Es Glas uf d’Liebi und eis uf z’voue Läbe u Eis uf au das wo mir nid chöi häbe
Büne Huber, Ihr Lied «Für immer uf di» ist unser roter Faden für unser Gespräch. Was gab Ihnen die Liebe?
Büne Huber: Ich habe das Glück, in meinem Leben viel Liebe erhalten zu haben, ernste, sehr tiefe und unerschütterliche.
Erleben Sie Unterschiede in der Art von Liebe?
Die Liebe hat viele Facetten. Als Vater bin ich vom simplen Wildwest-Bild gefesselt, dass ich mich für meine Kinder vor jede Gewehrmündung werfen würde. Man würde das eigene Leben, ohne zu zögern, hingeben. Das ist wahrscheinlich die höchste Form von Liebe. Allumfassend und uneingeschränkt. Das gilt auch für die Liebe zur Kindsmutter, zur Familie, zu denen, die mich ein Leben lang begleitet haben. Und so stuft sich die Sache langsam ab, bis irgendwo vielleicht nur noch eine flüchtige Umarmung bleibt.
Lieben kann auch schmerzen. Haben Sie die Liebe schon verflucht?
(Lacht.) Überhaupt nicht! Aber die Liebe lässt einen bisweilen schon ein bisschen doof aussehen. Die Geburt meiner Kinder hat mich viel verletzlicher und ängstlicher gemacht. Ich tendiere zur «Gluggere», die den Liebsten alles abnehmen möchte. Am auffälligsten scheint mir das bei Hannah, die kürzlich 23 geworden ist und mich vor einem Jahr zum Grossvater gemacht hat.
Haben Sie das volle Leben?
Durch die Geburt von Malu, meiner Enkelin, ist mein Leben ganz geworden. Das Gefühl, dass sich der Kreis schliesst, kam für mich unerwartet und hat mich schlicht überwältigt.
Uf Mueters Seu wo hüt/Furt isch voder Ärde/Uf au die schöne Ching/Wo hüt z’Nacht gebore wärde
Als Grossvater sind Sie die älteste Generation.
An diese Tatsache habe ich mich schon 2013 herangetastet. Ich habe meine damals 82-jährige Mutter einen Monat lang gepflegt. Sie hat mit mir stets sehr ungeschminkt geredet. Ich habe es gehasst, wenn sie zu mir sagte: «Büne, mit mir gehts zu Ende. Du, deine Generation übernimmt jetzt.» Der Abschied von meinem Vater war anders. Als er nach 13 Jahren im Rollstuhl in meinen Armen starb, fühlte ich mich als Halbwaise – mit 31! Das war so absurd. Zugleich verspürte ich in diesem Moment einen starken Fortpflanzungsdrang.
Sie wurden mit 35 Vater, mit 54 und 55 nochmals. Wird man mit dem Alter gelassener?
In meinem Fall ist das überhaupt nicht so. Und nebenbei spüre ich die eigenen körperlichen Grenzen mehr als je zuvor. Wenn ich früher die schlaflose Hannah durch die Nacht trug, habe ich das easy weggesteckt. Als sich das bei Max wiederholte, musste ich am nächsten Tag den Osteopathen aufsuchen. Wir, die wir uns schonungslos dem Rock und dem Roll verschrieben haben, sind streng gesehen nicht dafür gebaut, mit 54 noch einmal neu anzufangen.
Uf au die Zyt wo isch vergange/Uf au die Zyt wo mir no blibt
30 Jahre Patent Ochsner …
… es ist eine gewaltig lange Zeit. Es ist ein Glück, dass wir es so lange durchziehen konnten. Das einzige Stabile dieser Geschichte sind Bandmanager Christian Siegenthaler und ich. Wenn es ihn nicht mehr gibt, ist das das Ende der Band. Und so ist es auch, wenn es mich nicht mehr gibt. Die vergangenen 30 Jahre waren eine dauernde Auseinandersetzung mit unseren Leben und dem, was uns umgibt. Wir zeigten einander unser Bestes und unser Schlechtestes. Wir haben einen grossen Tisch aufgestellt, an dem unsere Freunde sitzen, nicht irgendwelche Speichellecker und durchtriebenen «Gschäftlimacher». Wir sind frei, sehen uns nicht genötigt, irgendwelchen fragwürdigen Trends nachzurennen, und können es uns erlauben, Nein zu sagen. Das scheint mir der grösste Luxus zu sein.
