Getrocknete Apfelringe, Brändli-Bomben, ein von Feldschlösschen gebrautes «Riniker Bier». Nationalratspräsidentin Maja Riniker (46) präsentiert den Gästen im Zeitungszimmer des Parlaments in Bern den von ihr initiierten präsidialen Kühlschrank mit Produkten aus ihrem Heimatkanton. Auf die Frage, ob sie die Leute bestechen will, antwortet Riniker lachend: «Nein, aber ich wollte zeigen, dass der Aargau mehr zu bieten hat als Rüebli.»
Frau Riniker, seit Mitte Dezember leiten Sie die Nationalratssitzungen. Gibt es etwas, das Sie im Saal gar nicht vertragen?
Nein, sonst wäre ich am falschen Ort. Was ich aber als Problem empfinde, ist die Lautstärke.
Hat diese zugenommen?
Sagen wir es so: Mit den 2023 gewählten Politikerinnen und Politikern mussten wir an der Disziplin und an den Gepflogenheiten im Saal arbeiten.
Das heisst?
Der Nationalratssaal ist ein Ort der Würde und kein Selbstverpflegungsladen. Klar, wegen einem Traubenzucker oder einem Schokoladenpraliné vor Weihnachten machen wir kein Büro auf. Aber Parlamentarier, die im Saal aus einer Salatschüssel essen – das geht einfach nicht. Oder ausgeleerte Getränke, die eine Teppichreinigung zur Folge haben. Die Disziplin hat sich wieder gebessert. Die Lautstärke nicht.
Und wie ist der Ton untereinander?
Wir sind grundsätzlich nett miteinander. Das sehe ich auch als Hauptaufgabe in meiner Rolle – eine fehlerfreie Ratsleitung.
Läuten Sie häufig das Glöcklein?
Ja, ich will, dass Ordnung herrscht. Es gelten Regeln, die für alle gleich sind.
Sie waren ja als zweite Vize und erste Vize quasi zwei Jahre in der Lehre. Gab es irgendwelche Schwierigkeiten, bei denen Sie froh waren, diese bereits vor Ihrem Präsidialjahr erlebt zu haben?
Ich bin froh, habe ich vorher gelernt, das Panel richtig zu bedienen. Als ich das erste Mal den roten Knopf zur Abstimmung zu einem Geschäft drücken musste, hatte ich Angst. Zufälligerweise liegt dieser nämlich neben dem roten Mikrofonknopf. Als ich letzten Frühling Eric Nussbaumer während einer Sitzung vertreten habe, drückte ich prompt während einer Debatte auf den Abstimmungsknopf, und alle sind reingenannt.
Irène Kälin, eine Ihrer Vorgängerinnen, hat das Amt auch politisch genutzt. Sie ist in die Ukraine gereist und hat Präsident Selenski getroffen. Planen Sie Ähnliches?
Allenfalls reise auch ich in die Ukraine, dort treffe ich aber nicht Staatschef Wolodimir Selenski, sondern den Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk. Wir sind auf Augenhöhe. Ich nehme mich selber nicht wichtig, das Amt ist wichtig.
In Ihrer Antrittsrede sagten Sie, Demokratie sei eine fragile Errungenschaft, die man lernen, pflegen und verteidigen muss. Sehen Sie die Demokratie in Gefahr?
In der Schweiz sehe ich sie nicht in Gefahr, weil wir ein enorm stabiles System der verschiedenen Kräfte haben, das sich ausgleicht. Allerdings müssen wir in der Bevölkerung das Verständnis verstärken, wie wichtig unsere Demokratie ist. Das fängt mit der Bildung an. Die politische Bildung ist nur in drei Kantonen im Lehrplan verankert. Viele Jugendliche wissen nicht, wie unser System funktioniert.
Als Bürgerin hat man das Gefühl, bei immer mehr Themenfeldern gibt es nur «Alles oder nichts»-Positionen. Etwa bei der Europapolitik. Wie sehen Sie das?
Maja Riniker
Am 2. Dezember 2024 wurde die Aargauer FDP-Politikerin zur höchsten Schweizerin gewählt. Seit 2019 sitzt Riniker im Nationalrat. Davor war die Betriebsökonomin Grossrätin, leitete die Geschäftsstelle von Diabetes Aargau und führte in der Arztpraxis ihres Mannes Florian die Finanzen. Mit drei Teenagern lebt das Paar in Suhr AG.
Wir haben ein neueres Phänomen, dass immer mehr Aktions- oder private Themengruppen wie etwa Kompass aufkommen. Während sich das Parlament sachlich mit dem Deal auseinandersetzt – aktuell beschäftigen wir uns damit, wie wir die Vorlage im Rat konkret beraten wollen –, schreien draussen schon alle rein. Es fehlt an Geduld.
Ihr Vorgänger, SP-Mann Eric Nussbaumer, stellte ins Präsidialzimmer eine Europafahne.
Die habe ich entfernen lassen (schmunzelt).
Was halten Sie denn vom EU-Deal?
Das sage ich in meiner Position nicht. Klar ist: Wir müssen die Situation mit Europa klären. Die Frage ist, zu welchem Preis. Das ist eine Güterabwägung. Wir sind mitten in Europa zu Hause, wir können unser Land nicht verpflanzen.
Und was sagen Sie zur 10-Millionen-Initiative der SVP?
