Wo lässt es sich besser über die Royals diskutieren als in der Stadt der Kaiser und Könige? Wir treffen die Berner Historikerin und Medienwissenschaftlerin Regula Stämpfli in ihrer Wohnung voller Patina in Wien, wo sie seit der Pandemie für ein Auktionshaus arbeitet und einen Podcast über Kunst, Finanzen, politische Gegenwart und Vergangenheit leitet.
Frau Stämpfli, wer ist Ihr Lieblingsroyal?
Ich bitte Sie! Ich bin durch und durch demokratisch. Aber wenn royal, dann früher Diana und jetzt Harry. Aber wehe, Sie sagen dies dem britischen Teil meiner Familie. Dann ist Feuer unter dem Dach (lacht).
Nach Dianas Tod stand die britische Monarchie fast vor dem Ende, und auch die anderen Königshäuser konnten kaum mehr Herzen erwärmen. Jetzt sind Royals plötzlich wieder beliebt – von der Krönung von Frederik von Dänemark gabs Liveticker. Warum?
Unsere Zeit zeichnet sich durch Eskapismus in Reality-Formate aus. Da passen die Royals mit ihren Traditionen und Werten aus vergangenen Jahrhunderten als Projektion für unsere Träume ganz gut hinein. Mit ihren Auftritten bieten sie eine Art Reality-TV-Format – unfassbar beliebt, vor allem auch unter jungen Menschen.
Ist das für die Monarchien gut oder schlecht?
Beides. Positiv ist: Die Serien und Dokus über Königshäuser mit viel Glanz und Gloria steigern die Bekanntheit und das Interesse und stützen damit die Monarchien. Sie fördern auch den Tourismus, indem sie Orte regelrecht zu Hotspots machen. Durch «The Crown» – diese originelle Mischung von Geschichtsdoku, Kostümdrama und Real-Life-TV – sind die britischen Royals noch mehr zur Marke und zu Stars der Kontinuität geworden.
Und was ist negativ?
Problematisch ist, dass solche TV-Formate in die Privatsphäre der Royals eindringen und die Charaktere aufhören, die ihnen zugewiesene Rolle zu spielen. Dann kommt es zu Dramen wie etwa um Harry. Was bedeutet die Flucht in Reality-Formate für die Gesellschaft? Normale Menschen können zunehmend nicht mehr zwischen Wahrheit und Inszenierung unterscheiden. Digitale Medien gestalten unser Aussehen, unsere Lebensweise, unsere Information, unser Denken – ja einfach alles bis unter die Bettdecke mit. Das ist problematisch, aber im Gespräch miteinander können wir dem entgegenwirken. Oder einfach mal das Handy zu Hause lassen. Echt gefährlich ist der Wirklichkeitsverlust für die Politik.
Weshalb?
Weil wir dann nur noch die Fiktion wählen. Das heisst Ideologen, Hassprediger, starke Männer – statt sich gegenseitig vertrauende Demokratie. Furchtbar! Ich nehme mich da übrigens nicht davon aus. Nach einer Stunde Twitter bin ich ein Mensch, der ich nie sein wollte.
Funktionieren Reality-Formate auch bei klassisch demokratisch gewählten Regierungen?
Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass unsere Regierungen sich wie Reality-Formate inszenieren. Das Personal bleibt. Egal, was passiert.
Haben Sie da ein Beispiel?
Wie erklären Sie sich, dass selbst beim Untergang der Credit Suisse niemand Verantwortung übernehmen musste? Karin Keller-Sutter war genial darin, das Narrativ so zu beherrschen, dass die Geschichte sogar bei den Wahlen im selben Jahr kein Thema war. Oder denken Sie ans Bundesamt für Statistik. Es gibt einen Super-GAU bei den Wahlprozenten, und was passiert? Nichts. Wie bei Serien, wo sogar Tote wieder zum Leben erweckt werden.
Sie haben die Hassprediger erwähnt: Populismus à la Trump ist salonfähig geworden, Autokraten wie Viktor Orbán oder Jair Bolsonaro sind beliebt. Stehen Monarchien in diesem staatlichen Sittenzerfall für ein verschwindendes Wertebild?
Definitiv. Vor allem die Königinnen – da würde ich auch die ehemalige Kanzlerin Merkel dazuzählen – gelten für die Menschen als fester Anker in unruhigen Zeiten und schützen gegen all diese Superegos, Selfies und Narzissten. Aber auch das ist natürlich eine Fiktion. Das Schlamassel eines entwicklungsbedürftigen Deutschlands im Jahr 2024 haben natürlich die Merkel-Jahre verursacht. Aber wenn wir wählen müssen, bietet alles Trost, was nach bekannt und traditionell klingt. So auch die Royals.
