Die Wurzeln von Albert Rösti (56) Bundesrat und Bergbauernsohn aus Kandersteg, sind in seinem Büro klar erkennbar. Am Boden stehen eine grosse rot-weisse Holzkuh und eine Treichel. An der Wand hängt ein Bild vom Brienzersee und der Bundesbrief. «Ein Geschenk von Ueli Maurer. Den lese ich jeden Tag», sagt der SVP-Magistrat augenzwinkernd.
Herr Bundesrat, was haben Sie gegen den Biber?
Gar nichts. Er ist ein wichtiges Tier, das zur Artenvielfalt beiträgt.
Und wieso geben Sie in der neuen Jagdgesetzverordnung neben dem Wolf auch den Biber präventiv zum Abschuss frei?
Das ist ein Entscheid des Parlaments. Dieses hat in der Jagdgesetzrevision definiert, das jene Tiere, die massgebliche Schäden produzieren, reduziert werden können.
Sie waren also dagegen?
Nein. Ich finde es richtig, dass man die Schäden reduziert. Der Biber kann enorme Zerstörungen an Bachläufen anrichten. Bei einer Regulierung muss die Art natürlich erhalten bleiben.
Pro Natura äusserte sich in der «Aargauer Zeitung» schockiert über die präventiven Abschüsse. Der Verband ist für das Stromgesetz, jetzt machen Sie diesen hässig?
Ich akzeptiere die Meinung der Naturschützer und will sie nicht hässig machen. Aber das eine hat nichts mit dem andern zu tun.
Heute ist der Energie-Unabhängigkeitstag – nun sind wir auf Strom aus dem Ausland angewiesen. Jetzt brauchts wohl dringend ein Abkommen mit der EU?
Wir sind am Verhandeln. Aber es löst das Problem nicht, dass der Strom in Europa und in der Schweiz generell knapp ist. Wir sind eng mit dem Ausland verbunden mit 41 grenzüberschreitenden Stromleitungen. Im Herzen Europas sind wir eine wichtige Drehscheibe. Im Sommer haben wir genügend Strom – im Winter nicht. Mit dem Stromgesetz können wir zusätzlichen Winterstrom produzieren.
Müssen wir Selbstversorger werden?
Nein, das können wir nicht. Wir sind eingebunden in Europa, müssen aber gleichzeitig unseren Teil dazu beitragen. Vor allem mit der Wasserkraft sind wir ja die eigentlichen Batterien Europas.
Umweltschützer fürchten durch neue Solarparks und Windkraftanlagen massive Eingriffe in die Landschaft.
Das ist bei den Umweltschützern eine Randgruppe. Pro Natura, WWF und der Fischereiverband stehen etwa dahinter. Wir haben ein sehr ausgewogenes Gesetz formuliert. Biotope und unerschlossene Waldgebiete werden geschützt. Und die Gemeinden können selber bestimmen. Bei der Wasserkraft haben wir 15 Projekte ausgewählt, und die erwähnten Verbände haben diese am runden Tisch abgesegnet.
Sie sagen Randgruppierung. Vera Weber hat immerhin die Zweitwohnungsinitiative bei der Bevölkerung durchgebracht.
Ich habe Respekt davor, wie gut die Gegner mobilisieren. Wir müssen die Bevölkerung überzeugen, dass wir auf die Natur Rücksicht nehmen.
Nicht überzeugen konnten Sie Parteikollegin Magdalena Martullo-Blocher. Sie bezeichnet das Stromgesetz als «Bschiss», die SVP ist ihr gefolgt.
Wer sich seriös mit der Vorlage befasst, merkt, dass es kein «Bschiss» ist.
Was sagen Sie zum Vorwurf, die Vorlage bringe wenig Strom für sehr hohe Kosten.
Das stimmt nicht. Wir müssen in jedem Fall das Netz ausbauen, ob mit oder ohne neues Stromgesetz. Das kostet, klar. Aber: Die Stromlieferanten bekommen den Auftrag, ihren Strom so zu beschaffen, dass Preissprünge vermieden werden.
Das Gesetz ist kompliziert. Wie überzeugen Sie in einem Saal die Kritiker?
Die Schweiz braucht mehr inländischen Strom, weil wir heute mit mehr Elektroautos unterwegs sind. Weil wir öfter mit elektrischen Wärmepumpen heizen. Und weil die Schweiz entschieden hat, die fossile Energie abzubauen. Damit das klappt, bestimmten wir im Gesetz konkrete Projekte, die möglichst viel Strom bei möglichst kleiner Auswirkung auf die Natur liefern.
Irgendwie spürt man nicht so viel Aufbruchstimmung.
Also ich lege dann schon los, wenn ich vor Leuten stehe. Das Volk hat abgestimmt: keine Kernenergie mehr, keine fossile Energie mehr. Woher wollt ihr dann den Strom nehmen? Ich habe mal gezählt, wie viel Strom ich in den ersten zehn Minuten an einem Morgen brauche. Schon vier- oder fünfmal habe ich da einen Schalter gedrückt. Eine Mangellage in den nächsten Jahren ist immer noch nicht ausgeschlossen. Es wäre eine Katastrophe, wenn wir in einen Blackout reinrasseln: Das gäbe Schäden in Milliardenhöhe. Drum ist es so wichtig, dass jetzt genügend Wasser-, Solar- und einige Windanlagen gebaut werden.
