiterer Familienstreit hier keine Privatsache ist, sondern dem neuen König Charles III. statt des nötigen Rückenwinds, den er von vielen Menschen spürt, einen ärgerlichen Gegenwind geben könnte. Eine grosse Herausforderung für den «jungen König», der erst im Pensionsalter auf den Thron kam.
Andreas C. Englert ist stv. Chefredaktor der Magazine «Frau im Spiegel» und «Royal» und Royal-Experte des Schweizer Fernsehens SRF.