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Demokratie-Talk mit Peter Stamm

«Beim Schreiben bin ich Alleinherrscher»

175 Jahre Bundesverfassung! Der Schriftsteller spricht im nicht allzu ernst gemeinten Talk über Demokratie – und ein bisschen drumherum.

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demo-talk mit Peter Stamm

Der Thurgauer Peter Stamm, 60, gewann 2018 den Schweizer Buchpreis. Er lebt mit seiner Familie in Winterthur.

Keystone

Was entscheiden Sie daheim demokratisch?
Feriendestinationen und grosse Anschaffungen.

Wo sind Sie Durchschnittsschweizer?
In meinem Verhältnis zum Staat. Ich gehe zu allen Abstimmungen, zahle die Steuern, die ich schuldig bin, und halte mich an die Gesetze.

Bei welchen Themen sind Sie stets in der Minderheit? 
Ich bin seit bald vierzig Jahren Mitglied der Grünen Partei. Am Anfang sagte mir mal ein älterer Politiker: Bei uns musst du dich damit abfinden, dass wir oft in der Minderheit sind. Inzwischen wird vieles, was wir damals verlangt haben, auch von bürgerlichen Parteien vertreten. Aber die Themen sind auch dringlicher geworden, deshalb gehen die Forderungen heute weiter und wir sind wieder in der Minderheit. Kurz: bei grünen Themen.

Wann macht Demokratie in Ihrem Leben keinen Sinn?
In der Kunst. Beim Schreiben bin ich Alleinherrscher. Die Leserinnen und Leser können sich gegen meine Bücher entscheiden, aber sie können nicht entscheiden, wie ich sie schreibe. Und die Kritikerinnen und Kritiker schon gar nicht.

«Ich entscheide vieles einfach allein»

Peter Stamm

Welche Wahl lag Ihnen am Herzen?
Schlimm fand ich die Entscheidung beim Minarettverbot, da hat sich unser Land wirklich lächerlich gemacht. Auch die Abstimmung zum Klimagesetz war mir sehr wichtig. Glücklicherweise ist sie gut ausgegangen.

Wann haben Sie das letzte Mal etwas diktatorisch entschieden?
Ich entscheide vieles einfach allein, zum Beispiel, was es zum Abendessen gibt. Aber diktatorisch würde ich das nicht nennen.

Was würden Sie per sofort in der Bundesverfassung verankern?
Ich finde, wir könnten beim Ersatz von fossilen Energien noch schneller vorwärts machen. Zum Beispiel mit einer Pflicht für Solarzellen auf Neubauten. Aber dafür würde auch ein Gesetz reichen, das muss nicht in die Verfassung.

Hand aufs Herz: Wo liegen bei Ihnen die Grenzen von Demokratie und Diplomatie?
Im Moment gibt es eher zu wenig Diplomatie als zu viel. Die Demokratie hingegen wird oft missbraucht, um Schaukämpfe zu führen, die letztlich nichts bringen. Das Minarettverbot hätte gar nicht zu Abstimmung kommen sollen. Auch drei Coronaabstimmungen waren überflüssig. Oder wenn über das Gendern abgestimmt wird, über das wirklich jeder selbst entscheiden sollte.

Worin hätten Sie gerne mehr Macht?
Ich wiederhole mich: bei Umweltthemen. Da wäre viel möglich ohne Verlust an Lebensqualität.

Wie würde Ihre eigene Partei heissen?
Eine Partei ist ja eine Vereinigung von Gleichgesinnten. Für mich alleine brauche ich keine Partei. Ich mache sowieso, was ich will.

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer am 1. Juli 2023 - 12:00 Uhr