Es ist ein kühler, klarer Tag in Manchester, und im Norden der früheren englischen Industriestadt sind rudelweise Baumaschinen und Arbeiter in Leuchtwesten und mit Helmen unterwegs. Rund um das Etihad Stadium, das Zuhause des zurzeit erfolgreichsten Fussballklubs der Welt, entsteht gerade ein ganzes neues Quartier. Auf einer geschwungenen, strahlend weissen Fussgängerbrücke überquert man eine viel befahrene Strasse zum Campus, dem Trainingsgelände von Manchester City.
Wir werden erwartet, britisch-freundlich empfangen und machen uns, ausgestattet mit grünen Besucher-armbändern, auf zum Hauptgebäude. Das Trainingsgelände hat die Grösse eines durchschnittlichen Schweizer Dorfs, es besteht aus einem kleinen Stadion, mehreren weiteren Plätzen und einem mehrstöckigen Zentrum mit Kraftraum, Hotelzimmern für die Spieler sowie Behandlungsräumen.
Wenn man durch die Tür tritt, steht man in einer Art lebendem Panini-Album. Der englische Nationalspieler Jack Grealish (28) kümmert sich in einer Ecke um Autogrammkarten, der hünenhafte weissblonde Stürmerstar Erling Haaland (23) kommt kurz herein, grüsst freundlich und verlässt dann das Gebäude wieder, um sich in einen sportlichen Kombi zu setzen, der auf dem Parkplatz auf ihn wartet. Inmitten dieser Szenerie aus Weltstars und Klub-alltag sitzt der Schweizer Manuel Akanji entspannt in einem Sessel und spricht mit dem Kommunikationsverantwortlichen des Vereins. Rund 20 Leute arbeiten allein in der Abteilung für Kommunikation von Manchester City, das entspricht der Grössenordnung eines Weltkonzerns.
Manuel «Manu» Akanji (28) aufgewachsen in Wiesendangen bei Winterthur ZH, gehört seit zwei Jahren zu diesem Team der Exzellenz, das unter der Führung von Trainer Josep Guardiola (53) in der Saison 2022/23 die erfolgreichste Spielzeit seiner 1880 beginnenden Geschichte erlebt hat: Der Gewinn der dritten Meisterschaft in Folge, des prestigeträchtigen FA Cups, und der Sieg im Champions-League-Final gegen Inter Mailand sorgten für das Triple. Von Innenverteidiger Akanji, der in Manchester mit seiner Frau Melanie (31) und den beiden Söhnen Aayden (3) und Keeyan (1) ein beschauliches Familienleben führt, wollen wir wissen, wie es ist, in einem Verein voller Stars zu spielen, welche Werte er seinen Kindern vermitteln will und wie lange es dauert, bis seine kunstvoll geflochtenen Haare gemacht sind.
Manuel Akanji, Sie haben mit 28 Jahren in Ihrem Berufsleben schon mehr erreicht als andere in ihrem ganzen Leben: Macht Sie das stolz, demütig, oder denken Sie gar nicht darüber nach?
Manuel Akanji: Es macht mich stolz und dankbar, dass ich meine Ziele so schnell erreicht habe. Vor allem die fünf Titel, die wir im vergangenen Jahr gewonnen haben, geben einem ein unglaubliches Gefühl. Ein Gefühl, das ich wieder haben will.
Wie verhindern Sie Gefühle der Überheblichkeit?
Ich bin grundsätzlich jemand, der auf dem Boden bleibt, und ich versuche, ich selbst zu sein. Die Leute in meinem Umfeld sorgen dafür, dass das so bleibt. Die Unterstützung meiner Frau Melanie ist dabei zentral. Sie schaut dafür, dass ich im Hier und Jetzt bleibe.
Und wie macht sie das?
Wie man das halt in einer Beziehung macht: Wenn sich jemand falsch benimmt, redet man offen miteinander. Und unsere beiden Kinder, die mich strahlend empfangen, wenn ich zu Hause durch die Tür trete, lenken meine Gedanken sowieso jedes Mal in eine neue Richtung.
Was ist, mental gesehen, der beste Umgang mit Erfolg: sich immer daran zu erinnern oder ihn gedanklich abzulegen?
Ich sehe Erfolge als wertvolle Meilensteine. Es ist sehr motivierend, wenn ich weiss, was für ein Gefühl der letzte Titelgewinn ausgelöst hat. Ich möchte in der Erinnerung zurück zu diesem Gefühl, das ich hatte, als der Schlusspfiff zu hören war.
Das können Sie wieder abrufen?
Nicht jeden Tag, aber zwischendurch – in einem Moment der Müdigkeit vielleicht, wenn noch zwanzig Minuten zu spielen sind und ich nochmals alle Reserven mobilisieren will, dann wandle ich Erinnerungen in Motivation um.
Warum stehen Sie morgens gern auf, um auch bei sechs Grad und Regen auf dem Trainingsplatz zu erscheinen?
Ich will jeden Tag besser werden. Es gibt natürlich Momente, wie bei jedem anderen auch, in denen ich lieber zu Hause im Bett oder bei der Familie bleiben würde. Aber am Ende kann ich meinem Traumjob nachgehen, ich schätze dieses Privileg sehr.
Stimmen Sie zu, dass Fussballer ein sehr spezieller Beruf ist?