Wieso hielten Sie stets an Patent Ochsner fest?
Ich sah mich immer im Kontext einer Band, dieser Band. Die Dinge, die mir wichtig sind, lassen sich in einer Solokarriere nur bedingt verwirklichen. Unsere Geschichte, das Duett zwischen Christian und mir, ist einzigartig in der Szene. Ein bisschen Elvis und Colonel Parker. Ich kann mich künstlerisch austoben, er bremst mich, wenn ich überborde, führt mich auf den Weg der Tugend, wenn ich mich verirre, und manchmal, hin und wieder, eher selten, bin ich auch sein Korrektiv.
Patent Ochsner sind so erfolgreich wie nie.
Das Gefährliche ist, sich damit zufriedenzugeben. Mit Stefania, Sonja, René und Alex haben wir vier neue Musiker dabei. Durch sie realisieren wir wieder, dass ausverkaufte Hallen nicht selbstverständlich sind. Die Dinge bewegen sich, und ich bewege mich mit ihnen. Mal Stubenhocker und mal Zigeuner. Ich fühle mich privilegiert, dass ich beides sein darf.
Sind darum Ihre Lieder so poetisch?
Na ja, es ehrt mich natürlich, wann man mich als Poeten bezeichnet. Ich versuche bloss, Geschichten in die Form eines Songs zu verpacken. Das gelingt mal besser, mal schlechter und manchmal auch nicht. Ob das Poesie ist?
Uf die grüene Triebe/Uf die süesse Frücht ide Böim/Uf aui grosse Plän u/Uf aui grosse Tröim
Wann blühen Sie auf?
In unserem Haus ist ständig Bewegung. Wie in einem Taubenschlag. Ein einziges Kommen und Gehen. Das lässt mich aufblühen. Dass sich meine Arbeit übergangslos mit dem Familienleben vermischt, gefällt glücklicherweise nicht nur mir allein. Dieses Leben verändert sich ab nächstem Sommer, wenn Max in den Kindergarten kommt. Ich bin diesbezüglich nicht frei von Melancholie.
Finden Sie, der Kindergarten kommt zu früh?
Ja! Max ist ein aufgeweckter, verspielter und fantasievoller Bub. Neugierig und wissenshungrig. Und doch würde ich mir wünschen, wir könnten ihn noch etwas länger von den Strukturen des Alltags fernhalten. Aber wahrscheinlich ist das ohnehin eher mein persönliches Problem, weil ich mich mit verplanten Zeiten schwertue.
Hatten Patent Ochsner je Auslandspläne?
Wir hatten Expansionsgedanken. Aber die sind anders gewachsen als bei anderen Bands. Mit «Schlachtplatte» 1991, die wir so aus dem Hosensack heraus gemacht haben, waren wir unglaublich erfolgreich. Wir hatten oft das Gefühl, dass wir trotz all den positiven Kritiken nicht genügen. Als Reaktion darauf gingen wir nach Deutschland, um dort die nötigen Kilometer zu machen und Lehrgeld zu zahlen.
Wollten Sie nie in einer anderen Sprache singen?
Nein. Bei mir ist es eine simple Geschichte. Ich fühle mich am wohlsten mit Bärndütsch. Ein starker Mundarttext interessiert mich mehr als ein einfacher «Fuck me, Baby»-Song. Ich möchte Menschen berühren. Und wenn ich das machen will, dann muss ich es in der Sprache tun, in der ich träume.
Haben Sie noch einen grossen Traum?
Dass unsere Kinder gesund bleiben, gross und selbstbewusst und empathisch werden. Und ich hab den Wunsch, dass sich in dieser arg in Mitleidenschaft gezogenen Welt tatsächlich etwas bewegt. So finde ich die Kraft der jugendlichen Klimabewegung unbeschreiblich schön. Taktisch machen sie es meiner Meinung nach richtig, wenn sie sagen: «Ihr Alten habt das verbockt, also schaut zu, dass ihr Lösungen findet. Erwartet sie nicht von uns.»
