Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) weiss, wie man Deutschschweizer und Welsche in einer Gruppe zusammenbringt – mit Humor. Im Hof des Schlosses von Porrentruy, das hoch über der Altstadt der jurassischen Gemeinde thront, stellt sich die 60-Jährige auf ein Mäuerchen. «Zum Glück gehört Meteoschweiz zu meinem Departement», sagt sie auf Französisch und blinzelt in die Sonne, während die 150 Leserinnen und Leser der Schweizer Illustrierten und von«L’illustré» ihre Dächlikappen montieren.
Als die Chefredaktorinnen Silvia Binggeli und Laurence Desbordes das Programm der traditionellen 1.-August-Wanderung vorstellen, sorgt vor allem der letzte Programmpunkt für ein «Oh»: eine Ausfahrt in der Pferdekutsche. «Ich sehe, Sie sind für die Kutsche hier, nicht für die Bundesrätin», sagt Baume-Schneider auf Berndeutsch dazu augenzwinkernd.
Mit dem Nachtzug nach Wien
Der Spruch bringt nicht nur die Wandergruppe zum Lachen, sondern auch ihren Mann Pierre-André Baume (58). Der Besitzer einer Fahrschule ist selten an politischen Anlässen zu sehen. «Ein lockerer und sportlicher Event – das passt zu ihm», sagt sie. Für die Wahl seiner Frau zur Bundesrätin im Dezember 2022 musste er sich einen Blazer von seinem ältesten Sohn ausleihen. «Heute habe ich genug Vestons und bin ausgerüstet», sagt er schmunzelnd. Die beiden haben gerade ein paar Tage zusammen in Wien verbracht und wirken sehr entspannt. «Die Reise mit dem Nachtzug war zwar lang, aber sie hat sich gelohnt. Wien ist eine wunderbare Stadt», sagt die Innenministerin.
Heimspiel für die Bundesrätin
In Porrentruy, der zweitgrössten Stadt im Kanton Jura mit ihren Barockbauten, hat Baume-Schneider ein Heimspiel. Immer wieder rufen ihr Leute «Salut, Elisabeth» zu. 13 Jahre sass die studierte Sozialwissenschaftlerin in der Regierung des Kantons Jura. «Einige Leute konnte ich glücklich machen, andere nicht – aber alle kennen mich», sagt sie.
Ihr Kanton werde stets etwas unterschätzt, gerade die Industrie. In ihrem Wohnort Les Breuleux hat die Uhrenfirma Richard Mille ihren Sitz. «Die sind sehr innovativ. Das ist schon etwas, worauf man stolz ist bei uns.»
Von Porrentruy führt der Weg dem lieblichen Fluss Allaine entlang in den Wald zur ersten Steigung. Einen Marathon absolviert die Innenministerin dieses Jahr in der Politik. Renteninitiative, Prämienentlastung, Kostenbremse und die Stopp-Impfpflicht-Initiative hat sie bereits hinter sich gebracht.
Im September steht mit der beruflichen Vorsorge die nächste Hürde bevor. «Tage wie heute geben mir Energie», sagt sie. Entspannen könne sie zudem beim Gärtnern in ihrem Haus oder beim Lesen von Romanen. Dabei faszinieren sie Geschichten von starken Frauen wie etwa im Roman «Triste tigre» von Neige Sinno.
Es war nicht immer einfach für sie
Im Innendepartement fühlt sich Baume-Schneider angekommen, auch weil sie mit ihrem Fachwissen näher bei den Themen ist. Auf ihre Zeit im Justizdepartement blickt die Bundesrätin mit gemischten Gefühlen zurück. «Zum einen bin ich stolz darauf, dass ich das Asylrecht für Frauen aus Afghanistan durchsetzen konnte – zum anderen waren die ständigen Angriffe von rechts nicht immer einfach.»
Beim Zwischenstopp in Courchavon plaudert die Bundesrätin mit Heidi und Anton Steiner aus Kaltbrunn SG. «Ich sehe, Sie sind sportlich – Ihre Postur ist dieselbe wie jene meines Mannes.» Pierre-André Baume ist ein leidenschaftlicher Bergtourengänger, absolvierte mit dem älteren ihrer beiden Söhne schon die Patrouille des Glaciers. «Er macht Sport, ich lese», sagt Baume-Schneider. Die beiden lachen. Sohn Luc (32) arbeitet als Finanzinspektor im öffentlichen Dienst, Théo (24) im Marketing von Swisslos Romande. «Als Familie sehen wir uns mindestens alle zehn Tage», sagt Baume-Schneider.
