Amtsmüde wirkte Simonetta Sommaruga (62) trotz Dauerstress in den letzten Monaten nie. «Verantwortung zu tragen, ist Teil dieses Jobs», sagt die Bundesrätin diesen Sommer während des Umweltministertreffens in der tschechischen Hauptstadt Prag. Und dies, obwohl sie wegen der Energiekrise ständig unter Strom steht, kaum mehr freie Wochenenden hat und selbst ein paar Tage Sommerferien an der Adria absagen muss.
Auf die Frage, wie sie ihre Batterien lädt, sagt sie damals: «Letzte Woche habe ich im Garten die ersten Kartoffeln geerntet. Ein schönes Essen mit meinem Mann, es sind die kleinen Momente, die mir Energie geben.»
An der Seite ihres Mannes, nicht im Bundesrat
Nun ist ihr Mann, Schriftsteller Lukas Hartmann, der Grund, warum sie überraschend aus dem Bundesrat zurücktritt. Der 78-Jährige hatte letzte Woche einen Schlaganfall, wie die Magistratin sichtlich bewegt und mit stockender Stimme am Mittwochnachmittag den Medien schildert. «Das war für mich ein Schock.»
So ein Ereignis sei ein Einschnitt, der plötzlich und unerwartet komme und einen nachdenklich stimme. «Er hat mir deutlich gemacht, dass ich den Schwerpunkt in meinem Leben anders setzen will.» Sie möchte an der Seite ihres Mannes sein, der sich nach ihren Angaben verhältnismässig gut erhole und von Ärzten gut betreut werde.
Sommaruga und Hartmann, der mit bürgerlichem Namen Hans-Rudolf Lehmann heisst, lernen sich vor rund 35 Jahren in Rom kennen. 1996 heiraten sie. Damals steht die ausgebildete Konzertpianistin am Anfang ihrer politischen Karriere – und wird als Geschäftsführerin und später Präsidentin des Konsumentenschutzes schweizweit bekannt. Schnell gelten die SP-Politikerin und der Erfolgsautor als Power-Paar, das sich gegenseitig inspiriert und unterstützt.
So erklimmt sie zusammen mit ihm 2002 den Mount Kenya für seinen Roman «Die Tochter des Jägers», er lektoriert im gemeinsamen Haus in Spiegel bei Bern ihren 2005 erschienenen Reformplan «Für eine moderne Schweiz». «Sie hat die Fähigkeit, eine Situation blitzschnell analytisch zu erfassen und sie in prägnanten Sätzen zu formulieren», sagt Hartmann. Gemeinsamkeiten pflegt das Paar über die Literatur hinaus: die Arbeit im grossen Garten oder die Liebe zur Musik. «Wir haben lange ein Haus gesucht, in dem man abends musizieren kann, ohne dass es jemanden stört», erzählt sie.
Als Sommaruga Hartmann kennenlernt, hat er bereits drei Kinder. «Gemeinsam haben wir uns entschieden, dass es dabei bleibt.» Sie habe bis heute einen guten Kontakt zu seinen Kindern. Ihre Karriere wäre mit einer Familie schwierig zu vereinbaren gewesen.
Nach sieben Jahre im Ständerat wählt das Parlament Sommaruga 2010 als Nachfolgerin von Moritz Leuenberger in den Bundesrat. Hartmann sagt damals: «Ich muss mich einüben, und sie muss sich einüben, damit wir unsere Partnerschaft in derselben Intensität weiterleben können.» Sie betont, dass er sie nie vor die Wahl gestellt habe, sich oder ihr Leben zu ändern.
Als jüngstes Regierungsmitglied muss sie hinten anstehen bei der Departementsverteilung und wird Justizministerin. «Es war zunächst sicher nicht ihr Wunschdepartement», sagt ihr Wegbegleiter und Genosse Rudolf Strahm. Sie meint eineinhalb Jahre nach Amtsantritt: «Ich habe in der Materie schneller Fuss gefasst, als ich dachte. Mehr noch, mein Herz schlägt für die Aufgabe.»
Dabei hilft ihr, dass sie nie eine Parteisoldatin gewesen ist, wie sie bereits 2001 mit dem «Gurten-Manifest» unter Beweis stellte. Darin fordern die Autoren eine Neuausrichtung der SP, mehr Markt, mehr Eigenverantwortung, weniger Einwanderung und bessere Integration. Als Justizministerin reformiert sie gegen den linken Widerstand das Asylwesen und beschleunigt den Asylprozess durch den Aufbau von Bundeszentren – ihr grösster Erfolg als Bundesrätin.
Privat kommt es 2016 zu einer Veränderung. Sommaruga zieht aus dem gemeinsamen Haus in eine eigene Wohnung in der Stadt Bern. «Wir versuchen, mit den zwei Wohnungen etwas Neues zu erfinden», erklärt Hartmann. Früher sei sie nach all den Gesprächen im Bundeshaus oft erschöpft und müde nach Hause gekommen und wollte zuerst abschalten. Er hingegen, der den ganzen Tag alleine war, wollte reden. Nun würden sie abmachen, wann es für beide stimmt. «Wir haben Geschmack an dieser Situation gefunden.»
Auch Sommaruga blüht auf. Im Interview zum Frauenstreik im Juni 2019 rät sie den Frauen humorvoll: «Sucht euch einen Mann, der kochen kann.» Bei der Reise nach Indien im November 2019 zeigt sie sich im Gespräch mit Frauen aus der Bevölkerung genauso locker wie mit den Vertretern der CS, ABB oder Swiss Re.
Dann folgen beruflich zwei schwierige Jahre. 2020 führt Sommaruga die Schweiz als Bundespräsidentin durch die Pandemie. Auch damals wichtig: ihr Mann. Eigentlich wollte dieser für eine Romanrecherche ein halbes Jahr nach London, kommt aber wegen Corona zurück in die Schweiz. «Ich geniesse die gemeinsame Zeit. Wir essen zusammen und reden. Und ich bin froh, wenn es nicht um Corona geht.»
Im Juni 2021 ihre wohl grösste Niederlage als Umwelt- und Energieministerin: Das Volk lehnt das revidierte CO2-Gesetz mit 51,6 Nein-Stimmen ab. Der Schock und die Enttäuschung darüber sind der Bernerin an jenem Sonntag anzusehen.
Doch Sommaruga rappelt sich auf: Als Russland die Ukraine am 24. Februar angreift und sich abzeichnet, dass Strom und Gas gegen Ende des kommenden Winters knapp werden, weibelt sie auf allen Ebenen, um eine Energielücke zu vermeiden.
Sie sichert in Holland Flüssiggas, geht mit Deutschland ein Solidaritätsabkommen ein und gleist die Wasserkraftreserve auf. «Das ist die Methode Sommaruga: Sie kann nach Kompromissen suchen und dennoch mit einer gewissen Hartnäckigkeit die dicken Bretter bohren.»
Nun verlässt sie ihr Departement kurz vor dem harten Winter. Man spürt mit jedem Wort, dass ihr dieser Schritt schwerfällt. «Der Entscheid kommt auch für mich früher als vorgesehen», sagt sie schon fast entschuldigend. Sie sei gern Bundesrätin, bis zum Schluss. Was für sie das Wichtigste gewesen sei? «Ich bin mir selber immer treu geblieben.»