Bundesrat Guy Parmelin braucht keine Menukarte. «Ich empfehle euch wärmstens die Saucisson vaudois mit Lauchgemüse», sagt der Waadtländer und bestellt für sich eine Zwiebelsuppe und ein Wienerschnitzel. «Mit Fleisch aus der Schweiz!» Das «Zimmermania» in der Brunngasse ist eine seiner Lieblingsbeizen in Bern. «Es ist schnörkellos bodenständig.» Zum Essen bestellt er einen Waadtländer Chasselas-Weisswein aus Yvorne und einen Pinot noir aus St-Saphorin.
Herr Bundesrat, Sie trinken Schweizer Wein und essen Schweizer Fleisch. Ist das nicht langweilig?
(Lacht.) Nein, ich esse doch ein Wienerschnitzel, also eine österreichische Spezialität. Aber im Ernst: Natürlich ist mir das wichtig. Als Konsument wie als Landwirtschaftsminister. Wenn es geht, sollte man Produkte aus der Region essen und trinken. Das ist ökologisch sinnvoll und gut für unsere Bauern. Es stört mich, dass es zum Beispiel in Zürich und in der Ostschweiz viele Restaurants gibt, in denen man alles, aber keinen Schweizer Wein trinken kann.
Und was tun Sie als Landwirtschaftsminister dagegen?
Ich habe die Grossverteiler zusammen mit der Branchenorganisation an einen Tisch gebeten, damit sie mehr Promotionen mit Schweizer Wein machen. Aktionen mit dem Schweizerkreuz etwa. Für solche Werbemassnahmen sprechen wir auch Geld, wenn die Branche mitzieht und alle rechtlichen Bestimmungen erfüllt sind.
Und daheim keine ausländischen Tropfen?
Doch! Ich habe schon sehr früh Bordeaux-Weine gekauft, ich schätze sie sehr. Nun sind die Preise explodiert. Für mich muss das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen, auch beim Schweizer Wein. Es gibt so viele gute Schweizer Weine zu fairen Preisen, dass ich nur selten auf ausländische zurückgreifen muss.
Wäre es nicht super, wenn die Pestizidverbots-Initiative beim Volk durchkäme oder die Trinkwasser-Initiative – dann wäre jeder Wein und jedes Gemüse pestizidfrei!
Nein, das wäre eben nicht gut. Denn dann gäbe es nur noch Biowein, den ich zwar sehr schätze, der aber für viele Schweizer zu teuer wäre. Ich prophezeie Ihnen, dass die Schweizer massenhaft im benachbarten Ausland ihren Wein einkaufen gehen. Das ist doch keine Lösung.
Was ist dann die Lösung?
Um im Weinbau weniger Pflanzenschutzmittel zu brauchen, müssen wir resistente Sorten züchten. Damit reduzieren wir den Einsatz von Kupfer, das auch im Biolandbau eingesetzt wird. Agroscope ist weltweit führend in der Züchtung von pilzresistenten Sorten. Auch die Trinkwasser-Initiative ist nicht der richtige Weg. Viele Gemüsebauern würden freiwillig auf die Direktzahlungen verzichten, um weiter Pflanzenschutzmittel einsetzen zu können. Direktzahlungen sind dort nur ein kleiner Teil des Einkommens. Dank Direktzahlungen haben wir eine Kontrolle, welche und wie viel Pflanzenschutzmittel sie einsetzen. Vergessen Sie nicht: Konsumenten wollen mehrheitlich schöne Früchte und schönes Gemüse kaufen.
Aber einige Winzerfamilien Parmelin produzieren doch hervorragenden Biowein. Sie selber haben schon sehr früh darauf geachtet, möglichst ohne Pestizide auszukommen.
Das stimmt. Wir benützen keine Insektizide mehr. Und in unserer Region geht das auch. Aber ich möchte nicht, dass wir in der Schweiz nur noch teure landwirtschaftliche Produkte herstellen und alles andere dann aus dem Ausland kommt.
Trotzdem: 2019 war das Jahr der grünen Welle. Hat Sie das ökologische Feuer nicht erfasst?
Ich habe nicht darauf gewartet. Ich war stets sehr ökologisch. Als wir 1971 unser Haus gebaut haben, wurde noch mit Öl geheizt – was für eine Energieverschleuderung! Wir erneuerten alle Fenster, isolierten Dach und Fassaden, installierten Photovoltaik und heizen mit Pellets. Ich betone gern, dass meine Frau und ich all unsere Einkäufe in der Schweiz machen – und zwar möglichst im Dorf oder in der näheren Umgebung. Mein Privatauto brauche ich kaum. Wer mir eine Lektion erteilen will, muss es erst besser machen. Ich esse auch nicht täglich Fleisch. Alles mit Mass ist das Beste.
