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  4. Bundesrätin Viola Amherd: «Meine letzte Wanderung war noch vor Corona!»
Viola Amherds 1.-August-Erinnerungen

«Als Kind zündete ich Raketli mit anderen Kindern»

Der Tag im Binntal mit den Leserinnen und Lesern von «Schweizer Illustrierte» und «L’Illustré» war für Bundesrätin Viola Amherd die erste längere Wanderung seit dem Corona-Ausbruch. Müde, aber glücklich blickt sie zum 1. August auf Land und Leute.

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Viola Amherd, 2020

«Nach einer Bundesratssitzung studiere ich noch viel rum. Jetzt bin ich schön entspannt»: Viola Amherd im Binntal.

Kurt Reichenbach

Nach sieben Stunden endet die SI-Leserwanderung 2020 auf dem Dorfplatz in Ernen VS. Bei Kaffee und Kuchen sagt Viola Amherd unter einer mächtigen Linde, was sie jetzt gerade bewegt. Weil Wanderer sich duzen, bleiben wir beim Interview beim Du.

Viola, du schaust ein bisschen müde, aber sehr glücklich aus. Wie war der Tag für dich?
Wunderbar! Super, danke, dass ich mitmachen durfte. Ich habe alles sehr genossen. Nun spüre ich eine gewisse Müdigkeit, aber eine schöne.

Was ist der Unterschied zur Müdigkeit nach einem Tag im Bundesrat?
Nach einer Bundesratssitzung studiere ich noch viel rum. Jetzt bin ich schön entspannt.

Welches war die schönste Begegnung heute?
Ich fand es wunderschön, mit all diesen Leuten hier in der freien Natur unterwegs zu sein. Im Vorfeld dachte ich, wie das wohl sein wird in Corona-Zeiten, wenn 120 Menschen zusammen wandern gehen. Ich hatte etwas Angst, dass das vielleicht unangenehm sein kann. Doch es war sehr angenehm, mit so vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, mit Welschen und Deutschschweizern, die noch nie hier waren. Alle wahrten gut schweizerisch respektvoll Distanz, und es herrschte eine zufriedene und friedliche Atmosphäre. Ich habe es sehr geschätzt.

Wann hast du das letzte Mal eine so lange Wanderung wie heute unternommen?
Das war noch vor Corona! Vergangenen Sommer machte ich eine wunderschöne Tour in der Region Leukerbad/Torrent zu einer Berghütte hinauf. Das war strenger als heute (lacht).

Du hattest den ganzen Tag die zwei fünfjährigen Enkel deiner Freundin Brigitte Hauser um dich. War das nicht anstrengend?
Nicht im Geringsten! Ich habe Kinder sehr gern. Als Nationalrätin setzte ich mich für den Kinder- und Jugendschutz ein. Es ist mir wichtig, dass es den Kindern im Land gut geht. Die Zwillinge haben mich übrigens auch schon mit Brigitte in meinem Bundesratsbüro besucht.

Die Kleinen sagen, dass du viel telefonierst. Hattest du auch heute dein Smartphone dabei?
Ja, im Rucksack. Doch ich nahm es nie raus. Ich habe das Glück, relativ schnell abschalten zu können, Gott sei Dank!

Viola Amherd, mit Enkel, 2020

Viola Amherd mit den Zwillingen Tim und Hannah. «Sie gehören sozusagen zu meiner Familie.»

Blaise Kormann

Deine 1.-August-Rede in Luzern fällt aus. Was machst du jetzt am Nationalfeiertag?
Nix (schmunzelt). Ich mache mit Freundinnen und Freunden eine Wanderung in Grächen. Danach werden wir gemütlich zusammensitzen und etwas essen und «trichu». Mit dem heutigen Tag bin ich nun gut eingelaufen.

Wie hast du als Kind den 1. August gefeiert?
Ich erinnere mich an den Lampionumzug und meine Angst, die Kerzen könnten umfallen und alles in Brand setzen. Und an die Raketli, die ich mit anderen Kindern zündete.

Was ist für dich die wichtigste Lehre aus der Corona-Zeit?
Wir müssen bereit sein für verschiedenste Bedrohungen. Wenn ich vor einem Jahr jemandem gesagt hätte, wir müssen die Armee teilmobilisieren wegen eines Virus, hätten alle gesagt: Gehts dir gut? Corona zeigt mir: Wir werden immer etwas haben, deshalb müssen wir breit aufgestellt sein. Das gilt auch für andere Gefahren. Deshalb setze ich mich für den Kauf neuer Kampfjets ein, um die Bevölkerung vor Luftangriffen zu schützen.