Die Bevölkerung macht sich Sorgen über die Zuwanderung. Gleichzeitig lebt etwa der Aargau von den Grenzgängern. Wer Ja sagt zu dieser Initiative, muss sich der Konsequenzen schon bewusst sein.
Ihr FDP-Parteipräsident Thierry Burkart fährt neu einen lauteren, populistischeren Kurs. Finden Sie das gut?
Thierry Burkart macht das sehr gut. Er hat mit Jonas Projer einen neuen Generalsekretär gewählt, der einen anderen Kommunikationsstil prägt. Seine Sätze sind …
… schärfer?
Verständlicher. Momentan glaube ich, dass Parteien, die einfache und klare Sätze und Lösungen präsentieren, besser vom Volk unterstützt werden. Das Volk braucht Sicherheit und erwartet von uns Politikerinnen und Politikern klare Haltungen.
Biedert sich die FDP nicht bei der SVP an?
Nein. Die SP macht ja auch pointierte Aussagen.
Ein zuverlässiger Sparringspartner für die FDP ist Die Mitte. Was bedeutet der Rücktritt von Parteichef Gerhard Pfister für dieses Verhältnis?
Es kann auch eine Chance sein, die Zusammenarbeit zu stärken. Gerhard Pfister hat doch ab und zu die Konkurrenz zur FDP betont.
Die FDP besetzt in diesem Jahr alle wichtigen politischen Posten: Sie als Nationalratspräsidentin, Andrea Caroni als Ständeratspräsident, Karin Keller-Sutter als Bundespräsidentin. Wie wichtig ist diese Präsenz für Ihre Partei, die bei den letzten Wahlen schwächelte.
Noch besser wäre natürlich, diese Konstellation im Wahljahr 2027 zu haben. Primär ist es wichtig, dass jede und jeder sein Amt gut macht. Wenn es danach heisst: Die Freisinnigen haben das Jahr gut gemeistert, haben wir viel erreicht.
«Parteien, die einfache und klare Lösungen präsentieren, werden vom Volk besser unterstützt»
Maja Riniker
Ihr politischer Schwerpunkt ist die Sicherheitspolitik. 2023 forderten Sie, Panzer ins Ausland für eine indirekte Hilfe für die Ukraine zu liefern. Glauben Sie, 2025 kommt es zu Frieden im Land?
Frieden ist ein grosses Wort. Ich erhoffe mir einen Waffenstillstand und die Rückkehr zu einem Dialog. Hier kommt es natürlich stark darauf an, wie sich die neue US-Administration positioniert.
Apropos USA: Was für einen Einfluss wird Donald Trump auf die Schweiz haben?
Wenn Donald Trump umsetzt, was er angekündigt hat – neue Zölle und Handelshemmnisse –, sind die Auswirkungen spürbar. Das wird uns mehr beschäftigen, als uns lieb ist.
Wie wichtig ist für Sie, dass die Schweiz weiterhin eine aktive Rolle in der internationalen Zusammenarbeit spielt?
Im Bereich der Diplomatie hat unser Land viel bewirkt und wird das auch weiterhin tun. Bundesrat Ignazio Cassis etwa ist die ganze Zeit unterwegs und macht nichts anderes als Vermittlungsarbeit. Meinerseits führe ich den Dialog mit den ausländischen Parlamentspräsidenten, etwa bei der internationalen Parlamentspräsidentenkonferenz in Genf im Sommer.
Wenn Sie die Schweiz im In- und Ausland repräsentieren – wie organisieren Sie sich als Familie mit drei Teenagern?
Die Voraussetzungen sind schon mal super. Mindestens ein Kind haben wir während meines Präsidialjahrs «outgesourct».
Was meinen Sie damit?
Der älteste Sohn Max ist momentan im Austausch in Neuseeland. Er kommt Ende Juni nach Hause, Mitte Juli geht die mittlere Tochter Thea nach Costa Rica. Aber ich will da nichts vormachen: Drei Tage die Woche haben wir jemanden, der uns im Haushalt hilft, kocht und die Wäsche glättet.
Haben Sie Mandate aufgegeben?
Im März gebe ich nach fünf Jahren das Amt der Zivilschutzpräsidentin in neue Hände. Und es gibt Einladungen, die ich nicht annehme. Am 30. Dezember kam die Sekretärin mit einem grossen Stapel an Mäppli. Jedes Mäppli steht für einen Termin – im Januar sind das etwa das Skirennen in Adelboden, der Holocaust Remembrance Day oder die Neutralitätsausstellung in Aarau.
Von wie vielen Terminen sprechen wir da?
Bis Ende November sind es derzeit 80 Termine.
Ermüdet Sie das nicht?
Nein, ich finde das megaspannend. Es gibt dieses Jahr tolle Anlässe, etwa das Eidgenössische Schwingfest oder die Fussball-Europameisterschaft der Frauen. Aber wenn jetzt noch jeder Dorfverein will, dass die Nationalratspräsidentin kommt, muss ich auch mal ablehnen.
Woher nehmen Sie die Energie?
Das frage ich mich manchmal auch (lacht). Ich bin körperlich und psychisch fit. Bis dreimal pro Woche gehe ich joggen, in Suhr oder an der Aare in Bern. In der Natur kann ich mich gut erholen. Beim Secklen kommen mir die besten Ideen.