Kennengelernt haben sie sich vor über zehn Jahren – in Tokio! Damals standen Beat Schlatter und Christian Stucki gemeinsam für den Dokumentarfilm «Hoselupf» vor der Kamera. «Ich habe extra einen früheren Flug genommen, damit ich nicht neben ihm sitzen musste», sagt Schlatter, 60. «Zu Beginn haben wir uns noch gesiezt», verrät Stucki, 36. Doch diese Zeiten sind längst vorbei, die ungleichen Männer bis heute gute Freunde. Und bei einem Bier scheint der Graben zwischen Stadt und Land gar nicht mal so gross – auf den ersten Blick zumindest!
Wir treffen uns bei Christian Stucki in Lyss BE – warum nicht in Zürich bei Beat Schlatter?
Beat Schlatter: Ist vielleicht besser so! Als er das erste Mal zu mir kam … Willst du erzählen?
Christian Stucki: Was? Wie ich mit dem Auto durchs Niederdorf gefahren bin?
Schlatter (lacht laut): Ja, genau!
Stucki: Das ist schon lange her! Ich war unerfahren – und auch etwas nervös im Zürcher Stadtverkehr. Ich hab halt einfach die Adresse vom Beat im Navi eingegeben …
Schlatter: Ich frage mich heute noch, wie er überhaupt reinfahren konnte. Es stehen da eigentlich Barrieren. Kein Zürcher hat das je geschafft. Als er unten vor meiner Tür stand, fragte er, wo er hier parkieren könne (lacht).
Beat Schlatter, wissen Sie als Städter, wie viel ein Liter Benzin kostet?
Wenn ich ein Auto hätte, wüsste ichs wahrscheinlich. Als ich noch eins hatte, vor zwölf Jahren, suchte ich einen fixen Parkplatz in der Stadt und fand einen für 560 Franken. Ausserhalb wäre es zwar günstiger, aber jedes Mal ein Taxi zahlen, um in die Stadt zu kommen … Wenn in der Todesanzeige eines Stadtzürchers steht, «er hinterlässt eine Lücke», heisst das, er hatte einen Fixparkplatz.
Stucki: Hier bei mir in Lyss haben fünf Autos Platz.
Christian Stucki, wie viel kostet ein Tagesticket für die Stadt Zürich?
Stucki: Keine Ahnung! Kann nur schätzen … Vielleicht 30 Franken?
Schlatter: So weit sind wir noch nicht!
Mit Halbtax 4.60 Franken. Wo isst man besser – auf dem Land oder in der Stadt?
Schlatter: Ich esse fast nicht mehr auswärts in der Stadt. Es ist wahnsinnig teuer geworden. Wenn ich einen Abend in der Beiz sitze, kostet mich das öppe gleich viel, wie wenn ich acht Leute bei mir bewirte. Und da können gute Trinker dabei sein. Dreimal in der Woche kommen Bauern in die Stadt und bringen frische Ware. Einer hat mir letzthin erzählt, Randen gab man früher Rennpferden, damit sie schneller sind. Darum ess ich jetzt so viel davon.
Stucki: Bist du schneller geworden?
Schlatter (lacht): Könnte auch Schwinger-Doping sein! Dann gewinnst du nächstes Mal auf der Schwägalp
Wo gibts die bessere Musik – auf dem Land oder in der Stadt?
Schlatter: Als Chrigu das erste Mal zu mir kam, hatte ich vorher im Brockenhaus eine Ländler-CD gekauft. Nach dem dritten Lied meinte er, ich solle diese Musik mal abstellen … Was mir auffällt: Jede Band vom Land hat wenigstens ein Lied im Repertoire, wo es darum geht, möglichst weit weg zu ziehen. Die Musiker aus der Stadt besingen die Sehnsucht nach dem Land.
Stucki: Auf dem Land hören wir nicht nur Ländler. Ich war schon dreimal in Zürich an einem AC/DC-Konzert und an einem Auftritt von Adele.
Wo sind die Menschen klüger?
Schlatter: In den Städten sind die Universitäten, Medien, bedeutende Kunsthäuser, und das bedingt einen gewissen Intellekt, wenn man da arbeiten will. Dafür wissen die Menschen auf dem Land ganz andere Sachen. Frage mal einen Städter, wie lange ein Schaf schwanger ist.
Stucki: Ich weiss das auch nicht (lacht). Ein Kurator kann vielleicht kein Nagel grad einschlagen, um ein Bild aufzuhängen. Und auch auf dem Land gibt es studierte Menschen.
