Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit wartet Lukas Brosi (45) beim Treffpunkt unter der grossen Anzeigetafel des Check-in 1. «Wir reden heute ja auch über Pünktlichkeit. Da wollte ich Ihnen keine Steilvorlage bieten», sagt er und lacht. Der Chef des Flughafens Zürich führt zum alten Kontrollturm, wo das Interview stattfindet. Kaum oben angekommen, schaut er aus dem grossen Fenster. «Wir fliegen heute im Ostkonzept. Wegen des Windes», stellt er mit einem Blick fest. Brosi kennt den Flughafen gut – er arbeitet seit 15 Jahren hier.
Wer am Flughafen ankommt, freut sich meist schon auf den Campari Soda über den Wolken. Oft führen aber erst mal Verspätungen zu Frust. Laut einer Analyse waren 40 Prozent der Flüge ab Zürich diesen Sommer im Verzug. Damit gehört Ihr Flughafen zu den vier unpünktlichsten Europas. Was machen Sie falsch?
Lukas Brosi: Verspätungen sind weder für die Passagiere angenehm noch für die Airlines und auch nicht für uns. Aber die Situation hat sich gegenüber dem Vorjahr schon verbessert. Wir arbeiten an verschiedenen Massnahmen. Zum Beispiel steht eine zusätzliche Person zur Verfügung, die Wetterdaten noch genauer analysiert, um Betriebsumstellungen zu vermeiden, wenn sie nicht notwendig sind. Mit den Sommermonaten Juli und August sind wir gar nicht zufrieden. Wegen des Wetters kam es oft zu Verzögerungen.
Gibt es immer mehr solche Naturereignisse, die den Betrieb beeinflussen?
Schwierig zu beantworten. Ich bin kein Meteorologe. Aber in der Tendenz nehmen sie zu. Ausserdem gibt es weitere Faktoren, die wir nicht beeinflussen können.
Welche?
Die geopolitische Situation etwa. Wenn über Russland oder dem Nahen Osten der Flugraum gesperrt ist, führt das zu Engpässen im europäischen Flugverkehr.
Zu den zehn saubersten Flughäfen der Welt zählt nur einer aus Europa: Zürich! Wie viel investieren Sie in die Sauberkeit?
Bei uns arbeiten 300 Angestellte in der Reinigung. Qualität und Hygiene spielen eine wichtige Rolle. Wir werden nie zum grössten Flughafen Europas. Aber wir wollen der beste sein. Darum investieren wir in diesem Bereich auch in neue Technologien. Künstliche Intelligenz etwa. Unsere 600 WC-Anlagen haben wir mit einem System ausgerüstet, das erkennt, wie stark sie benutzt werden und wo und wann etwa Seife oder Toilettenpapier gebraucht wird. Das System passt den Reinigungsplan automatisch an.
Sie testen zurzeit zwei neue CT-Scanner bei der Sicherheitskontrolle. Wie läuft es?
Wir haben ein sehr gutes Feedback! Die neue Technologie erhöht vor allem den Passagierkomfort. Man muss nichts mehr aus dem Handgepäck nehmen. Nächstes Jahr wollen wir alle 26 Sicherheitskontrolllinien mit dieser Technologie ausstatten. Das kostet uns 40 Millionen Franken. Ah, schauen Sie! (Er blickt aus dem Fenster.) Da kommt grad eine Boeing 777. Die grösste Langstreckenmaschine der Swiss. Ein Anblick, der auch nach 15 Jahren nicht langweilig wird.
Haben Sie aus Ihrem Büro auch so eine Aussicht auf den Flugbetrieb wie hier?
Nicht wie hier, leider! Mein Büro ist in der neuen Circle-Überbauung nebenan.
Wann haben Sie es strenger, während der Sommer- oder der Herbstferien?
Jetzt im Herbst ist für uns die Auslastung sehr hoch. Im Sommer fliegen zwar mehr Leute, verteilen sich aber besser, weil die Ferien länger und gestaffelt sind. Diesen Sommer lag der Rekordtag bei 111 000 Passagieren. Das Allzeithöchst betrug 115 000 im Sommer 2019.
Wo fliegen die Leute aktuell hin?
