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Beim ersten SI-Stammtisch in Mulegns GR diskutieren Bundespräsident Guy Parmelin und UBS-Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse mit unseren Leserinnen und Lesern. Über Homeoffice, Digitalisierung und das Treffen von Biden und Putin. Sina Albisetti
SI Stammtisch in Graubünden

Auf einen Kafi mit Guy Parmelin

Der erste SI-Stammtisch ist ein Gipfeltreffen auf 1481 m ü. M.: In Mulegns am Julierpass diskutieren Bundespräsident Guy Parmelin und UBS-Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse mit unseren Leserinnen und Lesern. Über Homeoffice, Digitalisierung und den Gipfel in Genf.

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Mulegns im bündnerischen Surses: Einst wurden hier die Pferde der Postkutsche gewechselt. Heute wohnen hier noch 16 Menschen am Julierpass. Allmählich kehrt Leben ins Dorf zurück. Die legendäre Weisse Villa wurde in einer spektakulären Aktion von der Strasse weg versetzt – und ist heute als Zuckerbäcker-Café wieder auferstanden. Vor den Toren des Ortes kommt es sogar zu einer Weltpremiere: ein 29 Meter hoher Turm wird die weltweit höchste Baute sein, die von Robotern im 3-D-Verfahren gedruckt wird.

GENEVA, SWITZERLAND – JUNE 16, 2021: Switzerland's President Guy Parmelin (C) welcomes Russia's President Vladimir Putin (L) and US President Joe Biden (R) at the Villa La Grange ahead of a Russia-United States summit. Sergei Bobylev/TASS/Sipa USA

Vom Gipfel in Genf mit den Präsidenten Wladimir Putin (l.) und Joe Biden (r.) in der vergangenen Woche …

Dukas

Dienstag, 9 Uhr: Im Café Zuckerbäckerei sitzen an zwei Vierertischen Bundespräsident Guy Parmelin, 61, UBS-Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse, 55, Gian Reto Staub, 44, künftiger UBS-Regionaldirektor Ostschweiz, und aus der SI-Leserschaft Milena Keller, 26, Lehrerin aus Wil SG, ihre Mutter Eliane Keller, 54, und Martin Rüfenacht, 50, Elektroingenieur von Horriwil SO.

Herr Bundespräsident, wo ist die Anspannung grösser – mit Biden und Putin letzte Woche oder jetzt am Stammtisch?
Guy Parmelin: Der Stress ist ähnlich gross wie vor einer Woche (schmunzelt). Der Kontakt mit den Bürgern ist bekanntlich die Basis der politischen Arbeit. Bei diesen Begegnungen weiss ich nie, welche Themen auf mich zukommen. Bei Biden und Putin dagegen war vieles vorbereitet. Der grosse Unterschied: In Genf gabs Tausende Menschen allein in der Organisation des Anlasses; hier dagegen leben 16 Menschen.

Sabine Keller-Busse: Es ist eine grosse Ehre, dass die Schweiz immer wieder eine Plattform für die internationale Diplomatie bieten kann. Das ist eine gute Grundlage für das, was für unser Land wichtig ist: gute internationale politische und wirtschaftliche Beziehungen. Dieser weltpolitische Anlass hat sicher auch unserem Wirtschaftsstandort geholfen.

Stammtisch BR Parmelin, Mulegns

… zum SI-Stammtisch in Mulegns mit Leserin Milena Keller (l.) und UBS-Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse.

Kurt Reichenbach

«Am Stammtisch weiss ich nicht, was jemand sagen wird – in Genf war vieles vorbereitet»

Guy Parmelin

Nach dem Gipfel entstand das Gefühl, dass die einzigen echten Sieger wir Schweizer waren.
Parmelin: Es war vor allem wichtig, dass sich die beiden Grossmächte, die im Besitz von Atomwaffen sind, wieder physisch an einen Tisch setzten. Es gibt momentan viele Brennpunkte und Konfliktherde: Weissrussland, Ukraine, die baltischen Länder, die Nato-Diskussion. Ich denke, wir haben unsere Chance genutzt. Die Schweiz hat eine perfekte Organisation geliefert – vor allem auch sicherheitstechnisch. Es war alles auf die Minute organisiert und extrem getaktet. Der Druck war gross, Fehler durften wir uns nicht erlauben. Und wir erhielten als Schweiz 30 bis 40 Minuten, um mit beiden Grossmächten je ein separates Gespräch zu führen.

