Wer hoch oben ist, kann tief fallen. Bei Tennisspielerin Belinda Bencic heisst das: Als 18-Jährige erobert sie die Tenniswelt, schafft es bis auf Rang sieben der Welt. Dann stürzt sie ab. Eineinhalb Jahre, etliche Verletzungen und eine Hand-OP später liegt sie auf dem 318. Platz. Zwischendrin trennt sie sich von ihrem Manager und Förderer. Danach gehen sie und Vater Ivan, der ihr Trainer war, getrennte Wege. Nach einem Jahrzehnt zusammen auf Reisen. Nun ist Bencic 22 Jahre alt – und hat so viel erlebt wie andere in einem ganzen Leben.
Ihr neustes Kapitel: das Comeback in die Weltelite – wieder mit dem Vater an ihrer Seite. Der Einzug ins Halbfinale der US-Open bestätigt den Aufwärtstrend.
Belinda Bencic, 2019 gewannen Sie Ihren dritten WTA-Titel, bezwangen zweimal die Weltnummer 1 und dazu sieben Top-10-Spielerinnen. Wie fühlt sich das an?
Es macht mich unglaublich stolz. Als kleines Mädchen hätte ich nie gedacht, dass ich das mal schaffe! Diese Siege bleiben mir für immer.
Was war der Schlüssel zurück zum Erfolg?
Dass ich mir weniger Druck mache. Ich habe gelernt, mich nicht immer an dem zu messen, was ich schon erreicht habe. Und ich bin geduldiger. Veränderungen gehen nicht von heute auf morgen. Zudem habe ich im Fitnessbereich enorme Fortschritte gemacht. Ich kann mich immer auf meinen Körper verlassen.
In den vergangenen Jahren mussten Sie diesbezüglich viel Kritik einstecken. Auch über Ihren Körper wurde geurteilt. Wie war das?
Schwierig. Die Leute kannten mich als 16-Jährige mit Kinderkörper. Ich wurde vor den Augen der Öffentlichkeit erwachsen. Klar, dass ich mich verändere. Doch auch ich und mein Umfeld wurden irgendwie davon überrascht. Dann kamen die Verletzungen, ich konnte nicht recht trainieren, wurde unfit, nahm zu. Das merkte ich selber. Dazu kamen einige unvorteilhafte Fotos. Doch die Kritik von aussen ging nicht einfach an mir vorüber.
Würden Sie rückblickend etwas anders machen?
Ich glaube, für mich kam der grosse Erfolg fast zu früh. Ich war noch so jung. Mit den heutigen Erfahrungen würde ich mir sagen: «Jetzt chills mal, du hast ja noch so viel Zeit!» (Lacht.)
Ist das Aussehen unter den Spielerinnen ein Thema?
Ja und nein. Wir sprechen nicht darüber, aber natürlich schaut man, ob die Gegnerin fit aussieht. Doch manche sehen fit aus und spielen dennoch schlecht und umgekehrt. Es kommt ganz auf den Spielstil an. Ich brauche die Wucht in den Bällen, andere müssen vielleicht spritziger sein.
Ihr Fitnesstrainer Martin Hromkovic ist auch Ihr Freund. Hat Ihnen das Training mit ihm plötzlich mehr Spass gemacht?
Zuerst war er nur mein Trainer. Es machte mir aber von Beginn an Spass mit ihm. Es ist hart, aber er ist so motivierend und gestaltet das Training vielseitig. Er sitzt nicht nur da und sagt: «Mach das, mach das», sondern er trainiert mit. Wir haben manchmal kleine Wettkämpfe. Aber ich habe wenig Chancen, er war ja Fussballprofi. (Lacht.)
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben?
Das geschieht natürlich, ohne dass wir es strikt abgrenzen. Tennis ist oft ein Thema, es ist ja mein Leben. Beim Training ist er der Chef, sonst mein Partner. Es fühlt sich gut an, dass immer jemand da ist, der mich unterstützt.
Man spürt: Sie sind glücklich und unbeschwert. Was liegt so diese Saison sportlich noch drin?
Ich will jetzt nicht sagen, in diesem Jahr wolle ich in die Top 10. Das wäre wieder der falsche Ansatz. Ich will konstanter werden, aus jeder Niederlage lernen. Denn wenn man das Turnier nicht gewinnt, verliert man immer am Ende. Es gilt also, mit 20 bis 30 Niederlagen im Jahr gut umzugehen.
Schaffen Sie das besser als früher?
Schon. Doch wenn ich wie in Lugano in der ersten Runde rausfliege, rege ich mich noch immer auf.
Schätzen Sie die Erfolge mehr als früher?
Nicht nur die Erfolge. Ich schätze es, dass ich spielen kann, dass ich gesund bin. Das habe ich früher immer als selbstverständlich angeschaut. Eine wichtige Erkenntnis war auch: Ich will leben! Ich kann nicht denken, zuerst kommt der Sport, und in der Saisonpause oder nach der Karriere lebe ich dann. Sonst halte ich das nicht lange durch. Roger Federer hat mich diesbezüglich viel gelehrt!
Wie meinen Sie das?
Er ist extrem fokussiert, wenn es drauf ankommt, und sonst extrem locker. Es hat mich erstaunt, dass er noch Spässe macht kurz vor dem Spiel. Ich war jeweils schon sehr nervös. Er legt den Schalter um. Einmal hat er mich gefragt, was ich am spielfreien Tag vorhabe. Ich wollte Eindruck machen und sagte, zweimal Tennis und Fitness. Er sagte dann: «Okay, ich gehe Wein degustieren.» (Lacht.) Ich will mich in keiner Weise mit ihm vergleichen. Doch ich habe gemerkt, dass mir das auch guttut, mal locker zu lassen. Denn das Leben auf der Tour kann viel Druck und Einsamkeit bedeuten.
