«Güotun Tag», sagt Beda Stadler und streckt zur Begrüssung seine Hand hin. «Ich habe Covid gehabt, ich bin immun, die Maske können Sie abziehen.» Vier Wochen sei er nach dem künstlichen Koma im Delirium gelegen, beginnt der Oberwalliser zu berichten. «Das war die lustigste Zeit meines Lebens.» Er lacht schallend. «Einmal sah ich weisse Hasen durch mein Spitalzimmer springen. Die ersten Tage sprach ich nur Englisch.»Der 70-Jährige tritt in seine Stube, weisse Stoffmaschen, silberne Kerzenhalter: Ehefrau Heidi, 70, ausgebildete Kauffrau, ist dem Landhaus-Dekor zugetan. «Nicht mein Stil, doch ich wehre mich nicht mehr», sagt er, beide schmunzeln.
Seit seiner Pensionierung als Professor und Direktor des Instituts für Virologie und Immunologie der Uni Bern lebt er mit Heidi im gemeinsamen Haus im Weiler Alt Zeneggu, einem Dorfteil von Zeneggen weit ob Visp VS. Mangoduft wabert durch die Luft: Stadler zieht an seiner E-Zigarette – vor ein paar Jahren hat sich der ehemalige Kettenraucher von Marlboro Gold verabschiedet. Während der ersten Monate der Corona-Pandemie war der bekannteste Immunologe der Schweiz omnipräsent mit seinen Einschätzungen. Sachkundig, kontrovers – wie man die Walliser Saftwurzel kennt. Doch dann herrschte schlagartig Ruhe um ihn.
Ende September 2020: Stadler plagen starkes Kopfweh und Schwindelanfälle, er sieht doppelt. Er hat Angst vor einem Hirntumor. In einem Berner Spital ortet der Neurochirurg in Stadlers Hinterkopf ein Aneurysma, ein erweitertes Blutgefäss. Er öffnet dessen Schädel, klemmt das Aneurysma mit einem Metallclip ab. Eine Nachuntersuchung zeigt, dass sich zwischen zwei Blutgefässen eine Fistel gebildet hat. Zweite Operation. Dem Chirurgen gelingt es nicht, den Kanal zu schliessen.
Die Ärzte versetzen den Patienten ins künstliche Koma. Reglos liegt er da, wochenlang. In dieser Zeit hat er fünf Hirnschläge, drei epileptische Anfälle, eine Lungenentzündung. Täglich um zehn Uhr bekommt seine Frau telefonisch Auskunft über Bedas Zustand. Heidi: «Die Ärzte sagten mir, dass ich meinen Beda nicht mehr so zurückbekomme, wie er mal war.» Nach drei Wochen holen die Mediziner Stadler langsam aus dem Koma. In der vierwöchigen Aufwachphase hat er Halluzinationen. Täglich bekommt er Besuch, von Heidi oder von Sohn Kornel, 37, einem der zwei Kinder. Oft erkennt Stadler seine Frau nicht, einmal begrüsst er sie mit Trudi.
Die erste Erinnerung ist die an einen Arzt, der ihm sagt: «Sie hatten auch noch Covid-19.» Ihm sei es gut gegangen, erzählt er. «Ich hatte keine Schmerzen. Für meine Familie aber war es eine ganz schlimme Zeit.» Als eine Pflegerin sich nach seinem Empfinden erkundigt, sagt Stadler: «Den Koch sollte man erschiessen, der Frass ist hundsmiserabel!» Das nächste Essen findet er nicht schlecht – ihm wird klar, dass Corona seinen Geruchs-und Geschmackssinn verändert hat. Er muss wieder gehen lernen. «Im Kopf musste alles neu verdrahtet werden. Doch das Hirn macht sowieso täglich das Kalb mit uns.»
Seit Mitte Februar ist Stadler wieder daheim. Am ersten Abend steht der passionierte Koch am Herd, «doch es war so gruusig wie im Spital». Heute ist er noch ein wenig gwagglig auf den Beinen und wird schneller müde. Die Medikamente gegen epileptische Anfälle haben ein Zittern der Hände zur Folge. «Ich habe mich erstaunlich rasch erholt, fühle mich gesund. Fit war ich noch nie.» Täglich nimmt Heidi ihn raus zum Spazieren – er würde lieber in seiner Werkstatt weitersägen oder an seinem neuen Buch schreiben.
30 Kilo leichter ist er geworden im Spital. Damit er nicht zunimmt, hat seine Frau Schoggi und Guetsli versteckt. Heidi leidet noch immer: «Ich habe nur funktioniert. Nun folgt die Erschöpfung.» Er: «Das Leiden meiner Familie ist das Einzige, was ich noch verarbeiten muss.»Regelmässig geht er in die Neuro-, Ergo-und Physiotherapie. Bei jeder Kontrolle im Spital fragt er, wann er endlich wieder Auto fahren dürfe. «Als Bub wollte ich Formel-1-Fahrer werden. Da hätte Schumi scharfe Konkurrenz gehabt. Und nun komme ich noch vor ihm aus dem Koma.»
«Das Leiden meiner Familie ist das Einzige, was ich noch verarbeiten muss»
Ist der emeritierte Professor in der Nähe von Menschen, hält er sich an die Corona-Anordnungen – «doch nur weil ich nicht gern Bussen zahle». Für die Corona-Politik gibt er dem Bundesrat die Schulnote 3,5. «Die Risikopatienten wurden viel zu wenig geschützt!» Viele Entscheide hält der Immunologe für irr und völlig übertrieben. Puffs offen, Kinos zu: «Um das zu verstehen, fehlt mir die Intelligenz.»
Massnahmen wie diese würden unnötig Panik schüren. «Die Bürger werden verunsichert und für blöd verkauft! Wir Schweizer haben genug Verstand, Masken dort zu tragen, wo es Sinn macht.» Das Land habe das Recht zu wissen, welche Einschränkungen was gebracht haben. «Ich will endlich Zahlen sehen!» Zudem solle der Bund alles daransetzen, dass alle geimpft sind bis im Sommer.
Stadler zieht an seiner E-Zigi, in Gedanken ist er in der Zeit seines Deliriums. «Ich war auf der anderen Seite. Dort ist nichts», sieht sich der Atheist bestätigt. «Trost bekommt man nur von Menschen, nicht von Gott.» Als Hochrisikopatient sei er angesteckt worden mit dem Coronavirus. «Ich habe überlebt, und Schäden habe ich keine.» Bei ihm funktioniere alles wieder ausser der Geschmackssinn. «Jeder zweite Kafi stinkt. Doch mit Schnaps gehts.»