Harter Techno peitscht durch den Raum. Timo Meiers Blick ist fokussiert, sein stählerner Bizeps zittert – 25 Kilo schwer ist die Kugelhantel, die er mit weiten Schritten durch die Halle balanciert. An fünf Vormittagen in der Woche absolviert der 26-jährige Appenzeller aus Herisau AR hier hartes Krafttraining. Seit Ende Mai, jeweils zwei Stunden lang, unter Anleitung seines Athletik-Coachs Raphael Schuler, 33. Sein privates Gym hat sich der Eishockeystar mit Kollegen in einem ehemaligen Gewerberaum ausgangs St. Gallen eingerichtet, das Equipment ist vom Feinsten.
40 Tore hat Meier vergangene Saison in der National Hockey League geschossen – so viele wie noch kein anderer Schweizer NHL-Spieler; 150 Checks hat er ausgeteilt. «Timo ist enorm ehrgeizig und zielstrebig», sagt sein Coach. Meier wischt sich den Schweiss von der Stirn: «Ich will einen Schritt weiterkommen, mich steigern. Eine geile Herausforderung!» Timo lacht verschmitzt. «Einfache Sachen waren noch nie meins!»
Seit 2016 spielt der Appenzeller in der NHL, der besten Eishockeyliga der Welt. Erst bei den San Jose Sharks an der US-Westküste, seit Februar bei den Jersey Devils an der Ostküste. Ende Juni hat der schussgewaltige Flügelstürmer in Newark, der Homebase der New Jersey Devils, einen neuen Vertrag unterzeichnet: 70,4 Millionen Dollar wird er in den nächsten acht Jahren bei den Devils verdienen, durchschnittlich 8,8 Millionen pro Jahr – so viel wie noch kein anderer Schweizer Eishockeystürmer.
Nach dem Vertragsabschluss hat er sich mit seinen Eltern Charly, 64, und Claudia, 60, ein gutes Abendessen gegönnt. «Und ich hab mir ein Paar neue Wanderschuhe gekauft.» Beim Anlegen seines Geldes ist ihm auch Mutter Claudia behilflich.
Wie jedes Jahr ist Timo Meier nach dem NHL-Saisonschluss Ende Mai in der Ostschweiz. «Das ist meine Heimat! Den Sommer möchte ich nirgendwo sonst geniessen.» Dann wohnt er allein in Rorschacherberg SG in seiner Wohnung mit Blick auf den Bodensee. Auch seine Eltern sind von Herisau hierhergezügelt, vor sechs Jahren.
«Was gibts Besseres als eine St. Galler Bratwurst?»
Timo Meier
Sonntags trifft sich die Familie
Jeden Sonntag haben die Eltern ihre beiden Kinder Timo und Larissa, 30, bei sich zum Znacht. Dann gibts oft etwas Herzhaftes vom Grill. Timo lacht. «Was gibts Besseres als eine St. Galler Bratwurst?» Werktags heissts dann wieder harte Arbeit! Nach dem Workout im Gym fährt Timo jeweils zum Eistraining. Dieses findet in der Eishalle des Sportzentrums Herisau oder auf einem Eisfeld der Bodensee-Arena in Kreuzlingen TG statt. Auch dort übt Timo mit zwei anderen Schweizer Eishockeyanern: Philipp Kurashev, 23 (Chicago Blackhawks), und Rodwin Dionicio, 17 (Anaheim Ducks). Unter strenger Anleitung von Meiers Jugendtrainer Christian Rüegg feilen die drei an Schusstechnik, Schlittschuhlaufen, Stickhandling und Taktik.
Wie stets in Timos Sommerpause ist das Juniorencamp seines SC Herisau ein Fixpunkt. Während einer Woche hat der Champ junge Spielerinnen und Spieler auf die kommende Saison vorbereitet, für eine Frage- und Autogrammstunde kam Leichtathlet Simon Ehammer vorbei. Bis zum Alter von 14 Jahren hat Timo bei seinem «Herzensklub» Eishockey erlernt. «So kann ich etwas zurückgeben.»