Der Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz verurteilt. Sie mache zu wenig für das Klima. Hilft Ihnen das für die Abstimmung, oder befürchten Sie, die Leute sagen: Jetzt reichts.
Weder noch. Ich glaube nicht, dass die Leute da eine direkte Verbindung ziehen.
Sie sagen, die Schweiz sei in Sachen Klima gut unterwegs. Doch das CO2-Gesetz wurde abgelehnt, das Stromgesetz ist noch nicht durch. Wie also wollen Sie dem Urteil gerecht werden?
Gerecht werden muss ich der Bevölkerung. Diese hat beschlossen, die Emissionen bis 2050 auf netto null zu senken. Wir werden dem Urteil gerecht, da habe ich keine Angst. Die Klage wurde 2016 eingereicht, seither ist viel passiert. Die Schweiz verursacht weniger CO2-Emissionen als 1990. Das Parlament hat soeben das CO2-Gesetz revidiert. Die Emissionen werden weiter sinken.
Die Abstimmung über das Stromgesetz wird von Beobachtern als die wichtigste Ihrer Amtszeit bezeichnet …
… ich bin ja erst am Anfang meiner Amtszeit (lacht). Als Energieminister bin ich dafür mitverantwortlich, dass die Schweiz genug Strom hat. Aber ich würde nicht so weit gehen, dass es die wichtigste Abstimmung ist.
Was, wenn Sie verlieren?
Politik ist nie alternativlos. Ich gehe davon aus, dass wir die Menschen überzeugen können.
Ist Atomkraft eine Alternative?
Die Blackout-Initiative fordert das. Der Bundesrat setzt sich dieses Jahr damit auseinander.
Das wäre also der Plan B?
Nein. Plan B wäre vorerst der Status quo. Wir brauchen mehr Strom, würden diesen Mehrbedarf wohl importieren müssen. Ein neues AKW ist in den kritischen nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nicht realisierbar.
Die Klima-Seniorinnen raten Ihnen, den geplanten Ausbau der Autobahnen zu sistieren. Schliesslich komme ein Viertel der CO2-Emissionen vom Verkehr.
Sie verkennen die Tatsache, dass wir heute die Strassen für die Mobilität von morgen bauen. Diese wird Autos beinhalten, aber sie werden elektrisch sein. Sämtliche europäischen Autokonzerne haben den Umstieg beschlossen. Es geht nicht um Schiene oder Strasse. Und überhaupt: Die Schweiz ist das erste Land weltweit, das ein Gesetz zum automatisierten Fahren aufgegleist hat. Meine Vorgängerin hat das initiiert. Das wird den Verkehrsfluss verbessern.
In Deutschland bekommt eine Prämie, wer ein Elektroauto kauft. Wieso gibts das in der Schweiz nicht?
Elektroautos werden massiv subventioniert, indem man keine Mineralölsteuer bezahlen muss. Da spart man ungefähr 85 Rappen pro Liter Benzin. Irgendwann wird man das ändern müssen, da die Nationalstrassen über die Mineralölsteuer finanziert werden. Aber das wird nicht so schnell kommen, weil wir bewusst Elektroautos fördern.
Sind Sie immer noch regelmässig mit Ihrer Frau auf dem Velo unterwegs?
Nicht mehr so regelmässig, aber die Velopneus sind gepumpt.
Pro Velo hat grosse Erwartungen an Sie!
Die Schweiz soll sich mit einer hervorragenden Infrastruktur auszeichnen: auf Schienen, Strassen und Velowegen. Das ist die Aufgabe von mir und meiner Generation. Wir sind neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, die brauchen eine ausgebaute und gut funktionierende Infrastruktur.
Bevorzugen Sie nicht die Strasse?
Nein, in die Bahn investieren wir in den nächsten Jahren 27 Milliarden Franken, in die Strasse 20 Milliarden. Die Bahn wird klar bevorzugt.
Wolf, Post-Reform, SRG-Gebühren – Sie drücken aufs Gaspedal. Manchmal auch ohne Vernehmlassung. Geht es Ihnen in Bundesbern zu langsam?
Ich trete schon lieber aufs Gas. Manchmal spricht man Jahrzehnte über Projekte, bis sie zustande kommen. Aber ich weiss ja, wies funktioniert. Ich schiebe Dinge nicht gern auf die lange Bank.
Zu reden gibt Ihr leuchtblauer Anzug, den Sie oft tragen.
Davon habe ich auch schon gehört (lacht). Ich habe zwei davon. Blau ist meine Lieblingsfarbe.
Wer kauft die Anzüge?
Ich selber. Wenn das zu reden gibt, ist offenbar sonst nichts Schlimmeres passiert.
Zum Schluss eine Frage zur Weltlage …
… der Bundesrat ist sehr besorgt, auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Wir versuchen, ein neutraler Vermittler zu sein, etwa mit der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock.
Macht Ihnen die Situation persönlich auch Angst?
Ja, das macht Angst. Gerade der Konflikt Iran-Israel. Die Tausenden von Menschen, die in all den Kriegen täglich ihr Leben verlieren. Die Aufgabe als Bundesrat ist intensiv und anstrengend. Aber wenn ich sehe, was sonst auf der Welt passiert, erkenne ich, wie privilegiert ich bin. Und ich versuche, meinen Teil zur Verbesserung beizutragen.