Ähnlichkeiten mit lebenden (oder mittlerweile verstorbenen) Personen sind beabsichtigt und absolut erwünscht. Das gilt auch für die dritte Staffel der Netflix-Serie «The Crown», die sich das Leben von Queen Elizabeth II. & Co. zwischen 1964 und 1977, dem Jahr, in dem die Königin ihr 25-jähriges Thronjubiläum feierte, vornimmt. Die spannende Frage ist auch bei dieser Staffel: Wie viel royale Realität steckt in der Serie?
Klar ist: So richtig erfunden ist eigentlich nichts. Aber dort, wo die Chronisten nichts liefern konnten, regiert die Freiheit der Autoren – und die gibt den einzelnen Folgen etwas mehr Schwung, als es die Realität jemals tat.
Ein schönes Beispiel ist in Folge 3 der Besuch der Queen-Schwester Prinzessin Margaret beim damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson, der zuvor grummelnd einen Besuch bei der Queen auf deren schottischem Schloss Balmoral zur Jagd ablehnt (die Reise zu mühsam, das Wetter zu schlecht). Margaret, sowieso gerade in USA, nimmt auf nachdrücklichen Wunsch der Queen eine Einladung zu Johnson ins Weisse Haus an. Die Party dort endet in Trinkspielen und obszönen Limericks (die derbsten kommen von Margaret selbst), die am nächsten Tag der entsetzten Queen zu Ohren gebracht werden.
Vieles ist daran richtig: Johnson nahm als einziger US-Präsident keine Einladung der Queen an. Margaret kam zur Party ins Weisse Haus, der Queen war daran gelegen, um gutes Wetter in den USA für die mit 800 Millionen Pfund verschuldeten Briten zu machen. Die Party dauerte länger als es sonst im Weissen Haus üblich war (bis knapp 2 Uhr).
Der Präsident und seine Frau feierten an diesem Tag ihren 31. Hochzeitstag – die Stimmung war bestens, mehr als drei Stunden wurde getanzt. Margaret war in ihrem Element, ob es jedoch die Trinkspiele und obszönen Limericks gibt? – Auch letzte Überlebende der 140 Gäste, die sich an genaue Details erinnern (wie etwa, dass das Lied «Downtown» von Petula Clark der Hit des Abends war), wissen davon nichts. Kein Problem, für den Zuschauer ist der Abend dennoch amüsant anzusehen.
Die lebenshungrige Prinzessin Margaret wird grossartig von Helena Bonham-Carter dargestellt, die dem Vorbild allerdings wenig ähnelt, die Persönlichkeit der 2002 verstorbenen Queen-Schwester hervorragend wiedergibt. Erstaunlich: Wie sehr die Darsteller von Prinz Charles (Josh O’Connor), Earl Snowdon (Ben Daniels) und der jungen Prinzessin Anne (Erin Doherty) ihren Vorbildern ähneln. Olivia Colman gibt ihr Bestes, die Queen überzeugend darzustellen – was ihr wesentlich besser gelingt als Tobias Menzies als Prinz Philip. Der Serien-Philip ähnelt dem Prinzgemahl in keiner Weise und ist wohl das mit Abstand schwächste Glied unter den Hauptdarstellern.
Beste Arbeit haben allerdings die Rechercheure und Requisiteure selbst bei kleinsten Details geliefert: Die Queen speist zum Frühstück weichgekochte braune Eier – richtig, darauf legte sie Wert, bevor sie auf Rat ihrer Ärzte im höheren Alter darauf verzichtete. Der junge Charles fährt exakt das Aston Martin-Cabriolet, das er von seiner Mutter zum 21. Geburtstag bekam (er besitzt es noch immer, mittlerweile himmelblau und auf Bio-Diesel umgerüstet). Die Queen legt abends zur Entspannung Puzzles – auch das stimmt, in ihrem Wohnzimmer in Sandringham steht bis heute rechts neben dem Eingang ein eigener Tisch, auf dem noch immer Puzzles (bei meinem letzten Besuch ein noch nicht fertiges 1000 Teile-Puzzle mit Schloss Nymphenburg in München) liegen.
Lediglich der Margaret-Liebhaber Roddy Llewellyn wird, wie damals in der Yellow Press, als kernig-hübscher, aber eher einfältiger Gärtner dargestellt. Tatsache ist, dass der heute 72-Jährige als einer der renommiertesten Landschaftsarchitekten des Landes gilt und aus einer adligen Familie stammt: Er trägt heute den Titel 5th Baronet Llewellyn.
Eine bedeutende Rolle spielt bereits die Beziehung von Charles zu seiner heutigen Ehefrau Camilla (Emerald Fennell) – die, als Charles mehrere Monate Dienst in der Marine leistete, sich recht zügig an ihren späteren Ehemann Andrew Parker Bowles (Andrew Buchan) band. Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass das Thema Camilla ein solches Politikum war wie in «The Crown» jetzt dargestellt, einschliesslich Einbestellens der Eltern von Andrew und Camilla durch Queen Mum (Marion Bailey), und eines Briefwechsels von Prinz Charles mit seinem bei Hofe eher ungeliebten Onkel und Ex-König Edward VIII., später Herzog von Windsor.
Auch der Fall «Edward VIII.» ist ein schönes Beispiel, wie historische Realität durch Fantasie der Autoren ergänzt wird: Richtig ist, dass Charles seinen Grossonkel und dessen Ehefrau Wallis (grossartig dargestellt durch Derek Jacobi und Geraldine Chaplin) in Paris besuchte und augenscheinlich schätzte. Richtig ist auch, dass die Queen den Herzog kurz vor dessen Tode ebenfalls besuchte – bekannt ist nur, dass das Gespräch hinter verschlossenen Türen und ganz privat stattfand. Eher gut erfunden sind wohl der Inhalt und die Übergabe von Briefen, die Charles dem Herzog geschrieben hatte, an die Queen.
Die Serie – eine offizielle Beteiligung und Beratung des Hofes war vonseiten der Produzenten eher unerwünscht – bietet anspruchsvolle Unterhaltung für Freunde der Royals, trotz der manchmal für Zuschauer ausserhalb Grossbritanniens zu ausführlichen Ausführungen zur britischen Zeitgeschichte.
Was erfunden wurde, wurde gut erfunden. Und das ist gut so. Denn einen Anspruch auf historische Wahrheit erheben die Macher von «The Crown» nicht. Mehr oder weniger gut gemachte Dokumentationen über die Royals gibt es in Massen, eine Serie dieser Güte nicht. Übrigens: Staffel 4 ist schon im Entstehen. Und eine Darstellerin für die dann erscheinende Prinzessin Diana gibt es auch schon …