«Timo ist bescheiden und bodenständig geblieben»
Kollege Roman Popp, Captain beim SC Herisau
«Ich freue mich, wenn mich meine Kollegen besuchen kommen»
Und deshalb hat er heuer das erste Timo Meier Charity Golfturnier organisiert. 100 Golferinnen und Golfer, unter ihnen Peter Forsberg und Arno Del Curto, sind auf den Golfplatz in Gonten AI gekommen, 20 000 Franken gibts zugunsten des Nachwuchses. Seine Eltern sitzen vor dem Klubhaus, die beiden sind seine grössten Fans.
Sie freuen sich, dass es nun ein paar Flugstunden weniger braucht, um bei Timos Heimspielen vor Ort mitzufiebern. Vier- bis fünfmal pro Saison «gehen wir bestimmt hindere», sagt Vater Charly. Dann bringen die Eltern ihrem Sohn wie gewohnt Schoggi, Zweifel Chips und Appenzeller Fondue – ein Caquelon hat Timo in seiner Mietwohnung in Newark. Timo lacht. «Habe ich schlecht gespielt, gönne ich mir jeweils eine Tafel Schoggi. Dann gehts mir wieder besser.» Sein Vater verfolgt Timos Matches zu Hause am iPad auf NHL-TV – auch wenn er dafür um drei Uhr aus den Federn muss. «Ein-, zweimal pro Woche telefonieren wir», sagt Mutter Claudia. Sie ist stolz auf ihren Sohn. Timo sei nicht nur ein hervorragender Sportler, «er ist auch ein toller Mensch». Roman Popp nickt – der 35-jährige Captain der ersten Mannschaft des SC Herisau hat sich zu Timos Eltern gesetzt, seit Kindsbeinen ist er ein enger Freund des heutigen NHL-Stars. Er sagt: «Timo ist bescheiden und bodenständig geblieben, herzlich und ehrlich.» Roman gehört zum Kollegenkreis, mit dem Timo jeden Sommer viel Zeit verbringt: chillen auf dem Boot eines Bekannten auf dem Bodensee, ein Bierchen am Open Air St. Gallen beim Macklemore-Konzert (in Wanderschuhen), Two-Touch spielen, ein Abstecher an den Schwägalp-Schwinget – und natürlich ab und zu ein Heimspiel von Timos Lieblings-Fussballklub besuchen, dem FC St. Gallen. Dessen Spiele wird er mit Streaming gelegentlich auch in Newark verfolgen. «Ich freue mich, wenn mich meine Kollegen besuchen kommen.»
Vor der Abreise an seinen Arbeitsort hat Meier noch viel zu erledigen. Von seiner Schwester Larissa lässt er sich in deren Coiffeursalon noch einmal seine Haare schneiden. Bei einem Schneider in St. Gallen holt er den massgefertigten Teamanzug ab, mit dem er vor Devils-Spielen ins Stadion einläuft. «Und Appenzeller kaufen!» Nicht etwa den Käse, sondern den Kräuterschnaps – «für den Fall, dass mal einer Zielwasser braucht».
Im Flugzeug spielen sie «Uno»
Timo freut sich, nach der Off-Season seine Schweizer Teamkollegen Nico Hischier, Jonas Siegenthaler und Akira Schmid wiederzusehen. Lädt Timo sie in seinen Single-Haushalt ein, gibts «erst Rösti mit Spiegeleiern und Speck, dann Biberli». Auf den Reisen im Klubflugzeug spielen die vier oft «Uno».
Dank den Trainings in seiner Heimat ist Meier in Topform. Am Appenzeller Ausnahmekönner werden nun alle Mass nehmen. Nach einem Trainingscamp mit den Devils startet Timo am 12. Oktober in die neue Saison – als erfahrener Leitwolf. In den USA ist er ein Superstar, mit vielen – auch weiblichen – Fans. Sein Ziel? Da legt der smarte Guy mit dem Hammerschuss seine Bescheidenheit ab: «Stanley Cup, möglichst schon nächste Saison! Ich brenne darauf!»