Willkommen am SI Stammtisch

Der SI Stammtisch ist eine publizistische Initiative der Schweizer Illustrierten und Illustré in Zusammenarbeit mit DEAR Foundation-Solidarité Suisse und UBS Schweiz.

Wie stellt man sich auf solche Grossanlässe ein?
Nicht mit Yoga, dafür bin ich zu unbeweglich (lacht). Ein solcher Gipfel ist eine einmalige Chance: Man muss konzentriert und hellwach sein – und man muss sich strikt ans Protokoll halten. Aber das gilt auch, wenn man sich mit den Bürgerinnen und Bürgern an den Stammtisch setzt.

Wie wirkten die beiden mächtigsten Menschen der Welt auf Sie?
Beide waren sehr gut vorbereitet und beraten. Aber beide haben komplett verschiedene Stile. Biden etwa war auch sehr beeindruckt von der Landschaft.

Darum haben Sie also mit ihm über das Paradies Schweiz geredet, aber nicht übers Steuerparadies Schweiz.
Genau. Ich habe ihm aber gesagt, dass wir die OECD-Richtlinien einhalten. Gewisse Dinge kann man aber nicht planen. Als eine Limousine vorfuhr und ich Putin begrüssen wollte, stieg stattdessen Aussenminister Lawrow aus.

Keller-Busse (lacht): Aber sonst war das Timing perfekt. Innerhalb von wenigen Wochen wurde ein beeindruckender Organisationsapparat hochgefahren – von null auf hundert.

Milena Keller: Frau Keller-Busse, ich habe eine persönliche Frage. Ich bin dabei, mich im Berufsleben zu etablieren. Und zweifle auch mal an mir. Hatten Sie je das Gefühl, dass Sie als Frau mehr leisten mussten als ein Mann?

Stammtisch BR Parmelin, Mulegns

Sabine Keller-Busse lobt den Bundespräsidenten: «Der Gipfel in Genf hat unserem Wirtschaftsstandort sicher geholfen.»

Kurt Reichenbach

Keller-Busse: Auch ich habe Momente, in denen ich zweifle. Diese hat jede und jeder. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass ich mehr leisten muss als ein Mann. Am Ende ist es wichtig, auf sich selbst zu vertrauen. Wenn man Zweifel überwindet, ist dies ein besonders schönes Erlebnis – wie wenn man einen Berg erklimmt. Es braucht aber auch ein gutes Umfeld, das einen gelegentlich anstupst. Selbstverständlich ist auch Ehrgeiz in einem gesunden Rahmen hilfreich. Und wenn man etwas erreichen will, muss man Netzwerke kreieren, die einen positiv verstärken, aber auch ehrliche Rückmeldungen geben.

Milena Keller: Als Lehrerin frage ich mich manchmal, wie ich auch bildungsferne Kinder abholen kann.

Keller-Busse: Es geht alles über Begeisterung. Kinder sind offen und neugierig. Ich finde es wichtig, dass man die Leidenschaft von Kindern weckt und fördert. Etwas mit Herzblut machen war mir stets ein persönlich wichtiges Anliegen. Ich mache die Erfahrung, dass die Schulkinder von heute sehr weit sind. Meine Kinder haben schon in der Primarschule viele verschiedene Impulse erhalten. Etwa mit der Schule in Zürich das Kunsthaus besucht und sich mit Miró beschäftigt. Zu meiner Zeit war dies noch anders.

Wie verlief die Umstellung auf den digitalen Unterricht zu Beginn der Pandemie?
Milena Keller: Zu Beginn hatten wir bei uns praktisch keine digitalen Instrumente zur Verfügung. Doch dann ging es schnell. Sukzessive haben wir digitale Plattformen geschaffen und den Unterricht komplett umgestellt. Das grösste Problem war aber, dass viele Kinder zu Hause keine Struktur mehr hatten.

