Freitagmorgen, Schiffstation Weggis LU. Marco Kunz, 35, schnürt seine Wanderschuhe, schultert den Rucksack. Es geht los. Statt wie andere frühmorgens einer Strasse entlangzujoggen, wandert der Mundartmusiker vom Vierwaldstättersee aus nach Rigi Kaltbad. Natürlich ist er auch gern mit anderen unterwegs, mit der Familie oder mit Freunden, «aber wenn man allein loszieht, ist es etwas anderes. Man lässt die Gedanken schweifen, beschäftigt sich mit anderen Dingen, auch mit sich selbst. Das brauchts ab und zu.»
Vom malerischen Ort aus geht es bergauf, zuerst durch Weiler – wo auch mal ein Schwatz an einem Gartenzaun drinliegt –, dann über Wiesen und Wanderwege. Die Aussicht über Tal, See und Berge wird immer spektakulärer. Bei jedem kurzen Halt lässt Kunz den Blick schweifen und strahlt. «So schön. Und so nah.»
Erst gerade ist er mit seiner kleinen Familie – Frau Jenny und Söhnchen Emil, 1, – nach drei Jahren in Zürich an den Stadtrand von Luzern gezogen. Zurück nach Hause. Die Gegend hier kennt Kunz wie seine Hosentasche – was nicht bedeutet, dass er sich nicht auch mal verlaufen kann, wenn er zu fest seinen Gedanken nachhängt.
Von Marcos besonderer Liebe zur Rigi zeugt die Tatsache, dass Jenny und er hier im September 2018 auf einer Wanderung mit 140 Leuten ihre Hochzeit feierten. «Das war mehr oder weniger ein spontaner Einfall. Wir wussten immer, dass eine klassische Trauung für uns nicht infrage kommt. Das hat total zu uns gepasst.» Ansonsten kann sich der Musiker aber durchaus mit klassischen Werten anfreunden. Ehe, ein gemeinsamer Familienname – Kunz – und das Familienleben sind wichtig für ihn. «Ich finde es schön, dies einem Kind bieten zu können. Meine beiden Schwestern und ich sind auch so aufgewachsen.»
Zeit für eine Pause und einen Snack. Kunz packt ein Brötli, Käse, einen Apfel und Rüebli aus. Letztere tunkt er in Senf. «Dann ists fast wie Cervelat», meint er lachend. Er esse schon Fleisch, aber nur einmal pro Woche. Gekauft wird es bei einem befreundeten Bauern. Nachhaltigkeit und Ernährung sind grosse Themen im Hause Kunz. Sohn Emil wird bislang zuckerfrei ernährt. Daran halten sich auch die Grosseltern, wenn sie den Kleinen hüten. «Wir machen das jetzt einfach, solange es geht», sagt Marco Kunz. «Natürlich wird er irgendwann auch mal ein Stück Kuchen oder ein Glace bekommen.»
Die Betreuung haben sich Jenny und Marco fifty-fifty aufgeteilt. «Das war von Anfang an klar», sagt er. Beide lieben ihren Job – Jenny ist Projektmanagerin bei der Migros –, beide möchten aber auch möglichst viel Zeit mit ihrem Sohn verbringen. Dabei attestiert Kunz sich selbst, der strengere Elternteil zu sein. «Wer einmal nachgibt, hat verloren.» Das Papisein gebe allem mehr Sinn. «Meinen Sohn aufwachsen zu sehen, ihn zu begleiten, ist unglaublich schön.» Und unglaublich streng. Der Mundartstar sieht die Vaterschaft nicht nur durch die rosarote Brille. «Kinder brauchen viel Zeit und viel Energie. Beides hat man nur begrenzt.» Trotzdem wäre ein zweites Kind irgendwann schön. «Aber eins nach dem anderen.»
Es ist Zeit aufzubrechen. Kunz packt seine Sachen in den Rucksack, macht sich auf den Weg zur Luftseilbahn, begleitet von neugierigen Blicken und aufgeregtem Getuschel. Ihn anzusprechen, traut sich heute niemand. Seit er Teil des TV-Knüllers «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» war, geschieht dies wesentlich öfter. Obwohl er auch vorher musikalisch schon super erfolgreich war – vier seiner fünf Alben toppten die Schweizer Hitparade. «Aber das Fernsehen sorgt nochmals für einen neuen Bekanntheitsgrad bei einem Publikum, das ich zuvor nicht erreicht habe.»
Dabei hat er anfangs mit seiner Zusage für die Show gezögert. Der Grund: Gedreht wurde auf der spanischen Insel Gran Canaria, und Kunz hat sich selbst aus umwelttechnischen Gründen ein Flugverbot auferlegt. Die Chance war dann aber doch zu verlockend, um sie nicht zu packen. «Ich konnte nicht nur meinen Fans ganz andere Seiten von mir zeigen, sondern auch neue Anhänger für meine Musik gewinnen.» Kein Wunder also, dass sein aktuelles Album «Mai» direkt an die Spitze der Charts wanderte. «Das freut mich und zeigt, wie sehr die Leute das schätzen, was wir Musiker tun.» Ein Zeichen, dass Künstler systemrelevant seien: «Wir bieten nicht nur Unterhaltung, sondern auch Hoffnung und Nahrung für die Psyche.»
Kunz kann es kaum erwarten, wieder auf der Bühne zu stehen. «Dafür macht man doch Musik.» Im stillen Kämmerlein allein Songs komponieren und diese dann vor einem digitalen Publikum am Computer aufzuführen, sei gar nicht sein Ding. Ausserdem wolle er endlich wieder Geld verdienen und nicht vom Staat finanziert werden. Auch wenn er keine Existenzängste hatte, hinterfragte der gelernte Baupolier im vergangenen Jahr «das Konzept meines Berufes schon immer wieder. Ich fragte mich, ob es mehr Sinn macht, zurück auf den Bau zu gehen.» Inzwischen ist er aber sicher, dass es richtig war, alles auf die Mundart-Folk-Karte gesetzt zu haben. Schliesslich «esch d Musig e den Ohre e läbeslangi Liebesgschicht», wie Kunz im Song «Musig» singt. Und diese muss endlich auch wieder live erzählt werden.