Ein Hallo hier, ein Winken da, ein paar Sätze dort. An Beni Thurnheer, 73, geht im Café des Schweizer Fernsehens niemand vorbei, ohne zumindest zu grüssen. Kein Problem für ihn. Schliesslich hat er nach all den Jahren beim TV nicht nur Routine vor der Kamera, sondern auch bei Interviews.
Beni Thurnheer: Die Antwort auf Ihre letzte Frage kenne ich bereits.
Wie lautet sie?
Folgendermassen: Diese Frage stellt sich noch nicht.
Wir werden sehen. Fangen wir doch mit der ersten Frage an: Welche «Benissimo»-Kugel wählen Sie?
Die blaue. Die Farbe verbinde ich mit Ferien, Sonne und Strand auf einer schönen Insel wie Bora-Bora.
In der blauen Kugel befinden sich wahl- weise zwei Wochen Ferien auf Bora-Bora, ein Sportwagen oder ein Sieg des FC Winterthur gegen GC am 15. Oktober. Oder natürlich 100 000 Franken. Wofür entscheiden Sie sich?
So fest ist der FC Winterthur nicht auf jeden Punkt angewiesen, deshalb nehme ich die Ferien.
Und wenn der Gewinn, wie früher, eine Million wäre und nicht «nur» 100 000 Franken?
Dann kommts auf die Konstellation an. Wenn ich der Erste bin, ist mir die Konkurrenz zu gross, dann nehme ich den Preis. Wenn ich der Letzte bin und es sind erst zwei Kugeln drin, spiele ich um die Million.
Nun, «Benissimo» dürfte Sie ja auch so schon zum Millionär gemacht haben.
Lassen Sie mich rechnen: Bei 100 Sendungen müsste ich in dem Fall pro Sendung etwa 10 000 Franken verdient haben – ja, das kommt etwa hin. Dazu muss man aber sagen, dass eine solche Sendung mehrere Wochen Vorbereitung braucht. Das verdiene ich nicht innerhalb von zwei Stunden an einem Samstagabend.
Sie könnten Ihren Ruhestand jedenfalls komfortabel geniessen. Warum zieht es Sie nach zehn Jahren zurück vor die Kamera?
Aus Freude. Ich will nicht meinen Marktwert steigern, mein Image verbessern oder verhindern, dass ich vergessen werde.
Ärgert Sie, wenn Ihnen solches unterstellt wird?
Es gibt mir zu denken, wenn Menschen offenbar das Gefühl haben, dass man alles nur noch des Geldes oder des Ruhmes wegen tut. Heute haben viele Leute das Gefühl, «Prominentsein» sei ein Job, ein Ziel. Dabei ist es ein Nebeneffekt davon, dass man seinen wirklichen Beruf gut macht.
Was ist es für ein Gefühl, nach all den Jahren wieder zurück an den alten Arbeitsplatz zu kommen?
Ich war immer wieder mal hier, als Gast in einer Quizsendung oder als Fussballexperte. Das war etwas komisch, da ich mich am Empfang immer einschreiben musste, ich hatte ja keinen SRF-Badge mehr. Da kam ich mir jeweils wie ein Aussenseiter vor. Jetzt habe ich erstmals seit zehn Jahren wieder einen Badge – für drei Wochen.
Sind Sie nervös, wenn Sie an die Sendung denken?
Ich erwache schon seit zwei Wochen mit einem flauen Gefühl im Magen. Früher war ich jeweils erst am Sendetag nervös.
Die Quoten dürften nicht schlecht sein, auch wenn die durchschnittliche Million, die «Benissimo» jeweils hatte, heute kaum mehr zu erreichen ist.
Das stimmt. Ich habe aber keinerlei Resultatszwang. Doch alle, die TV machen, hätten gern möglichst viele Leute, die zuschauen.
«Benissimo» reiht sich, zum Beispiel mit «Wetten, dass..?» in eine Art Retro-Boom ein. Wie erklären Sie sich diesen?
