Es ist fast wie in ihren Kindheitserinnerungen: frischer Schnee auf den Feldern rund um ihr Elternhaus in Eschenbach LU, der kleine Hügel noch immer gut für eine Fahrt mit den Bobschlitten. Doch beim Schlittenziehen haben die Zwillinge Eveline und Rahel Rebsamen, 26, heute Zusatzgewicht: Eveline ihren Sohn Kenechukwu, Rahel ihre Tochter Maliyah, beide 1. Kein Problem, sind sich die Frauen doch Berufes halber weitaus schwerere Schlitten gewohnt: Sie gehören zu den besten Schweizer Bobfahrerinnen. Nun kehren sie als Mamis zurück in den Sport.
Damit gehören sie mit Triathletin Nicola Spirig und Biathletin Selina Gasparin in der Schweiz zu den Ausnahmen. Weltweit sind sie zusammen mit Weltmeisterin Elana Meyers Taylor gar die ersten Bobfahrerinnen, die als Mütter das Comeback geben und den Eiskanal wieder mit weit über 100 Stundenkilometern hinabrasen. «Wir wollen Vorbilder sein. Weil wir merken: Der Weg zur Akzeptanz für Mütter im Leistungssport ist noch weit.»
Rahel und Eveline Rebsamen erfahren innerhalb weniger Wochen von ihren ungeplanten Schwangerschaften. Sie wissen schnell: Sie wollen in den Bobsport zurück. «Ich würde es sonst bereuen, denken, was wäre wenn», sagt Rahel. «Wir haben unser Potenzial nicht ausgeschöpft.» Doch die neue Situation verändert vieles. Die Schwestern entscheiden, nicht mehr als Team Rebsamen mit Eveline als Pilotin und Rahel als Anschieberin zu starten, sondern beide als Anschieberinnen. Keiner von ihnen ist es mit Baby möglich, den organisatorischen und finanziellen Aufwand einer Pilotin – rund 100 000 Franken jährlich – zu stemmen.
Ihre Partner – Rahels Freund ist Schreiner und Bobfahrer, Evelines Informatiker – und ihre Familien unterstützen sie. Beim Verband Swiss Sliding stossen sie jedoch auf Erstaunen. Ihr Ranking wird während der vergangenen Saison aber immerhin eingefroren. Dennoch kämpfen Eveline und Rahel um Verständnis: «Wir werden unterstützt, solange wir so tun, als hätten wir keine Kinder. Doch wir sind Mamis und Bobfahrerinnen. Unmöglich, das zu trennen», sagt Eveline, die wie Rahel noch Teilzeit arbeitet und als Sportsoldatin Geld verdient.
Fabienne Meyer, Sportchefin Bob von Swiss Sliding, entgegnet: «Wir setzen alles daran, Speziallösungen zu finden, wo wir können. Doch der Rennkalender etwa oder die Bedingungen des Militärs sind vorgegeben, zudem benötigen die Pilotinnen Planungssicherheit.»
Positiv überrascht werden die Schwestern von der Schweizer Sporthilfe, die den finanziellen Support nahtlos fortsetzt. Diese Entwicklung ist auch der Kampagne «Frau und Spitzensport» zu verdanken. Mit dem Projekt will Swiss Olympic Themen wie Menstruation und Schwangerschaft enttabuisieren. «Athletinnen und Verbände sind oft überfordert, wenn eine Sportlerin schwanger ist und nach der Geburt weiter Spitzensport betreiben will», sagt die frühere Marathonläuferin und Projektleiterin Maja Neuenschwander. Ihre Vision: Verbände und Sponsoren regeln in einer Vertragsklausel Zahlungen im Falle von Schwangerschaften. In der Arbeitswelt längst normal – in der Sportwelt noch immer ungewöhnlich.
Zum Kampf um Akzeptanz kommt die körperliche Herausforderung. Ihre Leistungsfähigkeit sei heute etwa bei 70 Prozent. «Mein Rumpf ist nicht mehr so stabil», sagt Rahel. Eveline fehlt es an Kraft. Beide haben durch das Stillen Gewicht verloren. Eine Anschieberin sollte 75 Kilo wiegen, die Schwestern sind fünf Kilo zu leicht. «Ich kann essen, was ich will, und nehme weiter ab», so Eveline.
Stillen und Job unter einen Hut zu bringen, ist für sie auch organisatorisch schwierig. Besonders in Corona-Zeiten sowie in Trainingslagern bei Rennen. Beim Weltcup im Januar in St. Moritz etwa, wo die beiden Ersatzfahrerinnen waren, durfte niemand Externes in ihrer Unterkunft wohnen. So mussten Rahel und Eveline für ihre Kinder und die Babysitterin – ihre Mutter – eine Wohnung mieten und zwischen dieser, dem Hotel und der Bobbahn hin- und herpendeln. «Vieles spricht fürs Abstillen. Mein Sohn ist aber noch nicht bereit», sagt Eveline. «Die Kinder haben immer Priorität.»
Diesen Worten lässt sie Taten folgen: Als klar wird, dass sie ihr Baby nicht zur WM im ostdeutschen Altenberg mitnehmen kann, bricht sie die Saison ab. «Einerseits habe ich gemerkt, dass ich als Anschieberin das Herz nicht bei der Sache habe. Andererseits will ich noch nicht so lange ohne meinen Sohn verreisen.»
Ihr grosser Traum, als Mamis wieder als Team Rebsamen an den Start zu gehen, lebt weiter. So wie auch ihre unverhoffte Pionierarbeit.