Kurz vor acht Uhr ist der Marktplatz in Bern verschlafen wie eine Katze unter südlicher Sonne. Verkäufer büscheln Obst und Wurstwaren, rauchen hinter dem Stand noch hurtig eine Zigi. Die einzige Kundin weit und breit ist Schlagersängerin Francine Jordi (46). Auch sie ist leise unterwegs – allerdings nicht ganz freiwillig. Die Bernerin kuriert noch die letzten Ausläufer einer Erkältung und muss ihre Stimme schonen, in zwei Tagen hat sie einen Auftritt. Zum Glück geht Lächeln auch ohne Ton, denn das tut Jordi an diesem Vormittag oft. Die wenigen, die unterwegs sind, erkennen sie sofort und bitten um Selfies.
Seit 25 Jahren steht Francine Jordi auf der Bühne – ein Vierteljahrhundert! 1998 gewinnt sie mit «Das Feuer der Sehnsucht» die Schweizer Ausscheidung zum Grand Prix der Volksmusik. «Damals dachte ich, nach einem Jahr sei die Aufregung vorbei, ähnlich wie bei der Miss Schweiz.» Doch ihr Erfolg bleibt ungebrochen: 16 Alben hat sie bisher herausgegeben, das jüngste – «Leben» – ist eben erschienen.
Dutzende Male wurde sie schon gefragt, ob sie ihre Biografie veröffentlichen möchte. «Natürlich habe ich das eine oder andere Geheimnis, das andere wundernähme», sagt sie keck, während sie durch die Marktstände schlendert. «Aber mal ehrlich: Mein Leben ist doch ganz normal.» Man könnte ihr den letzten Satz leicht als Koketterie auslegen, weil: Das Leben einer erfolgreichen Schlagersängerin – Übernachten im Hotel, Auftreten vor Tausenden von Fans – ist gewiss nicht 08/15. Aber wenn man weiss, was Jordi mit «Leben» meint, dann hat sie eben doch die gleichen Erfahrungen gemacht wie die meisten anderen Menschen auch: sich kopfüber verliebt, Trennungen überwunden, Krankheit und Heilung erlebt.
Nach Zwischenhalten beim Gemüse-, Fleisch- und Blumenstand macht Francine Jordi eine Kopfbewegung, die so viel bedeutet wie «Lass uns gehen» – Labrador Theo trottet los, er versteht Frauchens Zeichensprache problemlos. Über den Bundesplatz geht es Richtung Altstadt. Nächster Halt ist der Laden «Küche und Raum», wo hunderterlei Sachen und Sächelchen zum Stöbern einladen. Kürzlich hat Francine Jordi ein Kochbuch herausgegeben, in dem Rezepte ihrer beiden Grossmütter, ihrer Mutter und eigene Kreationen versammelt sind, von Stünggu-Torte, Krautstielgratin bis Fotzelschnitte. «Beim Kochen ist es wie beim Singen, man muss es mit Leidenschaft tun», sagt sie, während sie werweisst, ob sie eine Porzellanschale oder ein Schneidebrett kaufen soll.
Danach gehts über den Nydeggstalden zur Aare hinunter. «Ab 30 Grad gehe ich rein», sagt Francine lachend. Bei einem Aare-Rekordwert von 23,5 Grad heisst das so viel wie: «Lieber nicht.» Sie sei halt «eine Warmduscherin» (und eine «Vorwärtsparkiererin»), sagt Jordi. Und zu ihrer Verteidigung muss man erklären, dass sie nicht direkt neben der Aare grossgeworden ist. Richigen, ihr Heimatdorf, liegt in der Nähe des Bantigers, umgeben von Feldern und Wiesen. Heute lebt Jordi nur ein paar Dörfer weiter. «Aber ich liebe es, auf die Aare zu schauen», sagt sie. Ein Fluss zeige exemplarisch, dass die Veränderung die einzige Konstante im Leben sei. Und genau diese Erkenntnis habe sich in den letzten Jahren fest in ihr verankert. «Darum schwelge ich auch nicht in Erinnerungen, sondern versuche, den Moment zu leben.» Letzte Station ist der Rosengarten mit seinen 250 blühenden Rosen – ein Sinnbild für Francine Jordis Musik. Seit 25 Jahren besingt sie die Liebe, die zarte, die leidenschaftliche, die schmerzliche, die bedingungslose. «Ohne Liebe gibt es kein glückliches Leben», sagt Francine Jordi. Seit der Trennung von Mundartsänger Florian Ast 2012 ist sie offiziell Single.
«Mit 46 weisst du, dass das Leben Hochs und Tiefs bereithält», sagt sie, während sie mit Labrador Theo durch die Parkanlage schlendert – «mich erschüttert nichts mehr so schnell.» Und was hilft ihr, aus einem richtigen Tief zu finden? «Zuerst lasse ich mich richtig gehen, jammere, und wenn ich die Schnauze voll davon habe, fokussiere ich mich auf das Positive, die kleinen Dinge, das feine Kafi oder die blühende Rose – schau hier, wie schön.»