Ein kleines Lächeln nur schenkt Beat Feuz Didier Défago, aber ein vielsagendes. Die beiden treffen nach dem ersten Training in China aufeinander, und der Abfahrts-Olympiasieger von 2010 sagt zu Feuz, dass er diesen Schnee doch sicher liebe. «Er hat nicht wirklich geantwortet, mir nur ein kleines Lächeln gegeben – da verstand ich schon.»
Und tatsächlich: Beat Feuz, 35, liefert ab und ist so etwas wie der logische Olympiasieger. In dieser Verfassung, auf dieser Strecke, mit dieser Erfahrung: keine Überraschung. Und doch ist diese Krönung der Karriere alles andere als selbstverständlich. Das spürt man an den offenen Gefühlen, den Tränen, die ungewöhnlich sind für Feuz. Noch im Zielraum bekommt er einen Anruf von Freundin Katrin Triendl, 35. «Da kamen alle Emotionen hoch. Mir ging die ganze Karriere durch den Kopf mit den Hochs und auch den Tiefs.»
«Magnifique! Beat ist ein ganz Grosser. Die Fahrt war perfekt, wie er gleitet – fantastisch! Ich war um vier Uhr vor dem TV und hatte riesig Freude. Er hat es so verdient»
Roland Collombin
Seit fünf Jahren ist der Emmentaler der konstanteste Abfahrer der Welt, steht in mehr als einem Viertel seiner Rennen auf dem Podest. «Ski fahren ist einfach», sagt Ex-Weltmeister Bruno Kernen, «das ist das, was ich denke, wenn ich Beat zuschaue. Da ist eine Leichtigkeit, eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist locker Ski fahren so schwer!» Ein begnadeter Meister seines Fachs ist dieser erst vierte Schweizer Abfahrts-Olympiasieger. Aber da ist eben auch dieser tiefe Einschnitt in seiner Karriere, ja in seinem Leben: Nach einer Infektion im heute elfmal operierten linken Knie wird 2012 eine Amputation ernsthaft erwogen. Plötzlich sind alle Siege irrelevant, und doch denkt Feuz selbst im Spital ans Skifahren. Mutter Hedi Feuz erzählt später, was er in den kritischen Momenten zu ihr sagte: «Mam, du weisst, das kann heissen, dass ich nie mehr Ski fahren werde?»
Die beste Schweizer Saison in 30 Jahren
Der Tiefpunkt erfolgt ausgerechnet nach dem grössten Höhenflug: Die 13 Podestplätze 2011/12 bedeuten bis heute die beste Saison eines Schweizer Skifahrers seit Paul Accola 1992, bis zum vorletzten Rennen kämpft Feuz damals mit Marcel Hirscher um den Gesamtweltcup.
Das Knie prägt sein Leben auch nach der Genesung. Im Sommer 2013 sucht Feuz ein Hobby, bloss um mal auf andere Gedanken zu kommen. «Wenn mich Leute ansprachen, gings nicht um mich, sondern ums Knie», sagt er über diese Zeit. Er beginnt zu golfen, was schnell eine weitere Leidenschaft neben dem Tennis wird: Oft steht er 40- bis 50-mal pro Sommer auf dem Golfplatz, schafft es bis Handicap 12.
«Ohne Katrin wäre das alles nicht möglich. Dafür gebührt ihr höchster Respekt»
Beat Feuz
Das Handicap seines Knies ist deutlich unerfreulicher. Bis heute trainiert Feuz weniger als seine Konkurrenten. Eine Zeit lang kümmert sich Freundin Katrin Triendl um das Problemgelenk, betreut ihn im konditionellen Aufbau. Die ehemalige Skirennfahrerin ist Physiotherapeutin, gibt ihre Anstellung 2017 aber auf, da sich ihre Einsatzpläne und sein Skiprogramm kaum vereinbaren lassen. Die Beziehung ist für Feuz auch eine Quelle seiner Ruhe und Bodenhaftung, sie ist ihm ein wichtiger Rückhalt im Leben.
«Ich und du sind wir» als Motto
2007 hat Feuz die Österreicherin an den Junioren-Weltmeisterschaften kennengelernt, seit zehn Jahren leben sie gemeinsam in der Nähe ihrer Heimat Innsbruck, haben 2020 ein Haus gebaut. Die Tirolerin ist Wirbelwind und Motivatorin, der Emmentaler die Ruhe im Sturm. Ihr Motto: «Ich und du sind wir», ein eingespieltes Team, das weder Glamour braucht noch grosse Aufmerksamkeit. «Wir sind beide die bodenständigen Typen, die sagen: Wenn wir gesund sind und es uns gut geht, haben wir diese Grundzufriedenheit. Das wissen wir zu schätzen.»
«Beat ist einfach e coole Siech! Olympiagold war das letzte Stück, das ihm zu seinem aussergewöhnlichen Palmarès noch fehlte. Der Mann hat Nerven aus Stahl und ist ein hervorragender Taktiker.»
