Gedankenverloren lässt Marthe Keller (78) den Blick über den Genfersee schweifen. «Es wäre grossartig, ein Haus direkt am See zu haben», meint sie träumerisch. «Am liebsten gleich in dieser Gegend hier, in Vevey, La Tour-de-Peilz oder Cully. Dafür würde ich mir sogar überlegen, mein Haus in Verbier und meine Bleibe in Paris zu verkaufen.»
Dabei hat der Walliser Kurort Verbier, wo die Baslerin heute ihren Hauptwohnsitz hat, seinen Bekanntheitsgrad unter anderem Marthe Keller zu verdanken. Diese soll nämlich im Blockbuster «Marathon Man» von 1976 auf die Frage, woher sie komme, laut Drehbuch mit «Zermatt» antworten. Sie sagt stattdessen «Verbier». Die Produzenten fragen: «Verbier? Wo ist denn das?» Darauf Keller: «Wisst ihr, wo Zermatt ist?» Auf deren Nein meint sie: «Na also, dann spielts ja keine Rolle.» Für «Marathon Man» werden Regisseur John Schlesinger sowie Dustin Hoffman, Laurence Olivier und Marthe Keller für einen Golden Globe nominiert. Olivier gewinnt ihn. Und die ganze Welt fragt sich, wo denn eigentlich Verbier liegt.
Mit der selben Nonchalance, mit der Marthe Keller einst ihren Wohnort auf die grosse Leinwand bringt, pendelt sie ihr Leben lang zwischen Hollywood, dem New Yorker Broadway und kleinen Theaterbühnen in Europa. Gerade hat sie das Drama «One Life» mit Anthony Hopkins abgedreht, das voraussichtlich Anfang nächstes Jahr in die Kinos kommt. Vom 16. bis zum 19. November spielt sie im Freiburger Theater Equilibre vor jeweils knapp 680 Zuschauenden in «Who Plays Who?». In der Adaption von John Cassavetes «A Woman of Mystery» gibt sie die mysteriöse Frau ohne Namen und Wohnort, die durch die Strassen wandert und zur Projektionsfläche diverser Menschen wird. Was Keller an der Figur beeindruckt: «Sie versucht nicht, zu gefallen.» Anders als sie selbst: «Ich habe Angst, dass ich in dem Moment, in dem ich nicht mehr gefallen möchte, nicht mehr begehrenswert bin. Das Begehren der Leute ist ein Teil meiner Arbeit.»
Von der Beziehung mit Al Pacion bleibt eine Kaffeetasse
Marthe Keller hat schon immer ihren eigenen Kopf. Beruflich, indem sie Hollywood den Rücken zukehrt, sobald sie nicht mehr vor der Kamera steht. Rote Teppiche sind ihr ein Graus. Privat, indem sie nie heiratet («Ich habe das so oft im Film getan, da weiss ich ja, wies ist»). Den Antrag von Richard Burton lehnt sie ab. Oscar-Preisträger Al Pacino, den sie 1977 beim Dreh von «Bobby Deerfield» kennenlernt, verlässt sie nach sieben Jahren. Was sie mitgenommen hat aus dem gemeinsamen Haushalt? «Eine Tasse, aus der ich bis vor Kurzem jeden Morgen meinen Kaffee getrunken habe. Aber ich habe damit aufgehört. Bei all seinen Dummheiten …», meint sie augenrollend. Ihre ehemalige grosse Liebe ist mit 83 Jahren noch mal Vater geworden. Keller erklärt es sich so: «Vielleicht möchten solche Männer ihr Leben verlängern, wieder jung sein … Aber eigentlich will ich nicht darüber reden.»
Die Sache mit den Joints vor der Bett-Szene
Ansonsten nimmt dieser Hollywood-Star, der keiner sein möchte, kein Blatt vor den Mund und plaudert munter drauflos. Zum Beispiel über Drogenerfahrungen in der Traumfabrik. Den Kokain-Partys sei sie immer ausgewichen. Einmal nur habe sie sich zu einem Joint überreden lassen, um vier Uhr morgens, vor dem Dreh einer Bettszene für «Black Sunday» im Jahr 1977. «Ich habe einen geraucht. Nichts ist passiert. Einen zweiten. Nichts. Nach dem dritten bin ich auf allen vieren gekrochen, habe gebellt und meinen Filmpartner in die Schulter gebissen. Danach habe ich nie wieder geraucht, auch keine normalen Zigaretten mehr.»
Bruce Dern wird den Biss weggesteckt haben. Er ist nicht der Einzige, über den die Keller mit einem Augenzwinkern aus dem Nähkästchen plaudert. Regielegende Billy Wilder nennt sie «einen Terroristen. Seine Filme sind fürs Publikum spektakulär, aber als Schauspielerin mag ich es nicht, wenn man mir sagt, was ich wie tun soll.» Marlon Brando beschreibt sie als «genial, aber komplett verkrampft». Und über Paul Newman sagt sie: «Er kam eines Abends in meine Loge am Broadway. Ich bin fast umgefallen, so schön war er! Ich fragte ihn, was sein Geheimnis sei, und er sagte: ‹Eis!› Seither reibe ich mir jeden Morgen mit Eiswürfeln übers Gesicht.» Botox habe sie hingegen nur ein einziges Mal ausprobiert. «Das bringt nichts. Es macht nicht jünger, und am Ende sehen alle gleich aus mit dem Zeug. Ich bewundere Frauen wie Helen Mirren, die zu ihren Falten stehen. Das echte Leben ist halt so.» Und dieses meine es gut mit ihr: «Ich werde körperlich zwar schneller müde, habe aber immer noch viel Energie.»
So wichtig Marthe Keller auch ihr Beruf noch immer ist («Ich kann mir nicht vorstellen, aufzuhören»), so wenig Wert legt sie nach wie vor aufs Berühmtsein. Mit Grauen erinnert sie sich an den Tag nach dem «schönsten Tag meines Lebens», der Geburt ihres Sohnes Alexandre (aus ihrer Beziehung mit Regisseur Philippe de Broca): «Ein Mann im Arztkittel kam, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer und zückte eine Kamera. Ein Paparazzo. Ich habe nur noch geschrien.» Ihr Sohn und die beiden Enkelinnen leben in Paris und sind ein grosser Teil von Marthe Kellers Leben. Und wie siehts aus mit einem Partner? «Ich bin anspruchsvoll und nicht einfach als Partnerin», meint sie. Und weiter, lachend: «Aber ich bin eine Liebhaberin des Lebens. Und die Männer sind nun mal Teil davon.»