Wenn Anna Pieri Zuercher (43) als Polizistin Isabelle Grandjean für den «Tatort» ermittelt, steht ihr Kollegin Tessa Ott (gespielt von Carol Schuler, 35) zur Seite. Als starkes Frauen-Duo sind sie den Kriminellen in Zürich auf der Spur und tauchen in mal mehr, mal weniger komplexe Fälle ein. Ausser den Hauptkommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, 55) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba, 45), die in Hannover auf Verbrecherjagd gehen, sind die beiden Schweizerinnen das einzige, ausschliesslich weibliche Paar, das die Krimireihe zu bieten hat.
Auf der anderen Seite stehen gleich in sechs deutschen Städten jeweils reine Männer-Gespanne im Einsatz, darunter so bekannte Grössen wie Kriminalhauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl, 61) und Rechtsmediziner Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne (gespielt von Jan Josef Liefers, 57) in Münster oder die beiden Ermittler in München, Ivo Batic und Franz Leitmayr, jeweils verkörpert von Miroslav Nemec (67) und Udo Wachtveitl (63).
Dafür hat Zuercher wenig Verständnis und wirft ihren deutschen Kollegen mangelnde Diversität vor. «Man spricht ein viel breiteres Publikum an, wenn sich jeder in irgendeiner Figur wiederfinden kann. Alle Menschen sollten im ‹Tatort› repräsentiert werden, nicht nur über 40-jährige weisse Männer. Natürlich, es gibt auch viele Frauenteams oder jüngere Ermittlerinnen und Ermittler, aber dennoch erkenne ich selbst mich nur selten, wenn ich ‹Tatort› schaue. Der ‹Tatort› muss offen sein für Diversität, nicht nur was Geschlechter angeht», sagt die Westschweizerin in einem Interview mit «t-online.de».
Ein grosser «Tatort»-Fan ist Zuercher aber trotzdem, nur selten verpasst sie eine Folge. «Ich schaue ‹Tatort› schon allein, um mein Deutsch zu verbessern. Aber auch so mag ich die Fälle der anderen Städte. Es ist jeden Sonntag eine Überraschung, man weiss nie, was man bekommt», erzählt die Tochter einer Italienerin und eines Deutschschweizers.
Besonders gerne mag sie die Kommissare aus Dresden und Berlin und das Team aus Stuttgart sowie die beiden jungen Ermittler aus Saarbrücken. Und manchmal muss sich die französische Muttersprachlerin auch ganz besonders anstrengen, wenn sie den Dialogen folgen will. «Manche Teams sind für mich sehr schwierig zu verstehen, weil sie so einen starken Dialekt haben – insbesondere das aus München –, aber ich schaue sie trotzdem alle.»
Dass der dritte Fall aus Zürich, zumindest was die Zahlen betrifft, bei den Zuschauern durchfiel und enttäuschte, dürfte auch Pieri nicht kalt lassen. «Schattenkinder» erzielte die schlechteste Krimi-Quote des Jahres, nur gerade 6,84 Millionen Menschen schalteten am vorletzten Sonntag ein. So wenige wie noch nie in diesem Jahr bei einer «Tatort»-Folge.
Doch die Mutter eines Sohnes hat gelernt, mit Kritik umzugehen. «Kritik ist Teil meines Berufes, das bedeutet nicht, dass ich unsensibel bin, aber sie ist notwendig. Wenn ich keine Kritik wollen würde, würde ich bei der Post oder bei der Bank arbeiten – aber ich mache Kunst. Ich nehme Kritik nicht persönlich und wenn sie konstruktiv ist und ich was verbessern kann, dann tue ich das auch.»
Auch im Nachhinein schaut sich Pieri an, was so über den jüngsten Wurf geschrieben wurde. «Das ist beim ‹Tatort› so speziell, die Menschen tauschen sich darüber aus und teilen ihre Meinung dazu. So was habe ich bisher bei keiner anderen Serie erlebt. Wir machen den ‹Tatort› nicht, um Reaktionen zu provozieren, sondern wollen einfach, dass die Leute am Sonntagabend eine gute Zeit mit einem guten Krimi haben.»