Was machen Monarchien heute besser als noch Ende des vergangenen Jahrtausends?
Sie spielen die Medienklaviatur perfekt.
Weil PR-Berater und Imagekampagnen Einzug in die Königshäuser gehalten haben?
Bei William und Kate braucht es gar nicht mehr so viel PR, da die beiden als Millennials schon in der Ich-AG-Zeit des Selbstmarketings aufgewachsen sind. Besonders Kate scheint ein inkarnierter Medienprofi zu sein. Aber ja klar: In Zeiten codierter Wirklichkeit entscheidet letztlich ausschliesslich die Story. Fakten? Vernachlässigbar.
In den Medien erfährt man heute nicht nur von freudigen Ereignissen der Royals wie Geburten und Hochzeiten, sondern auch von Fremdgehgerüchten wie aktuell bei Frederik von Dänemark.
Alle in Medien, Politik und Kultur stehen im permanenten Rampenlicht. Die Royals einfach noch mehr als wir Normalsterblichen. Bei den jüngsten Geschichten der fremdgehenden Männer denke ich mir immer: Warum können die nicht geschickter sein? Warum können Männer keine Geheimnisse bewahren? Frauen sind im Vergleich viel geschickter. Sie schweigen knallhart. Sie reden strategisch, kontrollieren meistens die Situationen. Frauen können auch jahrelang fremdgehen, und es merkt im Umfeld kein Mensch. Wissen Sie übrigens, warum?
Sagen Sie es mir!
Frauen sind das angepasste Geschlecht. Schon von klein auf müssen wir die Regeln beachten, damit wir nicht auffallen und verletzt werden. Mädchen und Frauen müssen sich Freiheiten oft im Geheimen erkämpfen.
Apropos: In den europäischen Königshäusern stehen Frauen bei der Thronfolge in den Startlöchern. Was ändert das?
Königinnen sind sehr robust. Deshalb sind weibliche Royals auch in Zukunft eine bessere Garantie für den Bestand der Königshäuser. Die Vermischung von Royals und Bürgerlichen nimmt gefühlt zu.
Werden die Monarchien dadurch geschwächt oder gestärkt?
Adlige benehmen sich eh öfters wie Bürgerliche und Bürgerliche wie Adlige. Stärke oder Schwäche entscheidet das entsprechende Image. Was hat sich sonst noch verändert? Realpolitisch sind die Monarchien besser aufgestellt, weil sie sich den Anforderungen der Öffentlichkeit inklusive rigiderer Budgetkontrolle unterwerfen. Doch vergessen Sie nie: Freiwillig haben dies die Königshäuser nicht gemacht. Dies geschah nur unter Druck. Die royale Eiseskälte rund um den Tod Dianas hätte tatsächlich die britische Monarchie gebodigt. Die Absurdität war ja, dass ausgerechnet ein Labour-Premier, Tony Blair, sie gerettet hat.
Was sehen die Bürger einer urdemokratischen Nation wie England in ihrem Königshaus? Was gibt es ihnen, das sie wieder vermehrt daran festhalten lässt?
Aufgepasst: Grossbritannien ist nicht demokratisch. Grossbritannien ist liberal, aber bis heute durch eine extreme Standes- und Klassengesellschaft geprägt. Wie meinte die türkische Schriftstellerin Elif Shafak einmal? Die Briten spucken dir ins Gesicht, reichen dir aber gleichzeitig das Taschentuch. England gibt es ohne Königshaus nicht mehr. Denn dann würde England ein Staat wie jeder andere; seit Shakespeare wirklich undenkbar.
Trotz aller Liveticker und Real-TV-Formate: Ganz werden wir nie hinter die Kulissen der royalen Welt blicken können. Macht diese Mischung aus Nähe und Geheimnis auch ein Stück der Faszination aus?
In Zeiten völliger Transparenz entsteht Spannung tatsächlich aus dem Wechselspiel zwischen Geheimnis und Position.
Haben Sie selber «The Crown» gesehen?
Sie scherzen! Ich war wohl die Erste in der Schweiz, die die Netflix-Serie verschlungen hat.
Wollen Sie noch einen Tipp?
Gerne! «Versailles», die ersten zwei Staffeln. Die Serie erklärt Ihnen, wie Frankreich zu dem wurde, was es auch heute noch ist: zentralistisch, absolutistisch, mit unfassbar viel Eleganz, Schönheit – und perfektem Essen.