Monsieur Henriquez, ich bin enttäuscht. Sie geben mir zur Begrüssung die Hand!
Stimmt, dabei küssen wir die Frauen immer dreimal. Nur mit Deutschschweizer Männern fängts oft schlecht an. Im Theater etwa geben sich stets alle eine Umarmung, aber wir Romands küssen noch, auch die Männer. Und so landet unser Kuss in der Umarmung immer an den Ohren. Das ist mühsam und peinlich.
Wie sind wir Deutschschweizer?
Ernst, pünktlich, arbeitsam. Und die Männer mögen den Militärdienst. Ich hingegen litt plötzlich an Heuschnupfen… Ihr habt eine komische Art, euch zu kleiden: Birkenstock und Socken. In meinem Stück «I bi nüt vo hie» sage ich, dass ein eleganter Deutschschweizer schwarze Socken in Birkenstock trägt. Während meiner Kindheit war ich oft in den Ferien auf dem Bauernhof meiner Grossmutter in Escholzmatt und dachte, dass alle Kinder nur Gummistiefel tragen.
Ihr seid modischer?
Das denken wir Romands auf jeden Fall! Wir orientieren uns an Frankreich, dem Land der Mode. Und: Wir sind gepflegter. Im Welschland passen sich die Männer den Frauen an und rasieren sich. Bei euch ist der Trend genau umgekehrt.
Was wissen Sie über unsere Vorurteile gegenüber den Romands?
Wir gelten als unpünktlich, unseriös und trinken zu viel. Dem kann ich nicht widersprechen. Hier gibts «le quart d’heure vaudois», und wir veranstalten gerade ein grosses Fest – nur für Wein! Wir schaffen gern weniger. Vermutlich kommt das auch von Frankreich, wo es die 35-Stunden-Woche gibt. Dabei hassen wir die Franzosen mehr als die Deutschschweizer.
Hass ist ein hartes Wort.
Stimmt, ihr sagt «nöd so gärn». Das wäre die richtige Übersetzung. Aber ein Bitzli hassen wir euch schon wegen der Abstimmungen. Ihr habt aus unserer Sicht bei Europa, Krankenkasse, Steuern und Mutterschaftsurlaub blöd abgestimmt. Zudem: Ihr seid immer in der Mehrheit! Ihr führt das Land. Wir fühlen uns als kleiner Bruder von Frankreich und der Deutschschweiz. Deshalb sind wir immer am «Täubele» gegen die anderen. Aber ihr nehmt es uns nicht übel.
Geschwister geben sich Spitznamen.
«Bourbine» – Deutschschweizer, «méticuleux» – pingelig, «toto» – Teuton, «schlagebitz» und «têtes carrées» – Quadratschädel. Aber aus meiner Erfahrung seid ihr am Welschland mehr interessiert als umgekehrt. Dafür meckern wir lieber über euch.
Wir motzen darüber, dass die Romands nicht mit uns Deutsch, nur Französisch sprechen wollen.
Weil viele nicht Mundart können und sich schämen. Zudem denken wir, dass wenn wir Hochdeutsch mit euch reden, ihr auch eine andere Sprache sprechen müsst. Deshalb empfinden wir oft Englisch – für beide eine Fremdsprache – als die beste Lösung.
Der Röstigraben existiert also wegen der Sprache?
Wie der Name sagt: Ihr grabt, wir sagen «barrière de rösti» und gehen oben drüber. So begegnen wir uns selten. Aber ich hoffe sehr, dass der Röstigraben nie verschwindet. Er erinnert uns an die schweizerische Vielfalt und daran, tolerant zu sein. Was passiert, wenn ein Romand den Röstigraben überquert? Im Zug nicht viel, ausser bei den Durchsagen des Zugführers. Auf Deutsch heissts: «Wir treffen in Bern ein. Verbindungen nach Zürich auf Gleis 6, nach Basel auf Gleis 8.» Dann auf Französisch: «Nous arrivons à Berne.» Fertig!
Mögen Sie das Essen in der Deutschschweiz?
Ich werde fast zum Veggie bei euch, wenn ich sehe, dass manche die St. Galler Wurst im Wasser kochen! Meine Grossmutter tischte so komische Sachen auf wie Hörnli mit Fleisch und Apfelmus. Das können wir Romands nicht zusammen essen! Wir dinieren auch später, und die Präsentation ist uns wichtig, wie bei dieser Rösti, die
ist typisch Lausanne. Die Restaurants hier tun wenig auf den Teller, sind dafür teuer. Hier leben eben viele «Bobos» – Bourgeois Bohème –, Leute mit linken Ideen und Geld wie Leute von rechts.
Wer von uns ist schweizerischer?
Ihr. Fahnenschwingen und Jodeln sind bei uns nicht populär. Zudem denken wir kantonal.
Machen wir auch.
Nun, für uns seid ihr alle gleich. Ich merke nicht, ob ein Berner langsamer redet als ein Zürcher.
Wer fährt besser Auto?
Ihr fahrt exakter. Bei euch herrscht Stau wegen einer Baustelle, im Welschland wegen eines Unfalls.
Wer hat den besseren Humor?
Generell lachen beide am liebsten über sich selber. Wenn ich sage, die Westschweizer sind alles Alkoholiker, finden es die Deutschschweizer zu hart. Ihr lacht jedoch, wenn ich sage: Die Deutschschweizer lieben das Militär.
Erzählen Sie einen Witz über uns.
Warum lachen Deutschschweizer dreimal, wenn ein Romand ihnen einen Witz erzählt? Erstmals während wir den Witz erzählen. Das zweite Mal, wenn wir ihnen den Witz erklären, und das dritte Mal, wenn sie ihn verstehen.
Was ist der beliebteste Witz über die Romands?
Zwei ältere Waadtländer trinken vor dem Haus ein Glas Weiss-wein. Kommt ein Deutschschweizer völlig verschwitzt mit dem Velo angefahren. Zur Abkühlung schmeisst er sich in den Brunnen und trinkt daraus. Da sagt der eine Waadtländer: «C’est dommage, une si belle soif» – «Wie schade, so ein schöner Durst»!
Ich verstehe die Pointe nicht …
Bei uns gibts keine Pointe, sondern «chute», die humoristische Fallhöhe. Also, der Waadtländer ist neidisch auf den grossen Durst des Deutschschweizers, weil dieser so viel Wasser trinken kann. Der Welsche hingegen würde seinen Durst mit ganz viel Weisswein löschen.
Merci, jetzt hab auch ichs verstanden (lacht). Was ist Ihr liebstes Wort auf Mundart?
«Todsicher» finde ich ein sehr ehrliches Wort. Und ich mag «potz Blitz». Selbst wenn ihr flucht, bleibt ihr sauber und nennt zwei Waschprodukte. Von meiner Grossmutter ist mir «gleitig» in Erinnerung.
Ihr liebstes französisches Wort?
Je t’aime.