Die beiden violetten Tigra-Trekkingräder haben für das Ehepaar Rösti eine besondere Bedeutung. «Ich schenkte uns die Velos auf den ersten Hochzeitstag», sagt Theres Rösti (54). Rund 29 Jahre ist das nun her. «Seitdem muss ich jährlich 95 000 Kilometer abspulen», witzelt Albert Rösti (55).
Längst fährt seine Frau mit ihm nicht nur regelmässig die Drei-Seen-Tour ab ihrem Haus in Uetendorf bei Thun, sondern begleitet ihn auch auf seiner politischen Reise vom Gemeinderat zum Nationalrat, zum Präsidenten der SVP Schweiz bis letzten Dezember in den Bundesrat.
Auf einem Hügel zwischen Thun und Spiez mit Blick auf den See und das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau machen die beiden Rast. Er streicht ihr eine Strähne aus dem Gesicht, sie lehnt sich an ihn. Die beiden wirken tief vertraut, wie das nur langjährige Paare tun – und trotzdem verliebt wie am ersten Tag.
Von Anfang an hat die Swiss-Flugbegleiterin ihren Mann bei dessen Bundesratskandidatur unterstützt. «Wir haben uns im Leben nie ausgebremst – das gilt für beide Seiten.» Und doch habe sie sich Sorgen gemacht, was das Amt für ihre Beziehung bedeute. Würden sie überhaupt noch Zeit fürs Privatleben haben? Heute sagt sie: «Meine Angst war unbegründet. Wir haben immer noch genug Zeit füreinander.»
Seit rund einem halben Jahr ist Albert Rösti Teil der Landesregierung. Als Chef des Uvek steht er sieben Bundesämtern und rund 3000 Personen vor.
Die grösste Umstellung sei für ihn der Arbeitsalltag gewesen. «Gearbeitet habe ich vorher schon viel. Aber neu sind meine Tage bis auf die letzte Minute durchgetaktet. Daran musste ich mich erst gewöhnen.» So gebe es keine Sitzungen mehr, in denen er mal zurücklehnen könne, da er ständig im Fokus stehe. Ein spontaner Kaffee mit Kollegen? Schwierig! «Das Amt als Bundesrat ist intensiv, aber auch wahnsinnig spannend», sagt Rösti.
Im gewichtigen und vor allem auch riesigen Uvek sei er angekommen («Ich habe alle Ämter besucht»), im Bundesratsgremium fühle er sich wohl. Dabei erwähnt er überraschend – oder taktisch gewieft – zuerst den politischen Gegner. «Alain Bersets Rücktritt bedauere ich, wir haben es trotz allen Differenzen gut miteinander.»
Weniger möge er an seinem Job schwierige Personalentscheide, wo Emotionen mitspielen. «Jetzt heisst es dann wieder, ich sei zu nett. Einer meiner Führungsgrundsätze: Ein gutes Arbeitsklima begünstigt Leistung. Ich will, dass sich die Leute beim Schaffen wohlfühlen.»
Was er noch lernen muss? «Mehr Selbstdisziplin.» Etwa beim Sport oder beim Essen, das er manchmal vor lauter Terminen vergesse oder das nur aus einem Sandwich auf dem Weg zur nächsten Sitzung bestehe. «Zum Glück kocht die Weibelin zwischendurch etwas für mich.» Beim Schlaf bestehe auch noch Luft nach oben, obwohl er nicht zum Frühaufsteher geworden sei. «Vor halb acht bin ich selten im Büro, bleibe dann aber oft bis spätabends.»
Rösti ist in seiner neuen Rolle angekommen. Das spürt jede Journalistin, die politisch heikle Themen anspricht. Zur Kritik im «Blick», er habe den Abstimmungskampf zum von ihm früher ungeliebten Klimaschutzgesetz mit angezogener Handbremse geführt, sagt er staatsmännisch: «Ich war bei allen wichtigen TV-Stationen zu Gast. Hätte ich am Schluss nochmals Vollgas gegeben, wäre dies kontraproduktiv gewesen.»
Natürlich kommuniziere er als Bundesrat zurückhaltender, aber er vergesse dennoch nie, welcher Partei er angehöre. «Ich stehe für Freiheit und Sicherheit – wollen Sie das nicht aufschreiben?», fragt er augenzwinkernd.
Frisch umgezogen, kühlen Albert und Theres Rösti am Ufer des Thunersees ihre Füsse im Wasser. Zwei Wochen hat sich der Bundesrat Ferien genommen. «Klar gibts zwischendurch mal ein wichtiges Telefonat oder Antwort auf eine Mail – aber grundsätzlich habe ich frei», sagt er.
Am Vortag waren die beiden im Thuner «Strämu» schwimmen. Ohne Personenschutz .«Im Privaten muss das möglich sein», so der Bundesrat. Die Leute seien angenehm zurückhaltend gewesen. «Einer meinte vorsichtig: Sie sind es, gälled Sie?»
Anzutreffen sind die Röstis auch mal beim Znacht in der Berner Altstadt. Dort bewohnt der Energieminister seit Amtsantritt wochentags eine Wohnung. Theres ist häufig zu Gast. «Anfangs war ich von der Idee einer Zweitwohnung nicht begeistert. Heute muss ich sagen: Die Stadtwohnung hat unserer Beziehung neuen Vibe gegeben.»
Ihr Pensum bei der Swiss hat die Bundesratsgattin leicht reduziert – und fliegt heute wieder unter ihrem Mädchennamen. «Das fiel mir nicht leicht, aber mit dem seltenen Namen Rösti wäre ich wohl nicht zum Arbeiten gekommen.»
Ein Vorteil ihres Jobs: Sie kann in Los Angeles regelmässig mit Sohn André (27) nachtessen gehen. Der Informatiker im Bereich Cybersecurity absolviert zurzeit ein Praktikum in Colorado.
Tochter Sarina (23) ist ein Jahr ebenfalls als Flugbegleiterin geflogen, hat aber die Arbeit in der Luft nicht so gut vertragen und macht jetzt neben ihren Tanz- und Gesangsengagements das Gymnasium. «Ich bin froh, sind unsere Kinder schon erwachsen. Das Bundesratsamt mit kleinen Kindern – ich hätte das nicht gekonnt», sagt Rösti.
Die beiden kehren für ein Rivella (sie) und einen Coupe Romanoff (er) im Wellnessresort beim Thuner «Deltapark» ein. Sogleich kommt der Manager des Hauses und begrüsst den Magistraten. «Die Aufmerksamkeit der Leute hat schon stark zugenommen», sagt Rösti. «Und die Selfies, gell», ergänzt sie. Er nickt. «Ich finde das aber anerkennend. Und gleichzeitig wird mir die Verantwortung bewusst, die ich für unser Land trage.»
Theres klaut ihm eine Erdbeere vom Coupe. «Albert ist zwar Bundesrat. Doch als Mensch hat er sich zum Glück nicht verändert.»
Die Röstis – sie werden wohl auch künftig viele Kilometer auf dem Velo gemeinsam zurücklegen.