Uf au die wo fiire u no singe/Uf au die wo sueche/U wo vilech sogar finge
Sind Sie ein Suchender?
Ja. Und ich vermute, dass ich das auch bleiben werde. Man könnte zwar auch sagen, ich sei ein Findender. Jedes Album ist ein einziges Taumeln und entsteht spiralförmig. Ich bin nicht so gestrickt, dass ich sagen kann: «Der Weg führt von A nach B.» Ich mäandere vielmehr, schmiere ab, verliere mich. Per Zufall entsteht dabei manchmal etwas Greifbares. Mir bleibt nur die Intuition. Etwas anderes habe ich nicht zu bieten.
Uf au die wo chöi vergässe/Uf au die wo chöi vergäh
Wie gut können Sie loslassen?
Ich bin schlecht, wirklich schlecht. Ich habe Verlustängste (schenkt Wein nach). Davon erzählt auch «Guet Nacht, Elisabeth», der Moment, als ich meine Mutter im Nebenzimmer weinen hörte am Vorabend meines Auszuges. Es war mir nicht möglich, sie zu trösten. Ich befürchtete, dass ich sonst nicht weggezogen wäre. Diese Bilder holten mich wieder ein, als Hannah auszog. Wir sassen im Bandbus, mit dem wir ihre Sachen zügelten. Und blickten einander an und sagten: «Gäu, mir gränne nid.»
Wie gut sind Sie im Vergeben?
Ich würde sehr gerne sagen, dass ich gut darin bin. Aber in meinem Leben gibt es Geschichten, die mich ratlos, traurig oder beleidigt zurückgelassen haben. Da zeigt sich bei mir eine störrische Unversöhnlichkeit, auf die ich alles andere als stolz bin. Vergessen wäre eine Gnade.
Es Tor geit uuf unes angers geit zue/Blibsch i mim Härz sogar no denn wes afaht weh tue
2009 hatten Sie eine schwierige Phase.
Ich hab den Boden unter meinen Füssen verloren und dachte, mir würde nur noch ein Weg offenstehen. Nämlich der, dass ich mein Leben freudlos auszusitzen hätte. Meine sämtlichen Quellen waren versiegt. Da gibts eine ziemlich lustige Geschichte (lacht aus vollem Herzen). Im Frühjahr 2014 sagte ich zu Christian: «Chrigu, jetzt habe ichs endlich erkannt. Ich werde mein Leben nie mehr mit einer Frau teilen. Nie wieder wird eine Frau meine Hausschlüssel kriegen.» Zwei Wochen später lernte ich meine Frau kennen …
Uf au die wones grosses Härz hei/U wosech das nid löh la näh/Ufne gränzelose Himu/Ufnes uferloses Meer
Wer hat für Sie ein grosses Herz?
Ich bewundere die sogenannten Gutmenschen. Die sich, wenn auch nur mit mässigem Erfolg, um eine bessere Welt bemühen, Anteil nehmen, sich einmischen, empathisch sind. Alle anderen, ich meine die Schlechtmenschen, die sind doch nicht zu gebrauchen. Mit denen kann man nicht einmal einen anständigen Krieg führen. Einen Krieg gewinnen schon gar nicht.
Sie sind auch ein Gutmensch?
Selbstverständlich bemühe ich mich, einer zu sein. Wenn es mir bloss gelänge.
U für immer uf di
Wie ist es, wenn die Fans Patent Ochsner feiern?
Es ist das, was man allen Menschen wünschen würde. Dass sie für das, was sie mit Herzblut machen, auch Bestätigung oder Zuneigung bekommen. Ich bin Teil einer wunderbaren Band. Eine Band wie eine mächtige Welle, auf der ich surfen darf. Eine Band, die mich an Konzerten immer wieder zu Tränen rührt. Es ist ein einziges Taumeln zwischen Chaos und Kontrolle. So geil wie das volle Leben.