Es war die Zeit, als die Schweiz sich als Tourismusdestination erfand: Anfang des 20. Jahrhunderts begeisterten sich Globetrotter für die Schönheit der Berge – und legten den Grundstein für das Renommee des Ferienlandes Schweiz. 1905 entstand auch in Kandersteg BE ein Hotel, das während mehr als hundert Jahren Gäste aus aller Welt empfangen sollte. Seine beste Zeit hatte es in den 1980er- und 1990er-Jahren: Mehrfach erweitert war aus dem Gasthaus ein Hotel mit 31 Zimmern, Indoor- und Outdoor-Swimmingpool, Spa und Wellnesscenter geworden. Die exklusive Kollektion der Small Luxury Hotels of the World nahm das Royal Park Bellevue als kleinstes Mitglied auf, Hoteltester zeichneten es mit 5* Superior aus – es war das einzige Fünfsternehotel in Kandersteg.
Gefahr am Berg: Am Spitze Stei (rechts im Hintergrund) bewegen sich 20 Millionen Kubikmeter Fels. Bauen oder Umbauen von Gebäuden ist schwierig.
Thomas HodelAufräumen statt Empfangen: An der Rezeption wurden jahrzehntelang Gäste begrüsst, eine Aufräumaktion wurde unterbrochen.
Thomas HodelDer berühmteste Bürger des Dorfs, alt Bundesrat Adolf Ogi, führte seine Kollegin und seine Kollegen anlässlich der von ihm organisierten Bundessratsreise ins Hotel und quartierte im Jahr 2000 seinen Freund, den damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan, hier ein.
Doch die guten Zeiten des Royal Park Hotels Bellevue sind vorbei: Die Besitzerfamilie fand keine Nachfolgelösung, und Luxushotels sind heutzutage fast alle auf Mäzene oder ausländische Investoren angewiesen. 2011 wurde der Betrieb eingestellt, seither ist im dreistöckigen Gebäude die Zeit stehen geblieben.
Alles parat: Das Frottiertuch ist für die nächste Wellnessbehandlung bereitgelegt. Mit einer Stoffblume dekoriert.
Thomas HodelBis im Oktober vergangenen Jahres der neue Besitzer, der Spiezer Architekt Daniel Filliger, dem Berner Fotografen Thomas Hodel die Türen öffnete. Einen Tag lang durfte Hodel zusammen mit einem Fotografenkollegen das Hotel erkunden. Der erste Eindruck, als Hodel eintrat: «Drinnen war es kälter als draussen.» Vom Keller bis in den Estrich hätten sie jeden Raum besichtigt.
Prospekte, Schlüssel, Unterlagen. Im Büro des ehemaligen Luxushotels liegt alles an Material parat, das bis 2011 gebraucht wurde.
Thomas Hodel«Ich war total fasziniert, ich wusste nie, was als Nächstes kommt», erinnert er sich. Die Geschichte sei überall spürbar gewesen, in seinem Kopf seien ganze Filme abgelaufen: in der Bar zwei Gläser mit eingetrocknetem Inhalt, die Flasche daneben, als hätten zwei Gäste spätnachts noch einen Schlummertrunk genommen. Im Kosmetiksalon liegt alles bereit, die nächste Kundin wird sicher gleich erwartet. Die Pfannen und der Herd in der Küche sind geputzt, bald wird die neue Schicht beginnen.
Alles stehen und liegen gelassen: Die Putzboxen bereit, die Wäsche gesammelt – für die Maschinen, die nie mehr in Betrieb gingen.
Thomas Hodel«Die Emotionen haben mich fast erschlagen, ich war dauernd hin- und hergerissen zwischen Staunen, Neugier und dem Respekt vor den damaligen Besitzern, den Menschen, die das Haus zum Leben erweckt haben», so Hodel. Manchmal sei er sich vorgekommen wie ein Unbefugter, der in das Leben anderer eintauche.
«Einmaliges Erlebnis»: Fotograf Thomas Hodel konnte während eines Tages das stillgelegte Hotel besichtigen.
Thomas HodelFaszinierend sei, dass vieles so aussehe, als würde gleich wieder gestartet. Betten sind sorgfältig gemacht und scheinen bezugsbereit. In den Badezimmern liegen die typischen eingepackten Seifen, teilweise glänze die Keramik der Lavabos noch immer. Teilweise liege Staub, aber nicht übermässig. «Im Büro hängen Zettel mit Namen der Angestellten, den Daten des Saisonendes und spezifischen Wünschen verschiedener Gäste.»
Backoffice im Tiefschlaf: Die Dokumente der Hotelgeschichte, gesammelt hinter der Rezeption.
Thomas HodelFranzösisch-italienischer Stil: So wurde in der Blütezeit die Zimmereinrichtung angepriesen.
Thomas HodelNur einmal sei es etwas unheimlich gewesen, erinnert sich Hodel. «Als wir beim Swimmingpool standen, hörten wir tapsende Schritte und schauten erschrocken zur Tür. Bis wir merkten, dass sich in der Decke oben Marder eingenistet hatten.»
Was soll nun geschehen mit dem einstigen Luxushotel? Architekt Filliger hat zwar Ideen, kann im Moment aber nichts verwirklichen. Denn hinter dem Hotel droht der Spitze Stein, mit Felsstürzen und Murgängen ins Tal zu stürzen. Nicht nur das verlassene Hotel gehört zur Gefahrenzone, sondern das halbe Dorf. Noch ist nicht klar, wie mit diesem Risiko umgegangen wird. So geht der Dornröschenschlaf des Hotels weiter, aus dem Palace scheint mehr und mehr ein verwunschenes Schloss zu werden.
Verlassener Pool: Einige Zentimeter Wasser bedecken den Boden des Bades, oben in der Decke wohnen Marder.
Thomas HodelAlles an Ort: Nur Staub von 13 Jahren hat sich seit dem letzten Einsatz der Küchenbrigade abgesetzt.
Thomas Hodel