Einiges funktionierte auch nicht gut, Maskenfrage etc.
Das wird jetzt alles aufgearbeitet. Es gibt Verbesserungspotenzial in der Armee. Die Mobilisierung funktionierte sehr gut. Die Soldaten wurden ja von einem auf den anderen Tag aus dem Arbeitsprozess rausgenommen. Aber nicht alle Soldaten sagten es ihren Arbeitgebern – da muss die Armee mehr selber informieren.

Was war im Bundesrat für dich der schwierigste Entscheid?
Das war die Teil-Mobilmachung. Und der Beschluss, dass gewisse Betriebe schliessen müssen, wohl wissend, was das für wirtschaftliche Folgen haben wird für diese.

Viola Amherd, Wanderung, 2020

In Einerkolonne hinter Viola Amherd im Binntal: «Es ist so schön, zusammen in der Natur unterwegs zu sein!»

Nicolas Righetti

Werden die Schweizer auch in Zukunft vermehrt Ferien im eigenen Land machen?
Jetzt ist es ja extrem. Ich hoffe, dass man diesen Sommer in den Bergregionen den Schweizern ein schönes Erlebnis bietet, dass man freundlich ist, sie gut bedient. Dann, so bin ich überzeugt, wird das eine Wirkung haben. Dass man sich auch in Zukunft überlegt: Soll ich sieben Stunden Auto fahren und dabei die Hälfte im Stau verbringen – oder will ich es lieber gemütlicher haben und in der Region bleiben und hier was Schönes erleben.

Wo warst du in den Ferien?
Ich war ein paar Tage im Tessin. Bin viel Velo gefahren, den Seen entlang. Und hier im Wallis. Ich hatte überhaupt kein Reissen, um ins Ausland zu verreisen. Schon in anderen Jahren blieb ich gern in der Schweiz. Das stürzt mich nicht in eine Depression (lacht).

Gab es im Bundesrat einen Corona-Ruck?
Ja. Die Krise schweisste uns noch mehr zusammen. Wir waren so oft zusammen wie nie. Wir hatten bis zu fünf Sitzungen pro Woche. Was völlig verrückt ist – die Leute im Land merken, dass da was mit uns geschehen ist. Was Simonetta Sommaruga erzählt hat, ist auch mir passiert: Wenn ich unterwegs bin, kommen viele auf mich zu und sagen: «Sie machen einen super Job!» Aber was seit Corona völlig neu und anders ist: Jetzt sagen die Leute zusätzlich: «Sagen Sie dies bitte auch Ihren Kolleginnen und Kollegen!» Die Bevölkerung schickte uns auch Pralinés, Schoggi und Kuchen. Als Dank an den Gesamtbundesrat. Das gabs früher kaum. Alle Geschenke, die kamen, wurden geröntgt. Und wir sieben haben sie dann gern gegessen. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön allen, die uns was geschenkt haben. Das tat gut.

«Wenn ich vor einem Jahr jemandem gesagt hätte, wir müssen die Armee teilmobilisieren wegen eines Virus, hätten alle gesagt: Gehts dir gut?»

Viola Amherd

Wie hat sich dein Alltag 2020 verändert?
An Wochenenden bin ich zu Hause geblieben. Ich habe den öffentlichen Verkehr gemieden. Dabei habe ich gemerkt, dass Wanderungen oder Veloausflüge sehr gut tun können. Gerade im Oberwallis können wir sehr schnell mitten in der Natur sein. Ich habe häufiger zu Hause gekocht und gegessen. Apéros mit Freunden waren dabei das Schönste.

Was hast du gekocht?
Oh, sehr einfache Gerichte. Spaghetti mit feinen Saucen, gedünstetes Gemüse … Das, was mir am wenigsten Arbeit machte. Ich habe nicht Stunden in der Küche verbracht.

Keine Olympischen Sommerspiele dieses Jahr, Tennisstars zögern, an grossen Turnieren teilzunehmen. Versteht das die Sportministerin?
Klar. Meine Gedanken sind bei den Athletinnen und Athleten, die sich lange auf die Spiele vorbereitet haben. Das ist eine traurige Sache für sie. Aber das Komitee hatte keine andere Wahl. Als ehemalige Tennisspielerin werde ich die Turniere verfolgen, wenn sie wieder stattfinden.

Dein Departement hat mehr als fünf Millionen Franken für Hilfe im Sport gesprochen.
Es ist für junge Athletinnen und Athleten und auch für die Volksgesundheit wichtig, dass die Strukturen im Profi- wie auch im Amateursport nicht wegen Corona zusammenbrechen. Man vergisst gerne: Der Sport bringt rund 100 000 Arbeitsplätze! Und er trägt 1,7 Prozent zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz bei, das ist nicht vernachlässigbar. Wir müssen dies aufrechterhalten!

Thomas Kutschera
Thomas KutscheraMehr erfahren
Von Werner De Schepper, Albertine Bourget (L'Illustré) und Thomas Kutschera am 1. August 2020 - 17:09 Uhr