Der Tag beginnt mit einem guten Omen: Es regnet. Für ein Land wie die Mongolei, das unter akutem Wassermangel leidet, eine ebenso willkommene Abwechslung wie der Besuch des Schweizer Staatsoberhaupts. Am Flughafen von Ulan-Bator wird Bundespräsidentin Viola Amherd (62) mit gegorener Stutenmilch, Blumenstrauss und Händedruck empfangen.
Tags darauf lädt der mongolische Präsident Ukhnaagiin Khurelsukh (56) Amherd in seine Jurte ein. Die befindet sich aber nicht in der Steppe, sondern im vierten Stock des Regierungspalasts mitten in der Hauptstadt. Ursprünglich wurde Ulan-Bator für 300'000 Einwohner geplant, heute beherbergt die Stadt 1,5 Millionen Menschen und damit einen beträchtlichen Teil der 3,5 Millionen Landesbewohner.
Beim Tête-à-Tête in der Jurte besprechen Amherd und Khurelsukh in entspannter Atmosphäre die künfti-gen Beziehungen ihrer beiden Länder. Bilaterale Beziehungen zwischen der Schweiz und der Mongolei bestehen seit 60 Jahren. Ein aktuelles Ziel: die demokratischen Institutionen in der Mongolei stärken. Nicht zuletzt deshalb, weil das Land zwischen den beiden Weltmächten China und Russland regelrecht eingeklemmt ist.
Ein Sportfestival für Amherd
Zeit für Kultur: Viola Amherd besucht in Ulan-Bator den Tschoidschin-Lama-Tempel. Umgeben von futuristischen Gebäuden, wirkt er wie aus der Zeit gefallen. Die Einheimischen kommen immer noch hierher, um zu beten, auch wenn im Tempel heute keine religiösen Aktivitäten mehr stattfinden.
Faszinierend findet Amherd die mit Korallen bestickten Masken für den Tsam, einen rituellen Tanz im tibetischen Buddhismus. Der Schamanismus war früher in der Mongolei sehr verbreitet, bevor sich das Land im Laufe der Jahrhunderte dem tibetischen Buddhismus zuwandte.
Übrigens: Präsident Khurelsukh lädt Viola Amherd während ihres Besuchs nicht nur in seine Regierungsjurte ein, sondern auch in seine Privatresidenz. Hier stellt er für sie einen Teil des Naadam-Festivals nach, das jeweils am Nationalfeiertag der Mongolei zwischen dem 11. und dem 15. Juli stattfindet. Der Gastgeber holt für Viola Amherd alle Stars, die diesen Sommer am Festival aufgetreten waren, zurück: die besten Ringer, die besten Bogenschützen und die ausdauerndsten Pferde, deren Jockeys fünf bis dreizehn Jahre alt sind. Die Wettkämpfe werden von Volkstänzen und traditionellen Gesängen begleitet.
Eine Glocke auf Abwegen
In Japan erwartet die Bundesrätin dann eine spezielle Aufgabe. Im Stadtteil Shinagawa, im Süden Tokios, steht der Honsenji-Tempel. Der Grund für den Halt an diesem heiligen Ort ist die Glocke des Tempels. Sie wurde im 17. Jahrhundert aus Bronze gegossen und mit den sechs Inkarnationen Buddhas verziert, verschwand jedoch bei einem Brand des Tempels im Jahr 1867. Zehn Jahre lang gab es keine Nachricht von diesem imposanten Objekt, bis es – niemand weiss warum – ausgerechnet in der Giesserei Rüetschi in Aarau wieder auftauchte. Später wurde die Glocke im Park des Ariana-Museums in Genf aufgestellt, wo sie 1919 von einem Studenten als das Instrument identifiziert wurde, mit dem im Honsenji-Tempel die Stunden geschlagen worden sind. Ein Jahrzehnt später gab der Genfer Stadtrat das Objekt zurück. Heute ist die Glocke ein japanischer «Nationalschatz» und ein Symbol für die Partnerschaft und den Austausch zwischen der Schweiz und Japan.
«Auf eine höhere Ebene bringen»
Der Nachkomme der Sonnengöttin Amaterasu trägt einen gut sitzenden Anzug. Kaiser Naruhito (64) gilt in Japan als Nachkomme einer der Hauptgottheiten der Shinto-Religion. Während einer halben Stunde tauscht er sich mit Viola Amherd über den Frieden und die schweizerisch-japanische Zusammenarbeit im Hinblick auf die Weltausstellung 2025 in Osaka aus. Nach genau 30 Minuten öffnen sich die Türen des kaiserlichen Anwesens erneut, und der Kaiser begleitet die Schweizer Staatschefin zum bereitstehenden schwarz lackierten Toyota Century Royal.
Viola Amherd trifft in Tokio nicht nur den Kaiser, sondern auch Japans Premier Fumio Kishida, die Aussenministerin und den Verteidigungsminister. «Die Beziehung zwischen unseren Ländern ist zwar sehr gut, sie könnte aber noch auf eine höhere Ebene gebracht werden», sagt Amherd. Sie denke da beispielsweise an die Digitalisierung und die internationale Sicherheit. «Unser Freihandelsabkommen mit Japan stammt aus dem Jahr 2009. In der Zwischenzeit hat sich in verschiedenen Bereichen vieles getan. Die Schweiz würde es deshalb gern aktualisieren, und Premierminister Fumio Kishida hat dies zur Kenntnis genommen.»
Und die Bilanz der Bundespräsidentin? «In der Mongolei war der herzliche Empfang direkt spürbar, in Japan ein wenig zurückhaltender. Doch in beiden Ländern merkte ich, wie sehr die Schweiz geschätzt wird.»
Bearbeitung: Lynn Scheurer