Didier Cuche
Abheben oder sich im Erfolg verändern? Das passiert einem wie Beat Feuz nie. Er bleibt sich treu. Gibt Interviews hartnäckig nur auf Deutsch, weil er sich in allen anderen Sprachen nicht wohlfühlt. Feuz verzichtet auf weitere Sponsoring-Partnerschaften, denn Zeit verbringt er lieber mit der Familie. Jetzt erst recht: Gerade ist Luisa zur Welt gekommen, pünktlich zwischen Wengen und Kitzbühel. Ein Geschwisterchen für die dreieinhalbjährige Clea. Nun verbringt Feuz jede freie Minute zu Hause, ist sogar später als seine Teamkollegen nach Peking geflogen. «Ich möchte den Sieg meinen Leuten daheim widmen», so Feuz im Zielraum. «Meine Frau hält daheim allein mit zwei Kindern die Stellung, eines davon ist noch sehr klein. Dafür gebührt ihr höchster Respekt! Ohne sie wäre das alles für mich nicht möglich.»
Nun hat er fast alle grossen Abfahrtsrennen gewonnen
In China ist er die Ruhe selbst. In die Diskussionen um die windverblasenen Trainings auf der neuen Strecke mischt er sich nicht ein, seine Konzentration gilt dem Rennen, der richtigen Vorbereitung. Und dann schlägt er zu.
Mit dem Olympiagold hat Feuz nun den letzten der grösstmöglichen Abfahrtssiege eingefahren, nach dem Weltmeistertitel (2017), dem Lauberhorn (2012, 2018, 2020) und Kitzbühel (2021, 2022). Zudem hat er mehr Abfahrts-Weltcuppodeste erreicht als jeder vor ihm (45).
Bedeutet das nun, dass er der grösste Abfahrer der Geschichte ist? Die bisherigen Schweizer Legenden der Königsdisziplin zögern mit dieser Einordnung. Es gibt jene, die mit Vergleichen zwischen Perioden und ihren Fahrern nichts anfangen können, wie Bernhard Russi: «Es ist nicht gut, wenn man versucht, solche Sachen zu eruieren. Das wäre nicht fair und bringt nichts», sagt der 73-Jährige. Ihn berührt es sehr, dass Feuz auf den Tag genau 50 Jahre nach dem eigenen Olympiasieg und auf der von ihm designten Piste Gold gewann. «Was wichtiger ist: Beat ist im Moment der Beste der Welt.» Feuz ist mit seinem kompletten Palmarès die Nummer 1 der einheimischen Abfahrtsstars, finden Didier Défago und Bruno Kernen.
Nach den Verletzungen immer schnell den Anschluss wieder gefunden
Alle Skilegenden bewundern, wie Feuz mittlerweile genau weiss, was sein Körper braucht, wie er worauf reagiert, welches Material ihm passt, wann er sich schonen muss. Und natürlich loben sie sein unglaubliches Gespür für den Schnee, für das Material an seinen Füssen. Er weiss, wann er laufen lassen muss, wann er zu stark auf der Kante steht. Feuz hatte dieses Gspüri schon immer. Und es ist der Grund, weshalb er nach seinen vielen Verletzungen stets sehr schnell den Anschluss an die Spitze wiedergefunden hat.
«Beat ist momentan der Beste der Welt»
Bernhard Russi
Es gab Zeiten, da hat er sich vielleicht ein bisschen zu sehr auf dieses Talent verlassen. Vor seinem ersten Sieg am Lauberhorn habe er ein Toastbrot mit Nutella gegessen, erzählt er. Lange Zeit verfolgt ihn der Spitzname «Kugelblitz», schnell wie der Blitz also, aber auch etwas rundlicher als ein Modellathlet. Coaches monierten, dass er im Training nicht unbedingt der Fleissigste sei. Sein Umfeld – allen voran Freundin Katrin –, überzeugten ihn aber schliesslich, dass eine gesunde Lebensführung einfach zum Leben eines Profisportlers dazugehört. Und als er 2012 in Wengen die längste und konditionell forderndste Abfahrt der Welt gewinnt, sieht er sich darin bestätigt, dass sein Zustand so schlimm ja nicht mehr sein könne.
«Die Emotionen gegen innen sind wichtig»
Vierzehn Jahre nach seiner ersten verletzungsbedingt verpassten Saison, elf Jahre nach dem ersten Weltcupsieg, zehn Jahre nach der schlimmen Infektion, sieben Jahre nach der ersten WM-Medaille hat er sich in Peking gekrönt. «Ich habe ihn nach dem Rennen kurz getroffen», sagt Bernhard Russi. «Typisch Feuz: Er schaut dich mit grossen Augen an, du siehst, dass er überglücklich ist, er würde gern etwas mitteilen, aber findet die Worte nicht. Er muss sie auch nicht finden, das ist gar nicht wichtig. Die Emotionen gegen innen sind das, was wichtig ist.»