In Baden-Württemberg, Bayern und Österreich stellt man jetzt auf landwirtschaftliche Freiflächen Photovoltaik-Anlagen. Dort gibt es schon Hecken aus Solarpanels. Würde man vier Prozent der Agrarfläche der Schweiz damit bebauen, könnten wir ohne AKW autark Strom produzieren. Die Bauern könnten dafür Bodenzins kassieren.
Ja, das ist tatsächlich interessant. In der Schweiz gibt es natürlich sofort viele Aber. Widerstände etwa wegen Landschaftsschutz sind programmiert. Trotzdem lohnt es sich, diese Idee zu prüfen. Darum werde ich dieses Jahr an die «Grüne Woche» in Berlin gehen und mich dort zum Thema Freiflächenanlagen genau umhören. Mein Motto für 2020 ist: Wagen wir einen neuen Blick auch auf Dinge, die unverrückbar erscheinen.
Wir haben den Eindruck, dass man Ihnen neues Denken nicht zutraut, weil Sie ja – entschuldigen Sie, es ist nicht meine persönliche Meinung – nur ein Bauer sind.
Ja, ich glaube, Sie haben recht. Ich habe in einigen Kreisen drei Nachteile: Ich bin Bauer, ich bin Romand, und ich bin Parteimitglied der SVP.
Und wie gehen Sie damit um?
Als ich das Amt als Wirtschaftsminister antrat, habe ich mit Vertretern der Schweizer Wirtschaft das Gespräch gesucht: Ich habe viele Leute getroffen, alle Sozialpartner und viele Unternehmungen besucht. Aktionen hinter meinem Rücken schätze ich nicht.
Und haben Sie Vertrauen schaffen können?
Ich denke schon. Auf der Reise nach Japan und Vietnam habe ich den Wirtschaftsvertretern gezeigt, dass ich ihre Interessen vorbringen kann. Auch mein Vorstoss zur Abschaffung der Industriezölle hat ihnen gezeigt, dass es mir ernst ist, den Wettbewerb zu fördern, das Preisniveau zu senken und die Bürokratie abzubauen.
Sie sagen es selber, Sie werden zum Teil nicht ernst genommen, weil sie nur ein Bauer sind, also nicht studiert haben. Trotzdem propagieren Sie die Berufslehre. Warum?
Ich war an der Nobelpreisverleihung in Schweden. Dort sagte mir die zuständige Ministerin, bei ihnen habe die Lehre fast keine Bedeutung mehr. Diese Entwicklung wäre für uns fatal. Wir brauchen die besten Leute auch in der Lehre. Wer gut ist, kann jederzeit weiter studieren.
Auch Ihre Eltern, Bauern, haben Ihnen geraten, das Gymnasium zu besuchen.
Aber nachher liessen sie mich eine landwirtschaftliche Lehre machen. Und zwar in der Deutschschweiz. Meine Lehrmeisterfamilie war so nett, dass sie extra mit mir Hochdeutsch geredet hat, wovon ich heute noch profitiere.
Sie haben mit dem Mercosur-Freihandel auch eine bittere Pille schlucken müssen: Die Schweiz muss 3000 Tonnen mehr Rindfleisch aus Südamerika importieren.
Es trifft nicht zu, dass wir 3000 Tonnen mehr Rindfleisch importieren müssen. Diese Mengen Rindfleisch werden bereits heute aus den Mercosur-Staaten, vor allem aus Uruguay, importiert. Diese Importe haben wir mit dem Abkommen nur bestätigt. Ein Freihandelsabkommen bestimmt ohnehin nie, wie viel zusätzlich importiert wird. Importiert wird nur, was von den Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz nachgefragt wird.
Und wie stehts mit dem anvisierten Freihandelsabkommen mit den USA?
Wir führen immer noch Vorbereitungsgespräche. Ich hoffe, wir können sie bald beenden und richtig einsteigen – vielleicht am WEF.
Sie hoffen auf Trump in Davos?
Ja, im persönlichen Gespräch kann man immer am besten etwas rausholen.
Wir stehen am Jahreswechsel. Was haben Sie sich persönlich für 2020 vorgenommen?
Im Januar und Februar trinke ich etwa 20 Tage lang keinen Alkohol. Damit verliere ich rund drei Kilo. Allgemein wollen meine Frau und ich in Zukunft die Schweiz mehr geniessen. Und zwar im Studio, das wir in Villars-sur-Ollon gekauft haben.
Fahren Sie dort Ski?
Ich bin 60 Jahre alt, also kein Verbissener mehr. Und diesen Winter werde ich ganz darauf verzichten, damit ich nicht auf Krücken in Davos herumhumpeln muss.