Sind Sie denn einsam?
Ich meine damit nicht, dass ich allein wäre. Doch auf dem Platz ist niemand da, der dir hilft. Ich bin mit den Gedanken allein. Das ist auf Dauer zermürbend. Wenn es nicht läuft, komme ich schnell in eine Negativspirale. Je mehr ich denke, desto schlechter.
Wie verstehen Sie sich mit den anderen Spielerinnen auf der Tour?
Es ist nicht so locker wie bei den Juniorinnen. Ich schotte mich aber nicht ab, das würde mich wahnsinnig machen. Es ist wie ein Zirkus, wir sind jede Woche die gleichen Leute an einem anderen Ort auf der Welt. Ich habe gute Kolleginnen auf der Tour, doch meine beste Freundin ist aus Bubikon. Leider sehen wir uns nicht oft.
Dafür ist Ihr Vater seit Oktober nach fast drei Jahren mit drei anderen Trainern wieder mit Ihnen als Coach unterwegs. Wie kam das?
Es hat sich ergeben. Wir hatten keinen Streit und immer engen Kontakt. Ich wollte Neues probieren, und er liess mich meinen Weg finden. Im Herbst merkte ich, dass es mit meinem Trainer nicht funktioniert. Mein Vater war Zuschauen am Turnier in Linz und sprang als Coach ein. Ich fühlte mich sofort wieder wohl und dachte, wieso experimentieren, wenn das mit ihm wieder funktioniert.
Meinen Sie damit eher technische oder menschliche Aspekte?
Beides. Es war eine Vertrautheit und Sicherheit in meinem Spiel, die ich vorher vermisste. Dazu kam, dass er sich mit meinem Fitnesscoach und Freund Martin gut verstand, es harmonierte sofort.
Skirennfahrerin Lara Gut sagte einmal, sie hätte sich von ihrem Vater menschlich entfernt, weil er immer mehr nur noch ihr Trainer war. Empfanden Sie das auch schon so?
Nein. Mein Vater ist auch als Vater immer für mich da, wenn ich ihn brauche, so wie meine ganze Familie. Viele denken, mein Vater sei so überstreng. Er tut manchmal nur so, eigentlich ist er ganz chillig. (Lacht.)
Doch auf dem Platz gehen Sie nicht gerade zimperlich miteinander um!
Da wir Slowakisch reden, tönt das für Schweizer jeweils aggressiver, als es ist. Aber ja, manchmal wird es hitzig, wir sind eine laute Familie und beide sehr emotional.
Dafür nicht nachtragend?
Genau. Mein Vater kommt ja aus dem Eishockey, da geht es noch viel rauer zu und her. Doch wir sprechen im Nachgang schon darüber, wenn ich vielleicht überreagiert habe und das Racket nicht hätte zertrümmern sollen. Andererseits möchte ich dieses Feuer behalten, es macht mein Spiel aus, gibt mir Wucht und Energie.
Ihr Bruder ist auch als Tennisprofi unterwegs. Wie ist es für ihn, immer «der Bruder von …» zu sein?
Da müssten Sie ihn selber fragen. Aber wir haben ein super Verhältnis. Ich glaube, für ihn bin ich einfach die grosse, kleine, blöde Schwester. (Lacht.)
Was trauen Sie ihm karrieretechnisch zu?
Er ist riesengross und hat einen super Aufschlag. Er hat mega Potenzial, arbeitet hart. Aber es braucht Geduld, sich an den kleinen Turnieren nach oben zu arbeiten. Die Konkurrenz bei den Männern ist unglaublich gross. Zum Vergleich: Er schlägt mich noch immer mit links!
Wie ist es denn eigentlich für Ihre Mutter – sie ist die Einzige der Familie, die nicht ständig fürs Tennis um die Welt reist.
Deswegen habe ich ja einen Hund, Snowy, nach Hause gebracht. (Lacht.) Obwohl, auch der ist es schon gewohnt, viel on the road zu sein. Meine Mutter besucht uns oft an den Turnieren, und wenns mit dem Auto möglich ist, kommt auch Snowy mit.
Sie haben mit dem Sport schon viel Geld verdient. Was bedeutet Ihnen das?
Es bedeutet mir viel. Es ist sehr schön, mit meiner Leidenschaft Geld zu verdienen und gewisse Freiheiten zu haben.
Zum Beispiel?
Ausflüge, gemeinsame Essen oder Ferien. Martin und ich hatten geplant, nach unserem ersten gemeinsamen WTA-Titel Fallschirmspringen zu gehen. Doch er hat Höhenangst. Irgendwann bringe ich ihn schon noch dazu! Materielles bedeutet mir hingegen nicht viel, ich brauche keine Luxushandtaschen oder Suiten im Hotel. So bin ich aufgewachsen. Ich spare lieber für meine Familie oder später für meine Kinder.
Können Sie sich überhaupt vorstellen, einmal sesshaft zu werden?
Ja, in der Zukunft schon. Aber im Moment liebe ich das abwechslungsreiche Leben unterwegs. Manchmal habe ich Heimweh, aber nach einem Tag zu Hause denke ich schon: «Wie langweilig, ich will wieder weg!»