Mr. Corona, ein Star wider Willen, Schweizer Volksheld: Im Laufe der Corona-Krise wurden einige Prädikate ins Leben gerufen, um die Rolle von Daniel Koch, 65, während der aussergewöhnlichen Krisenlage zu beschreiben. Bescheiden, wie er ist, wollte Koch allerdings nur als das angesehen werden, was er ist: Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten des Bundesamts für Gesundheit.
Wobei «ist» seit Anfang April mit «war» ersetzt werden musste. Auf Ende März gab Koch seinen Posten beim BAG an Nachfolger Stefan Kuster ab. Und hätte nach seinem 65. Geburtstag am 13. April wohlverdient in Pension gehen können. Doch Koch blieb als Covid-19-Delegierter des Bundes präsent, stand dem Bundesrat beratend zur Seite und der Öffentlichkeit Red und Antwort zu den neuesten Entwicklungen im Kampf gegen das Coronavirus. Ende Mai ist nun aber definitiv Schluss: Der Berner tritt ab. Und mit ihm das Gesicht der Corona-Krise in der Schweiz, von dem uns die folgenden zehn Eigenschaften am meisten fehlen werden.
Seine Professionalität
Allem voran wird uns Koch als der Mann in Erinnerung bleiben, der uns fachlich kompetent durch die Krise geführt hat. Sein Wort galt: Der Arzt, der seit 2002 fürs BAG amtete, informierte, analysierte und kommentierte. Nüchtern und sachlich. Und brach komplexe Sachverhalte so herunter, dass die ganze Schweiz sie verstand.
Sein Style
Kochs letzte Sitzung mit dem Bundesrat vom Mittwoch nutzte Gesundheitsminister Alain Berset, 48, um ihm seinen Dank auszusprechen. Seine wissenschaftliche Vereinfachung, seine Ruhe, Bescheidenheit und sein Humor seien in der Krise eine grosse Hilfe gewesen, sagte der Freiburger. Doch ihm fiel noch etwas anderes auf: Koch habe an allen Pressekonferenzen des Bundesrats teilgenommen, zudem an 21 Medieninformationen auf Fachebene. «Jedes Mal mit einer anderen Krawatte», stellte Berset beeindruckt fest.
Anzug, Hemd, ausgefallene Krawatten und sein Rucksack, den er lässig über eine Schulter trug, sind zur Corona-Uniform Kochs geworden. Dabei bewies er stets modisches Gespür und eine Portion Lockerheit. Bei seinem Auftritt bei Paddy Kälin, 44, im «Sportpanorama» beispielsweise kombinierte er zu seinem Zweiteiler schlichte Turnschuhe und brach sein elegantes Outfit damit gekonnt.
Seine Ruhe
Er stellte Fakten vor, teilte die neuesten Erkenntnisse mit, klärte die Schweiz über die Anzahl Neuinfektionen auf. Und bei alledem strahlte er eine solche Ruhe aus, dass einem vor lauter Erstaunen gleich selber der Puls hochschnellte. Seiner aber blieb tief. Das bewies er bei «SRF Dok». Kurz vor seinem Auftritt in der «Arena» lag sein Ruhepuls gerade mal bei 58 Schlägen pro Minute. Normal ist bei Erwachsenen eine Herzschlagfrequenz von 60-80/min, bei Senioren liegt sie gar bei 80-100/min.
Sein Humor
Seine Expertise würzte Daniel Koch immer mal wieder mit einer guten Prise Humor. Unvergesslich beispielsweise seine Reaktion, als er von einem Journalisten wegen eines «Wäre»-Satzes gebeten wurde, den Konjunktiv zu erklären. «Ich bin nicht Sprachwissenschaftler, deshalb kann ich Ihnen den Konjunktiv nicht erklären.» Seine schlagfertige Antwort diente fortan als Vorlage für Memes und Videos. Auch die Comedy-Seite Swissmeme griff Kochs K.O.-Spruch auf.
Seine Ausdauer
Mit beneidenswerter Ausdauer stand Daniel Koch den Medien und dem Volk Red und Antwort. Auf die immer gleichen Fragen, die die immer gleichen Antworten verlangten, ging der Berner immer wieder gerne ein. Zig Mal appellierte er an die Verantwortung der Bevölkerung, rief die Hygiene- und Distanzregeln in Erinnerung und erklärte, weshalb in der Schweiz keine Maskenpflicht gilt.
Seine Ausdauer kommt nicht von irgendwo: Mit seinen Hunden betreibt Koch Canicross. Das aus Tier und Mensch bestehende Team ist mit einer Leine miteinander verbunden. Unter normalen Umständen trainiert Koch einmal pro Woche mit seinem Hund Buntschi im Wald seines Wohnortes Köniz BE. Mit Erfolg: In seiner Kategorie, den Veteranen, gewann Koch letztes Jahr in Belgien die Europameisterschaft. Vor zwei Jahren war er zudem Vizeweltmeister geworden.
