Sandro Brotz, 49, sitzt neben seinem Bruder und schaut ihm über die Schulter. Reto, 46, zeigt ihm einige Skizzen in seinem Tattoo-Studio in Zürich. «Er zeichnet so gut, das würde ich auch gerne können», sagt der TV-Star stolz.
So feinfühlig kennen wenige Menschen den früheren «Rundschau»-Moderator. Sandro Brotz ist die «Reizfigur» des SRF. Der harte Interviewer, der «da noch ein paar Fragen» hat. Meistens ziemlich unangenehme. Kritiker bezeichnen ihn als bissig. Einer, der seine Gäste zu oft unterbricht. SVP-Politiker Christoph Mörgeli fragte Brotz sogar, ob er vom «Aff bisse» sei. Der ehemalige Armeechef André Blattmann beleidigte ihn als «Sandro Kotz, äh Brotz».
Seit Mitte Mai hat der Journalist eine neue Rolle: Als «Arena»-Dompteur ist Sandro Brotz weniger der hartnäckige Fragesteller, sondern mehr der politische Vermittler. «Nach sieben Jahren bei der ‹Rundschau› hatte ich Lust auf etwas anderes. Mir gefällt diese neue Funktion.»
Während seiner ersten «Arena» sitzt der jüngere Bruder vier Kilometer vom Leutschenbach entfernt zu Hause vor dem Fernseher. «Ich schaue solche Sendungen eigentlich nicht. Politik ist nicht mein Ding. Aber das wollte ich unbedingt sehen. Er hats super gemacht.» – «Ach komm schon, da liegt noch viel mehr drin», sagt Sandro Brotz. «Wirklich! Ich meine das ernst.» – «Danke.»
Sandro und Reto Brotz wachsen in den 70er-Jahren gleich um die Ecke in Zürich Oerlikon auf. Am Familientisch wird selten politisiert. Über Mittag läuft Radio DRS. «Wir hörten die Nachrichten und waren alle ruhig.» Sandro Brotz erfährt so von den Morden der linksradikalen Roten Armee Fraktion in Deutschland oder von der Entführung des konservativen Politikers Aldo Moro in Italien. Später liest er auch viel dazu. Sein Vater, ein selbstständiger Textilkaufmann, hatte den «Spiegel» abonniert. «Ich fand es verstörend, dass solche Sachen dort passierten, wo wir in die Ferien gingen.»
Sein Bruder ist ganz anders. «Ich schaute mir höchstens die Bilder im Heft an», sagt Reto Brotz. «Ich zeichnete viel lieber.»
Sandro war der Introvertierte, Reto der Extrovertierte. «Wir waren wie Hund und Katze. Nur streiten konnten wir früher gut zusammen.» Etwa, wenn der Jüngere mit dem Älteren an Partys gehen wollte. «Sandro sagte dann, ich sei zu klein und dürfe nicht mitkommen», erzählt Reto. «Wirklich? Daran erinnere ich mich gar nicht mehr», sagt Sandro. «Sorry, gell.» – «Scho guet.»
Nach der Schule macht Sandro eine KV-Lehre bei Mövenpick. Reto eine Lehre als Hochbauzeichner. Beide wechseln nach wenigen Jahren das Feld: Sandro wird Reporter beim Radio und beim Lokalfernsehen, dann stellvertretender Chefredaktor von «SonntagsBlick» und «Der Sonntag». Zuletzt war er Moderator bei der «Rundschau».
Heute ist Sandro der Extrovertierte und Reto der Introvertierte. Der eine steht vor der Kamera, der andere im Tattoo-Studio. Auf dem Oberarm von Sandro Brotz steht «Lennox», der Name seines Sohnes – ein Tattoo seines Bruders. «So habe ich beide immer bei mir», sagt Sandro Brotz.
Lennox wohnt unter der Woche bei seiner Mutter. Die Wochenenden verbringt er beim Vater in Kilchberg ZH. «Als Teenager ist er oft mit seinen Kumpels zusammen, aber wir zwei unternehmen auch viel, gehen zum Beispiel an Flohmärkte», sagt Brotz. Der 14-Jährige interessiert sich mehr für Youtube und Instagram als für Politik. «Vor Kurzem fragte er mich aber, was der Unterschied zwischen SP, SVP und FDP sei. Das habe ich ihm gerne erklärt.»
Seit zwei Jahren ist Sandro Brotz mit einer Berner Politologin zusammen. Sie lernten sich beim Schweizer Fernsehen kennen, als sie dort zu Besuch war. Ihren Namen will er nicht verraten. «Ich habe gelernt, mein Privatleben zu schützen.»
Reaktionen aus der Öffentlichkeit kennt der Moderator von seiner Zeit bei der «Rundschau». Dort bekam er wütende Briefe von Zuschauern nach Hause geschickt. Einer drohte ihm sogar am Zürcher Hauptbahnhof, «sein grosses Maul zu verhauen». Solche Fälle kommen nicht oft vor, hinterlassen aber Spuren. «Die ersten Jahre, als ich vor der Kamera stand, war das nicht einfach – vor allem wenn es unter die Gürtellinie ging. Heute kann ich damit umgehen», sagt Brotz. «Ich wusste immer, das er das schon verkraftet», sagt sein Bruder.
So unterschiedlich Sandro und Reto Brotz auch wirken: Die blauen Augen und die fast identische Stimme sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten. «Wenn wir etwas machen, dann immer mit Herzblut», sagt Sandro. Und das sieht man beiden an.
Beim Jüngeren sind es die Tattoos, die fast seinen ganzen Körper bedecken, beim Älteren die drahtige Figur. Vor mehr als zehn Jahren hatte Sandro Brotz noch 30 Kilo Übergewicht und rauchte drei Päckli Marlboro Rot am Tag. «Ich bekam grosse gesundheitliche Probleme.» Er fing an zu rennen – hat inzwischen sieben Marathons und sechs Triathlons hinter sich. «Jetzt jogge ich nur noch dreimal pro Woche, um den Kopf freizubekommen.» Sein Ehrgeiz zeigt sich aber beim Töggelimatch wieder: Sandro Brotz schlägt seinen kleinen Bruder 10:1.