Keller-Busse: Kinder sind heute digitale Profis. Aber alle sind während der Pandemie digitaler geworden. So gab es Grosseltern, die im Lockdown ihren Enkeln per Zoom Geschichten vorgelesen haben.

Parmelin: Der beschleunigte Prozess der Digitalisierung bringt viele Vorteile, die uns erhalten bleiben werden. Beispielsweise führten wir früher die Vorbereitungsgespräche für die Bundesratssitzung am Montag immer physisch durch. Nun geschieht dies digital. Doch es geht auch darum, das Gleichgewicht zu finden. Viele Menschen wollen zurück ins Büro. Dies kann ich nachvollziehen. Denn um wichtige Entscheidungen zu treffen, muss man gelegentlich zusammen einen Kaffee trinken.

Keller-Busse: Wir gehen im guten schweizerischen Sinn den Weg der goldenen Mitte. Es gibt Mitarbeitende, die Vollzeit ins Büro zurückkommen wollen, und solche, die weiterhin zum Teil von zu Hause aus arbeiten möchten. Grundsätzlich kann man sagen: Das Homeoffice-Modell funktioniert sehr gut, wenn sich die Mitarbeitenden kennen. Wir werden mehr Flexibilität für einen Mix zwischen Arbeit vom Büro und von zu Hause aus anbieten – wo dies möglich ist. Gleichzeitig werden wir aber sicherstellen, dass sich Mitarbeitende immer wieder in ihren Teams im Büro treffen und austauschen können – weil dies unerlässlich für eine gute Unternehmenskultur ist. Entsprechend werden sich traditionelle Büroräume vermehrt in Begegnungszonen umwandeln.

Stammtisch BR Parmelin, Mulegns

«Als Lehrerin frage ich mich manchmal, wie ich bildungsferne Kinder abholen kann»: Milena Keller aus Wil SG.

Kurt Reichenbach

Gian Reto Staub: Wandel gab es immer. Ich kann mich an eine mechanische Schreibmaschine auf dem Bürotisch erinnern, als ich meine erste Stelle antrat. Heute ist dies ein Relikt fürs Museum. Im Bankgeschäft ist die physische Präsenz wichtig, bei uns «menschelt es». Viele Kunden wollen einen Berater persönlich treffen. Man muss herausspüren, wann es den persönlichen Kontakt braucht. Es braucht Vertrauen, es braucht aber auch digitale Prozesse auf Knopfdruck. Der moderne Angestellte ist sozusagen ein Hybrid.

Martin Rüfenacht: In der Corona-Krise ist der Arzt am Bildschirm plötzlich von grossem Wert. Und der Bankberater auf Distanz wird geschätzt. Ich wünsche mir aber, dass wir das nächste Mal keine Krise brauchen.

Staub: Wenn du nicht willst, dass die Digitalisierung dich einholt, musst du dich vorbereiten. In Mulegns geschieht dieser Prozess vielleicht nicht so schnell wie in Zürich, aber er geschieht hier ebenfalls.

Stammtisch BR Parmelin, Mulegns

«Nur wenn man persönlich argumentiert, kann man die Menschen überzeugen», weiss Bundespräsident Parmelin.

Kurt Reichenbach

Keller-Busse: Das kann ich bestätigen. Wenn wir erst mit der Pandemie begonnen hätten, in die digitalen Möglichkeiten zu investieren, hätten wir als Land und als Bank diese Zeit kaum so gut gemeistert.

Mutter Eliane Keller: Unsere Kinder sind digital aufgewachsen. Sie kennen die technischen Prozesse aus dem Effeff. Aber wir Älteren waren anfangs überfordert. Mein Vater tut sich schwer damit, dass er nicht mehr jede Woche an den Bankschalter kann. Und als Kreisrichterin weiss ich, wie wichtig der persönliche Kontakt ist: Wenn du ein Urteil bekommst, muss das von einer realen Person ausgesprochen werden.