Seine Wortschöpfung
Was «Il faut agir aussi vite que possible, mais aussi lentement que nécessaire» – «so schnell wie möglich, so langsam wie nötig» – bei Alain Berset war, stellte sich bei Koch als «Die Aare ist bebadbar» heraus. Seine Bade-Aussage liess die Aargauer, Solothurner und die Berner Mitte April nicht nur aufatmen, sondern avancierte zum Kult-Spruch. Eine Berner Agentur bedruckte damit T-Shirts, die Berner Aare-App «Aare Guru» stimmte die User zuversichtlich: «Dr Dänu meint, im Summer isches ‹bebadbar›», wurde der Corona-Delegierte in der App zitiert.
Sein Aufopfern
Während der letzten Monate stellte Daniel Koch alles hinten an, was nicht mit seiner Berufung zum Corona-Delegierten des Bundes zu tun hatte. Seine Hunde musste er vorübergehend in den Hundehort geben. «Es ging nicht mehr», sagte der Hobbysportler bei «SRF Dok». Als sich die Lage etwas entspannt hatte, holte er sie zurück und spörtelte einmal in der Woche wieder mit ihnen. «Das ist Erholung pur!»
Doch die Krise wird auch bei seinen Vierbeinern Spuren hinterlassen. Die Hündin, die er sich kurz vor Ausbruch der Pandemie in der Schweiz zugelegt hatte, kam in den vergangenen Monaten zu kurz. Völlig unbändig sei sie, sagte Koch. «Sie braucht noch ein bisschen Erziehung, aber dafür habe ich momentan keine Zeit. Wahrscheinlich wird sie also ein wenig unerzogen sein.»
Seine Bodenständigkeit
Bis Ende Februar, als in der Schweiz der erste Coronavirus-Fall nachgewiesen worden war, war Daniel Koch ein ganz normaler Beamter. Seine vielen Auftritte, die Expertise und zweifellos auch seine gelassene Persönlichkeit machten ihn in der Krise zum Star. Eine Rolle, die ihm nicht zusagt. «Wenn mich die Menschen auf der Strasse ansprechen und mir Danke sagen, macht mir das manchmal Mühe.» Er erledige doch nur seinen Job. Seine Rolle sehe er darin, die Öffentlichkeit vor Infektionen zu schützen und zwischen den verschiedenen Playern wie Politikern, Gesundheitsvertretern und dem Volk zu kommunizieren. «Mein Wunsch, prominent zu sein, stand nie weit oben auf meiner Prioritätenliste», sagte er im Interview mit der «Schweizer Illustrierte» schmunzelnd.
Dazu passt auch seine Verabschiedung von der Bundesrats-Bühne vom Mittwoch. Nach dem Dankeschön des Gesundheitsministers nutzte Koch die Gelegenheit, um seinerseits ein Merci auszusprechen. «Es war mir eine sehr grosse Ehre, dem Bundesrat dienen zu können.»
Seine Tollpatschigkeit
Kochs Gelassenheit in Krisenzeiten wirkte fast schon übermenschlich. Da ist es gleich umso beruhigender, dass auch er nicht vor Ungeschicklichkeiten gefeit ist. So passierte ihm beispielsweise ein Versprecher, als er statt «offenbar» plötzlich von «Offenbier» sprach. Und als er Ende März mit einem grossen Pflaster an der Stirn zur Point de Presse erschien, drohten die wildesten Spekulationen auszubrechen. Dabei war die Begründung so simpel wie mitfühlbar: «Das Pflästerli ist, weil ich in eine Türe hineingelaufen bin», erklärte Koch schmunzelnd.
Sein Da-Sein
Letztendlich war es eine Kombination aus allem, die dazu geführt hat, dass Daniel Koch zu dem Helden der Corona-Krise geworden ist, den er nie hat sein wollen. Seine ruhige Art, seine Sachlichkeit, seine unangefochtene Kompetenz, sein gemütliches Sprechtempo und seine besonnene Art machten ihn in der Krise zu einem Vater der Nation. Was Koch sagte, musste stimmen, und was Daniel empfahl, setzten wir um. Koch war ein Fels in der Brandung, als sich die Ereignisse zu überschlagen drohten und man nicht mehr sicher sein konnte, was und wem man Glauben schenken durfte. Ihm durfte man es immer. Auf Daniel Koch war stets Verlass.
So tritt er nun ab, Ende Mai, und hat nun endlich wieder Zeit, um mit seinen Hunden zu trainieren und sein fünfmonatiges Enkelkind zu sehen – das er sogar wieder hüten darf. Auch wenn es ihm nicht recht sein dürfte: Daniel Koch geht als Schweizer Held der Corona-Krise. Und er hat dieses Prädikat mehr als verdient.