Zielstrebig, explosiv, sprungkräftig. So bewegt sich nicht nur Katze Eira, sondern auch Frauchen Angelica Moser durchs Leben. Die Ziele einmal im Visier, lässt beide kaum etwas von ihrem Vorhaben abbringen. Ausruhen? Fehlanzeige. Die Versuche, mit Eira zu kuscheln, scheitern. Und auch für Stabhochspringerin Moser gilt: Auf dem Sofa sitzen – das macht sie praktisch nur für Interviews. «Ich schlafe gerne viel, doch wenn ich wach bin, muss immer etwas laufen.»
Etwas ruhiger kann sie es in diesen Tage angehen lassen. Immerhin ist sie gerade von der Leichtathletik-Hallen-EM im polnischen Torun zurückgekommen – sensationell mit Gold im Gepäck. Nun verbringt Moser, die unter der Woche in Biel wohnt und in Magglingen trainiert, ein paar freie Tage im Elternhaus in Andelfingen ZH.
Der Hallen-EM-Titel ist der grösste Erfolg in der Karriere der jungen, aber bereits erfahrenen Sportlerin und «einer der schönsten Momente, die ich je erlebt habe». Überhaupt ist das Schweizer Team in Torun im Hoch: Mosers Teamkollegin Ajla Del Ponte, 24, wird Europameisterin im 60-Meter-Sprint. «Im Stadion hatte es keine Zuschauer, dafür haben sich alle im Schweizer Team gegenseitig angefeuert wie kein anderes Land, das war mega motivierend und schön», erzählt Moser.
Wenn es zählt, liefert sie
Unter den «Hopp Angi»-Rufen des Teams schafft sie zuerst 4,70 Meter und verbessert damit locker ihre vorherige Bestleistung von 4,66 Metern. Danach springt sie nochmals fünf Zentimeter höher und zu Gold. Damit übertrifft
die ehrgeizige Athletin ihre Erwartungen – und auch ihre Trainingsleistungen. «Ich gebe immer 100 Prozent, aber mit Anspannung und Adrenalin kann ich noch mehr aus mir herausholen», sagt die BWL-Studentin. Dass sie am besten leisten kann, wenns zählt, hat sie schon etliche Male bewiesen. Ob an Junioren-WM, -EM oder an Olympischen Jugendspielen – an internationalen Grossanlässen holte Moser bisher stets Goldmedaillen. Selbst an der U23-EM 2019, als sie verletzt und mit grossen Schmerzen antrat, gewann sie.
«Ich bin erleichtert, nicht mehr ständig ans Essen zu denken»
Angelica Moser
Auch wenn sie gut mit Druck umgehen kann, hinterliessen solche Momente Spuren. Sie hörte oft – wenn auch nicht von ihrem nahen Umfeld: Angelica gewinnt ja sowieso. «Dabei wissen die Leute nicht, was man alles durchmacht und was alles hinter diesen Leistungen steckt.» Für sie ist deshalb der erste grosse Sieg in der Elite keine Selbstverständlichkeit. In den vergangenen Jahren war Moser etliche Male verletzt. Zudem führte sie einen stillen Kampf gegen eine Essstörung, über die sie im Herbst 2020 erstmals offen sprach.
Ein Teufelskreis, aus dem sie nicht ausbrechen kann
In einer Sportart, in der das Last-Kraft-Verhältnis direkten Einfluss auf die Leistung hat, ist der Druck gross, möglichst leicht zu sein. Bereits als Teenager ist das Thema Gewicht bei Moser omnipräsent. Sie hält immer striktere Diäten, schränkt sich beim Essen mehr und mehr ein – und kompensiert dann mit Fressattacken. Zudem plagt sie ein schlechtes Gewissen. Ein Teufelskreis. «Ich habe es einfach nicht geschafft, da auszubrechen», sagt sie.
Zu Beginn des ersten Lockdowns gelingt es ihr endlich. Sie vertraut sich ihrer Mutter an. Zusammen suchen sie professionelle Hilfe. «Heute geht es mir sehr gut. Ich bin erleichtert, nicht mehr ständig ans Essen zu denken und mich auf andere Sachen konzentrieren zu können.» Monatliche Therapiesitzungen helfen ihr, dass das so bleibt. Die sportlichen Resultate widerspiegeln Mosers Gemütszustand. Doch sie hält fest: «Ich bin zwar im Alltag besser drauf, weniger gereizt. Doch deswegen springe ich jetzt nicht plötzlich höher. Das ist vor allem dem harten, täglichen Training zu verdanken.»
«Nicole Büchler zeigte mir, was alles möglich ist»
Mit dem Franzosen Damien Inocencio hat die Europameisterin seit einem Monat einen neuen Trainer zur Seite. Ihr langjähriger Coach Herbert Czingon ging in Pension. In der Übergangsphase half ihr die ehemalige Stabhochspringerin Nicole Büchler, die mit 4,80 Metern immer noch den Schweizer Hallenrekord hält. «Ich sah sie nie als Konkurrentin, sondern als Vorbild und Wegbereiterin. Nicole zeigte mir, was alles möglich ist», sagt Moser.
Auch Mosers Familie trägt viel zum Erfolg bei: Mutter Monika, 55, studierte Biochemikerin und früher erfolgreiche Siebenkämpferin, ist ihre Co-Trainerin. Vater Severin, 58, CEO von Allianz Suisse, war als Zehnkämpfer bei Olympia 1988 in Seoul und führte zuerst die ältere Schwester Jasmine, 25, ins Stabhochspringen ein. Angelica, die bis heute noch wöchentlich kunstturnt, folgte dann als Zwölfjährige in Schwesters Fussstapfen.
Vier Bildschirme für den grossen Moment
Die Familie unterstützt Moser normalerweise auch an Wettkämpfen vor Ort. Diese Saison ist Corona-bedingt alles anders. Während Angelica zu
ihrem bisher grössten Erfolgssprung ansetzt, platzierten die Eltern zu Hause vier Bildschirme vor sich: zwei mit verschiedenen Livestreams, einer mit den Resultaten und einer mit einem Zoom-Videocall mit Freunden und
Unterstützern. «Ich war extrem nervös, konnte gar nicht still sitzen», sagt Mutter Monika. Kaum verwunderlich, im Hause Moser.