Wo sind die Menschen freundlicher?
Stucki: Auf dem Land!
Schlatter: Ob Stadt oder Land, die Menschen sind so freundlich, wie ich zu ihnen bin.
Stucki: In der Stadt habe ich oft das Gefühl, die schauen einen nicht mit dem Füdli an. Alle laufen mit Scheuklappen oder dem Handy vor dem Grind und Stöpseln in den Ohren rum.
Welches Geräusch nervt euch in eurer Nachbarschaft am meisten?
Schlatter: Die Touristen, die mit ihren Rollkoffern auf Pflastersteinen fahren. Das kennst du nicht, oder?
Stucki: Nein, zum Glück nicht!
Schlatter: Bei dir nervt wohl der Rasenmäher des Nachbarn am Sonntag?
Stucki: Das gabs hier noch nie, dass einer am Sonntag mäht. Dafür ist das Quartier voller Kinder, die oft draussen spielen. Das kann ganz schön laut werden, nicht nur wegen unseren Buben.
Schlatter: Und dann darf man auch noch nichts unternehmen, bei fremden Kindern …
Stucki (lacht): Aber sonst wohnen wir sehr ruhig hier.
Welches Geräusch hören Sie in Ihrer Nachbarschaft am liebsten?
Stucki: Wenn ein Gewitter im Anzug ist, hocke ich gern auf der Terrasse und schaue zu, wie es sich zusammenbraut. Wenn es blitzt und donnert, das habe ich gern.
Schlatter: Ich auch! Regen mag ich sehr. Ich habe bei mir zu Hause eine Geräuschekassette mit griechischem Regen, um mich zu beruhigen.
Wovon haben Städter oder Ländler überhaupt keine Ahnung?
Schlatter: Ländler wissen nicht, dass man bei der Landung im Flugzeug nicht klatscht und dass man auf der Rolltreppe rechts stehen muss.
Stucki: Also das weiss ich schon!
Schlatter: Bei dir spielts keine Rolle, wo du auf der Rolltreppe stehst! Du kannst ganz rechts stehen – es nützt nichts.
Sind Städter arrogant?
Stucki: Es kommt immer auf die Leute drauf an, die man trifft.
Schlatter: Vielleicht sind wir auch die falschen, um das zu beantworten. Wir sind ja etwas bekannt, da geht man oft anders mit uns um. Der Chrigu war mal im Kaffeegeschäft Schwarzenbach in Zürich vor einigen Jahren. Die reden heute noch davon …
Sind Ländler rückständig?
Schlatter: Wenn ich das Haus vom Stucki mit seiner durchdesignten Einrichtung mit meiner Bleibe vergleiche – sicher nicht. Ich habe kürzlich fünf Perserteppiche im Brockenhaus für 580 Franken gekauft, er hat in der Küche sogar einen Dampfabzug, der nach unten abzieht.
Stucki: Das ist, damit ich mir den Grind nicht anschlage. Aber ja, der technologische Fortschritt ist bei uns genauso angekommen wie in der Stadt.
Wie gut kennen Sie Ihre Nachbarn?
Schlatter: Als meine Exfreundin vor einigen Jahren auszog, war die Erste, die klingelte, Dora Kuster, eine 70-jährige ehemalige Prostituierte. Sie stand da mit einem lappigen Pack Nüsslisalat und meinte, ich müsse jetzt gut auf mich schauen und viele Vitamine essen. Auch das gibt es in der Stadt.
Stucki: Ich kenne eigentlich alle rundum. Wir machen immer ein Quartierfest im Sommer und ein Fondueessen im Winter. Wenn mir etwas fehlt, kann ich dem Junior sagen, «geh hurti rüber und hol zwei Eier beim Nachbarn». Hier kann man darauf zählen, dass einem geholfen wird.
Gibts den von der SVP beschworenen Stadt-Land-Graben wirklich?
Schlatter: Ja, bei diesem Punkt gebe ich der SVP völlig recht. Er ist grösser als der Röstigraben.
Stucki: Ich sehe es auch so: Städter stimmen immer wieder anders als die Landregionen.
Was können wir tun, um einander näher zu kommen?
Schlatter: Das ist eine grosse Frage! Vielleicht würde es helfen, wenn unsere Politik näher an der Realität wäre. Wenn wir mehr Handwerker, Künstler, Sportler, Gärtner im Parlament hätten …
Stucki: Was ich persönlich mache: Ich grüsse die Leute oft auf der Strasse. Das ist höflich und tut nicht weh, auch wenns jemand Fremdes ist.