Tochter Milena Keller: Herr Bundespräsident, war die Pandemie auch eine Chance für die Politik, damit sich mehr Menschen dafür interessieren?

Parmelin: Ja, aber Politik braucht Geduld und Durchhaltewillen. Sie ist oft Knochenarbeit. Dass sich nun viel mehr Menschen damit befassen, spüre ich persönlich. Plötzlich werde ich von meinen Neffen und Nichten kontaktiert, die mich fragen, wie ich gewisse Dossiers sehe. Während der Pandemie wurde das politische Gespür geschärft. Das ist gut so. Wenn du dich nicht mit der Politik beschäftigst, beschäftigt sich die Politik mit dir.

«Wandel gab es immer. Die Schreibmaschine ist ein Relikt fürs Museum»

Gian Reto Staub
Stammtisch BR Parmelin, Mulegns

«Viele Kunden wollen einen Berater persönlich treffen»: Gian Reto Staub, künftiger UBS-Regionaldirektor Ostschweiz.

Kurt Reichenbach

Milena Keller: Und wie war die Situation im Bundesrat während Corona?
Parmelin: Das vergangene Jahr war eine sehr schwierige Zeit. Wir mussten schnell Entscheidungen treffen. Exakt in solchen Momenten ist es wichtig, dass man physisch präsent ist. Denn nur wenn man die Körpersprache des Diskussionspartners sieht, versteht man einander richtig. So sind wir im Bundesrat auch näher zusammengerückt. Wir wollen immer im Team entscheiden. Kritik gibts aber immer. Und damit muss man als Politiker leben können. Sonst ist man am falschen Ort.

Milena Keller: Herr Bundespräsident, wird der Wahl- und Abstimmungskampf künftig digital und in den sozialen Medien geführt?
Parmelin: Höchstens zu einem Teil. Der direkte Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern bleibt unersetzlich. Ich kann mich an eine Diskussion in einem Gemeindesaal in meiner Zeit als Nationalrat erinnern, als alle gegen mich waren. Am Schluss der Debatte haben mir 18 Personen gesagt, dass ich sie überzeugen konnte. Das waren 18 neue Stimmen. Nur wenn man persönlich argumentiert, kann man die Menschen überzeugen.

Stammtisch BR Parmelin, Mulegns

Von der Villa La Grange in Genf in die Weisse Villa von Mulegns: Gastgeber Parmelin eine Woche nach dem Gipfel am SI-Stammtisch.

Kurt Reichenbach
«Graubünden sticht so manchen aus»

Im Rahmen des SI-Stammtisches beleuchtet der UBS Kantonaler Wettbewerbsindikator jeweils kurz jeden Kanton, wo wir haltmachen.

Die Ökonomen Katharina Hofer und Claudio Saputelli sind die Autoren des UBS-Wettbewerbsindikators.«Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Graubündens ist im Vergleich zu anderen Kantonen eher unterdurchschnittlich. Aufgrund der Geografie – ein grosser Teil des Gebiets wird von Alpen bedeckt – sind dort dynamische Unternehmen mit starken Zukunftsaussichten untervertreten.

Man sollte aber auf die grossen regionalen Unterschiede im flächenmässig grössten Kanton der Schweiz achten. Zum Beispiel die Region Chur kann punkto Wettbewerbsfähigkeit mit guten Autobahn- und Zuganschlüssen ohne Weiteres mit dem Schweizer Durchschnitt mithalten.

Wettbewerbsfähigkeit rührt nicht alleine von der geografischen Lage und Infrastruktur her, sondern hat auch eine politische Dimension. Graubünden hat die Hausaufgaben gemacht und sticht so manchen urbanen Kanton aus: Es glänzt mit einer verantwortungsvollen Finanzpolitik, was sich in einer unterdurchschnittlichen Verschuldung zeigt. Beim Arbeitsmarkt gehört Graubünden mit relativ tiefer Arbeitslosenquote und wenig Langzeitarbeitslosen zu den Vorzeigekantonen.»

Von Thomas Renggli am 25. Juni 2021 - 15:38 Uhr