Unter der Woche lebt sie in Bern in einer Wohnung. Dort besuchen sie ihre Söhne mit ihren Partnerinnen regelmässig. Pierre-André fährt gar mit dem Velo nach Bern – sportliche drei bis dreieinhalb Stunden braucht er für die rund 70 Kilometer. Ihr Amt habe ihre Beziehung nicht verändert, sagen sie einhellig. «Wir haben vorher schon ein selbstbestimmtes Leben geführt», so er. Während sie mit ihren Söhnen – Luc sitzt für die SP im Gemeinderat von Les Breuleux – häufig über Politik diskutiere, stelle ihr Mann selten Fragen zu ihrem Job. «Das hat er schon früher nicht, nur wenn ein Thema die Bevölkerung stark bewegt.» Sie schätze diese Distanz zur Öffentlichkeit. «Mit ihm kann ich abschalten.»
«Ihre welsche Art gibt einem das Gefühl, mit einer Freundin zu reden»
Den Aargauerinnen Vreni Lehmann und Monika Fischli aus Oberrohrdorf erzählt Baume-Schneider später, wie ihr Mann ihre damals noch jungen Söhne betreute, als sie in der jurassischen Regierung sass. «Wir sind ein gutes Team.» Typisch für die Jurassier ist laut Baume-Schneider, dass sie zuerst beobachten – dann aber sehr offen seien. Diese anfängliche Distanz spürt man an diesem Tag nicht. «Sie ist sehr nahbar», findet Fischli. «Ihre welsche Art gibt einem das Gefühl, mit einer Freundin zu reden», sagt Lehmann.
Auch der Baselbieter Silvan Stich, entfernter Verwandter von alt Bundesrat Otto Stich – selber allerdings in der CVP aktiv gewesen –, ist positiv überrascht. «Sie hat uns angesprochen, das war erfreulich.»
Die letzte Etappe führt die Wandergruppe zu den Damassine-Pflaumenbäumen bei Mormont. Auf einer Wiese grasen Hausschafe. Ein guter Zeitpunkt für einen Leser, die Bundesrätin auf ihre Schwarznasenschafe anzusprechen. Immerhin konnte sie mit den flauschigen Tieren im Wahlkampf weit über die Parteigrenzen Sympathiepunkte sammeln. «Selbstverständlich habe ich die Tiere noch, die zwei leben glücklich in unserem Garten.»
Kurz vor dem Ziel – der Gîte rural La Bergerie in Mormont – zeigt Tourismuschef Guillaume Lachat auf die Wiese mit den Damassine-Pflaumen. «Gemäss Überlieferung wurden sie von den Kreuzrittern aus Damaskus eingeführt.» Auch bei Baume-Schneider stehen solche Bäume im Garten. Auf die Frage, was sie mit den Früchten mache, sagt sie schmunzelnd: «Destillieren.»
Wähe und Alkohol zum Dessert
Pflaumenwähe und Schnaps gibts zum Dessert, zuerst stärkt sich die Wandergruppe beim Brunch mit Zopf, Rösti und der salzigen Sauerrahmtorte Toétché, einer Spezialität aus dem Jura. Baume-Schneider stösst mit einem Glas Pinot gris an, ihr Mann trinkt ein Blanche-Pierre-Bier.
Für musikalische Unterhaltung sorgt der Chor Espace Choral. «Alle Lieder sind eine Reverenz an die Liebe zur Schweiz und zum Jura», sagt Chorleiterin Jocelyne Berberat Kleiber, bevor sie die Bundesrätin mit «ma chère Lisou» umarmt. «Im Jura kennen wir uns alle.»
Für die Ansprache wechselt Baume-Schneider vom sportlichen Tenue in einen roten Blazer und weisse Jeans. «Rot-weisse Kleidung anzuziehen, fällt uns Jurassiern leicht», sagt sie in Anspielung auf die rot-weisse Flagge des Kantons.
In ihrer Rede spricht Baume-Schneider vom Kampf des jüngsten Schweizer Kantons für seine Unabhängigkeit. «Der Weg dahin war länger als diese Wanderung.» Die anwesenden Gäste ruft sie auf, nicht nur an die Schweiz von heute zu denken, sondern auch an jene von morgen. «An eine weltoffene und diverse Schweiz.»
Nachdem die Gäste die versprochene Ausfahrt mit der Pferdekutsche einlösen konnten, ist es wieder die Bundesrätin, die mit einer spontanen Aktion die Menschen zusammenbringt. «Singen wir noch gemeinsam die Schweizer Hymne?», fragt sie ihre Freundin vom Chor.
Dass sie auf Französisch singen, kommt auch bei den Deutschschweizern gut an. «Gemeinsam singen, gemeinsam wandern – das verbindet», sagt Baume-Schneider. Der Röstigraben – il n’existe pas.