Es ist letztlich einfach Spitzensport, aber man hat halt einen besonderen Blick auf Fussballer. Am Ende sind wir alles nur Menschen, die gern mit dem Ball in einem Team spielen, damit hoffentlich die Fans begeistern und nebenbei Geld verdienen.
Haben Sie sich die kindliche Freude am Ballspiel bewahren können?
Das ist das Wichtigste überhaupt. Ich habe Spass an diesem Sport und will das Beste aus mir herausholen. Wenn das nicht das Ziel ist, muss ich keinen Spitzensport mehr machen.
Können Sie sich vorstellen, irgendetwas anderes als Fussball zum Beruf zu haben?
Irgendwann schon, natürlich. Fussballkarrieren dauern nicht ein ganzes Leben lang, man weiss nie, was passiert. Deshalb habe ich auch eine Lehre abgeschlossen und wäre bereit dafür, wenn ich etwas anderes tun müsste. Aber momentan ist Fussball mein Fokus.
Haben Ihre Eltern eigentlich darauf bestanden, dass Sie die KV-Lehre abschliessen?
Meinen Eltern war das zum Glück wichtig. Ich habe zuerst zwei Jahre auf regulärem Weg die Lehre absolviert und dann die United School of Sports besucht. Am Ende kommt es auf den Willen an – und natürlich braucht es Talent.
Was ist wichtiger, wenn man auf Ihrem Niveau Fussball spielt – die mentale oder die körperliche Stärke?
Beides ist wichtig, aber für mich ist der körperliche Aspekt entscheidend. Wenn man nicht fit ist, kann man nicht spielen. Die mentale Seite sorgt dafür, dass man Leistung abrufen kann, sich verbessert, aufnahmefähig bleibt.
Ich stelle es mir anspruchsvoll vor, vor 70 000 Zuschauern den Ball zu verlieren und dies dann verdrängen zu müssen, um weiterspielen zu können.
Das ist nicht einfach, und ich habe im Lauf meiner Karriere in dieser Hinsicht viel dazugelernt. Als junger Spieler konnte ich Fehler viel schlechter wegstecken als heute. Es nervt mich zwar immer noch, aber ich weiss auch, dass ich es nicht mehr ändern kann.
Wie gelangen Sie vor dem Spiel in den Konzentrationstunnel?
Am Spieltag telefoniere ich zehn Minuten mit meinem Mentaltrainer. Wir reden über die Aufstellung, darüber, was ich mir vornehme, was mich erwarten könnte. Das ist ein fester Ablauf. Wenn wir mit der Mannschaft zum Spiel fahren, höre ich meistens Musik.
Was hören Sie?
Hauptsächlich Afrobeat und vor dem Spiel gerne Rap. Mit Kyle Walker spiele ich traditionell eine Partie «Uno», so bin ich vor dem Anpfiff ruhig und ausgeglichen. Erst wenn ich auf den Platz laufe, um mich aufzuwärmen, komme ich in den sogenannten Tunnel.
Wovon haben Sie als Zehnjähriger in Wiesendangen geträumt?
Ich wollte Fussball spielen. Ich habe mit sechs angefangen zu spielen und wollte früh Profi werden. Dass ich es schaffen würde, war allerdings nicht immer so klar.
Wovon träumen Sie heute?
Das Wichtigste ist für mich das Wohlergehen meiner Familie.
Haben Sie mit Melanie eine Aufteilung, wer in der Familienarbeit was erledigt, oder machen alle alles?
Wir haben keine festen Regeln. Meine Frau steht morgens früher auf, wenn ich vor Spielen mehr Schlaf und Erholungszeit brauche. Sonst machen wir alles Mögliche zusammen. Aber natürlich hält mir Melanie oft den Rücken frei. Ohne sie könnte ich meine Leistung nicht so konstant abrufen.
Welche Werte wollen Sie Ihren Buben mit auf den Weg geben?
Mir ist respektvoller Umgang mit anderen Menschen und Wertschätzung gegenüber ihrem Umfeld wichtig. Und sie sollen stolz auf ihre Herkunft sein.
Meinen Sie auch die Hautfarbe?
Ja, das gehört auch dazu.
Rassismus wird immer wieder zum Thema im Fussball. Wie sehen Sie das?
In letzter Zeit wurde ich nicht mit Rassismus konfrontiert. In Manchester hat man mich sehr gut aufgenommen, und auch in der Schweiz fühle ich mich aufgehoben.
Sie sind selbst «eine Nummer», wie man in der Schweiz sagt. Wie ist es für Sie, zusammen mit Weltstars wie Haaland oder Grealish zu spielen?
Mittlerweile ist es Normalität, aber als ich zum ersten Mal in die Kabine gekommen bin, war das schon speziell. Es ist unglaublich motivierend, mit den besten Spielern der Welt zusammen auf dem Platz zu stehen. Und wenn ich im Training gegen sie verteidige, will ich meine Leistung zeigen. Und ich denke, mittlerweile bin ich auf einem Level, auf dem mir das gut gelingt. Von Leuten wie Haaland oder Grealish jeden Tag gefordert zu werden, ist unglaublich toll.
Erlauben Sie eine intime letzte Frage: Wie lange dauert es, bis Ihre Haare geflochten sind?
Dafür kommt eine Spezialistin zu mir nach Hause. Zuerst werden die Haare eine Stunde geflochten, danach werden sie 30 Minuten lang geschnitten beziehungsweise rasiert.