Märkte wie Nordamerika und der Mittelmeerraum haben zum Beispiel die Werte von 2019 – vor der Pandemie – schon deutlich übertroffen.
Letztes Jahr sind fast 30 Millionen Passagiere über Zürich geflogen. Ihr Vorgänger, Stephan Widrig, sagte, dass man bis 2040 mit 50 Millionen Passagieren rechnen kann. Ist das realistisch?
Wir haben kein Wachstumsziel. Unsere Aufgabe ist es, die Infrastruktur so weiterzuentwickeln, wie es die Bedürfnisse aus dem Markt und der Gesellschaft erfordern. Wenn die Bevölkerung in der Schweiz und die Wirtschaft weiter wachsen, könnten wir das stemmen.
Wie oft fliegen Sie selbst?
Beruflich vier- bis fünfmal im Jahr. Privat zweimal – dieses Jahr nach Dubai und Italien –, und zweimal bleiben wir in der Schweiz. Ein guter Mix, wie ich finde.
Müssen Sie dann auch anstehen wie alle anderen?
Ja, muss ich. Ich mache das auch gern. So kann ich schauen, ob alles funktioniert. Manchmal werde ich vom Personal erkannt.
Ihre zwei Kinder sind Teenager, gehören also zur Klimastreik-Generation. Ist Flugscham ein Thema am Familientisch?
Nein, ist sie nicht. Es gibt aus meiner Sicht kaum eine Industrie, die so viel in das Klima investiert wie die Luftfahrt. Daher habe ich ein gutes Gewissen. Als Flughafen Zürich AG haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis 2040 unseren Ausstoss von Treibhausgasen auf netto null zu senken. Da investieren wir 300 Millionen Franken in den nächsten zehn Jahren.
Aber in dieser Rechnung ist der Flugbetrieb nicht einkalkuliert.
Wir selbst können nur die Infrastruktur direkt beeinflussen. Als Hausherr des Flughafens müssen wir ermöglichen, dass die Airlines Zugang zu alternativem Treibstoff haben. Nur ein ganz kleiner Teil der Reisenden kompensiert den Flug heute freiwillig. Deshalb muss die Industrie das Thema angehen und lösen.
Zurzeit baut die Flughafen Zürich AG einen neuen Flughafen für 750 Millionen Franken und wird diesen auch betreiben – in Indien! Was steckt dahinter?
Erst gerade letzte Woche war ich dort. Ein faszinierendes Projekt! Das internationale Geschäft ist Teil unserer Entwicklungsstrategie. Als Firma werden wir in der Schweiz in unserem Kerngeschäft – dem Betrieb des Flughafens Zürich – irgendwann an eine Wachstumsgrenze stossen.
Sie erhalten Ihren Auftrag zum Betrieb des Flughafens Zürich vom Bund, der Kanton ist grösster Aktionär. Wie passt da ein solches Projekt im Ausland dazu?
Das internationale Geschäft für uns als börsenkotierte Firma ist wichtig, um langfristig das Wachstum zu sichern. Es ist eine grosse Chance, einen Hauptstadtflughafen für Indien zu bauen. Im kommenden April soll es losgehen mit einer Kapazität von bis zu zwölf Millionen Passagieren pro Jahr. Wir gehen aber davon aus, dass wir relativ schnell für mehr Menschen ausbauen müssen.
Sie betreiben zudem neun Flughäfen in Lateinamerika. Warum gerade dort?
Diese Länder haben sich entschieden, ihre Flughäfen zu privatisieren. Dort sind wir sehr willkommen, weil wir zur Landesinfrastruktur beitragen und dadurch Wohlstand ermöglichen. Wir schaffen sichere Arbeitsplätze vor Ort. Die Anerkennung dafür ist etwas, was die Politik in der Schweiz uns gegenüber vermissen lässt. Stattdessen spüre ich einen sehr starken Druck von immer mehr Einschränkungen.
Was unternehmen Sie dagegen?
Wir setzen uns jeden Tag für einen gut funktionierenden Flughafen Zürich ein. Dazu gehört auch, dass die Rahmenbedingungen nicht weiter eingeschränkt werden dürfen. Deshalb müssen wir in ständigem Dialog bleiben – mit der Bevölkerung und mit der Politik.