Star ist nicht gleich Star. Nicht bei Shania, 8, aus Dällikon ZH. Deshalb gibts für Autogramme auf ihrem Shirt eine klare Regel: Vorne dürfen sich die wichtigen verewigen, die weniger wichtigen müssen mit der Rückseite vorliebnehmen.
Soeben hat sich Shania ein Autogramm von Linda Fäh, 31, geholt. Die Schlagersängerin durfte auf der Brust signieren, dort, wo tags zuvor Beatrice Egli, 31, mit wasserfestem Filzstift unterschrieben hat. «Jetzt fehlen mir noch Miss Helvetia – und Vincent Gross», verrät Shania mit leuchtenden Augen.
Der Basler Sänger ist ihr Superstar – und der Grund, warum die Kleine überhaupt an Bord des Kreuzfahrtschiffes «Costa Victoria» ist. Zusammen mit ihrem Grosi, der Schwester und einer Cousine ging sie am Samstag vor einer Woche in Venedig an Bord. Motto der Reise von Hotelplan und «Blick»: «Stars auf See – Von Schlager bis Volksrock». Via Brindisi übers griechische Kefalonia, Saranda in Albanien über Kotor, Montenegro, ins kroatische Split und retour.
Am Töggelikasten steht Vincent Gross, 23. Neben ihm Kim, 15. Gegenüber: Marvin, 14, und Steffi, 15. So nahe wie hier beim Tischfussball kommen die Fans ihrem Idol bei Konzerten kaum. «Auf dem Schiff herrscht Ferienatmosphäre», sagt Gross. «Ich fühle mich zu keiner Zeit bedrängt.» Im Notfall könnte er sich auch zur Wehr setzen. Er hat 13 Jahre Taekwondo betrieben, als Siebenjähriger mit der koreanischen Kampfsportart begonnen, war gar in einer Swiss-Olympic-Klasse. Seine Sprünge, für die Vincent inzwischen berühmt ist, sind ein «Überrest aus dieser Zeit». Der Sport habe ihn Respekt gelehrt – «davon profitiere ich auch an einem Ort wie hier auf dem Schiff».
Respekteinflössend ist die Erscheinung von Sokratis Sklavos, 44. Der Kapitän der «Costa Victoria» zeigt Linda Fäh im Hafen von Brindisi sein Reich auf der Brücke. Sokratis macht der Bedeutung seines Vornamens (der Kraftvolle) alle Ehre. Der Grieche ist ein Hüne. Geduldig erklärt er der Sängerin aus der Schweiz, wo und wie sein Kahn gesteuert wird, erzählt, dass er jahrelang im asiatischen Raum zur See gefahren ist und in Athen Frau und Kinder leben. Zwei Monate sei er auf See, zwei Monate daheim. Er verspricht, am Abend bei Lindas Konzert vorbeizuschauen.
Mit einem Teller in der Hand reiht sich Francine Jordi, 42, im Selbstbedienungsrestaurant ordentlich vor dem Buffet in die Reihe anderer Hungriger ein. Die Bernerin trägt ihr Herz auf der Zunge. Einer, der Francines frechen Sprüchen zum Opfer fällt, ist Erwin. Gerade noch hatte er zwei Teller mit Schoggikuchen in der Hand. Schnell greift Francine zu und hat ihm einen Teller abgeluchst. Gelächter bei den Umstehenden. Als Erwin später an der Reling um ein Foto mit Jordi bittet, will sie noch wissen: «Du hast mir den Streich vorhin nicht übel genommen?» Nein, Erwin ist happy. Das Selfie mit Francine vor der Küste Kefalonias entschädigt ihn vollends.
Francine Jordi ist erst in Brindisi an Bord gegangen. Sie kommt gerade vom Dreh für die Schweizer Version des deutschen Erfolgsformats «Sing meinen Song» auf Gran Canaria, machte noch eine Nacht halt im ungarischen Budapest – jetzt stösst sie zu ihren Eltern Margrit und Franz und ihrer Freundin Florence. Die hat Francine Lesestoff besorgt. «Darauf freue ich mich total», verrät Jordi. Zwischen den Auftritten an Bord will sich die Sängerin in den Roman «Das italienische Mädchen» der irischen Bestsellerautorin Lucinda Riley vertiefen.
Vertieft im Gespräch sind Gerry Friedle alias DJ Ötzi, 48, und Florian Ast, 44, an der Aperol Spritz Bar, dem heimlichen Treffpunkt der Künstler. Ast und Friedle sind eng befreundet, sticheln wie ein altes Ehepaar. Florian spielte am Morgen mit dem Sohn seiner Tontechnikerin Basketball. Auf die Frage, ob Ötzi nicht auch Lust auf eine Runde habe, entfährt dem entsetzt ein: «Bist a Trottel?»
Total relaxt zeigt sich Schlagerstar Beatrice Egli, 31. Sie mags outfitmässig maritim: Kleid im Hummer-Look, blau-weisses Marine-Shirt, Elbsegler-Mütze, am Handgelenk Armband mit Anker. «Ich liebe diese Sachen.» Vor allem ihre Seemannsjacke trage sie gern, wenn sie mit dem Passagierschiff vom Zürcher Bürkliplatz heim nach Pfäffikon fahre.
Apropos heim: Heimweh hat zwar keiner an Bord, dafür singt die gleichnamige Band von Liebe und Glück, Familie, Abschied, von Bergen und Kultur. Als Ralph «Räphe» Güntlisberger den alten Rumpelstilz-Song «Stets in Truure» anstimmt, kullern beim einen und anderen Tränen. Güntlisberger erlebte selbst harte Zeiten in jungen Jahren, zog nach dem plötzlichen Herztod seiner Frau zwei Kleinkinder allein gross. Als er den Gästen an Bord seine Geschichte erzählt, ist es mucksmäuschenstill. Eigentlich wollte er über die verstorbenen Musiker Polo Hofer und Hanery Amman sprechen. «Aber ich spürte plötzlich, dass in diesem Moment meine ganz persönliche Geschichte besser ankommt.»
Und wenn die kleine Shania irgendwann diese Geschichte versteht, dürfte der Heimweh-Sänger Räphe mit seinem Autogramm sicher vom Rücken auf die Brust vorrutschen. Dort, wo bei allen das Herz schlägt – bei den Fans und bei den Musikern.