Ich glaube, das Bedürfnis, zurückzuschauen, gab es schon immer. Das Fernsehen ist da keine Ausnahme.
War denn früher alles besser?
Natürlich nicht. Früher gab es weniger Sender, und einzelne Sendungen konnten mehr Zuschauende generieren.
Waren Sie früher besser?
Beruflich gesehen: ja. Würde ich etwas anderes behaupten, wäre das Realitätsverdrängung. Zwischen 40 und 50 ist die benötigte Mischung aus Energie und Routine am besten. Heute brauchts mehr Konzentration.
Was ist heute besser als früher?
Die Technik hat sehr grosse Fortschritte gemacht. Die Inhalte leider oftmals nicht.
Sehen Sie es als Kompliment, für ein Revival verpflichtet zu werden? Es bedeutet ja irgendwie, dass Sie von gestern sind …
Ich habe mir angewöhnt, mit meinem jeweiligen Alter zufrieden zu sein. Zudem ist das Altern ja demokratisch – es erwischt alle.
Sie sind vierfacher Stief-Grossvater. Wie nennen Ihre Enkelkinder Sie?
Beni.
Sie sind ein, zwei, drei und neun Jahre alt. Schauen sie TV?
Der Älteste schon hin und wieder, die anderen nicht.
Und Ihre Söhne, die beide um die 40 sind?
Nicht oft. Der jüngere hat nicht mal mehr einen Fernseher im Wohnzimmer.
Und Sie?
Ja. Ich schaue immer noch am liebsten Live-TV. All das Aufgezeichnete mag ich nicht.
Sie haben keinen Netflix-Account?
Nein. Ich bin ein Gelegenheitsfernseher. Und ich will mich auch nicht für mehr als 45 Minuten «verpflichten». Deshalb schaue ich zu Hause keine Filme. Das mache ich lieber im Kino.
Wie siehts aus mit Social Media?
Ich habe ein Instagram-Profil. Da poste ich, was ich so mache. Die meisten Klicks generierte ich mit einem Video von einem Besuch des Technorama Winterthur.
Wer bestimmt, was zu Hause über den Bildschirm flimmert?
Meine Frau schaut kaum TV. Den klassischen Streit um die Fernbedienung gibt es bei uns nicht.
Das ist also nicht der Grund, warum Sie getrennte Wohnsitze haben.
Nein. Wir sind beide an unseren Wohnorten sehr verwurzelt. Wenn man mit 60 heiratet, ist es nicht das Gleiche wie mit 20. Wenn eine oder einer sich entwurzelt hätte, wäre sie oder ich unglücklich geworden. Wären wir in der Mitte zusammengezogen, wären wir beide unglücklich.
So hat Ihre Frau auch mal die Gelegenheit, sich Ihrem Redefluss zu entziehen.
Das ist ein Klischee. Die Menschen möchten klar definierte Typen und verpassen gern Etiketten. Ich könnte seit 40 Jahren stumm sein, ich wäre immer noch der Schnurri der Nation. Einmal Schnurri, immer Schnurri. Okay, ich rede vermutlich schon ein bisschen mehr als der Durchschnitt. Aber nicht übertrieben viel.
Sie mögen die Bezeichnung nicht besonders?
Sie langweilt mich.
Sie scheinen ja noch sehr viel zu sagen zu haben, gerade haben Sie ein neues Buch veröffentlicht. Worum gehts?
Es heisst «Der Sportreporter und die Philosophen». Ich «interviewe» dabei Philosophen von Sokrates bis Kant im Boulevardstil. Es ist einerseits eine Parodie auf den Boulevardjournalismus, andererseits beschäftigt es sich mit philosophischen Fragen, die ja gerade in Zeiten der Pandemie vermehrt auftraten, auch bei mir.
Wie gestalten Sie Ihr Leben als Rentner, wenn Sie nicht Bücher schreiben oder eine Retro-Sendung moderieren?
Ich fahre Mountainbike oder gehe laufen. Und zwischendurch habe ich kleine Jobs, die mir Spass machen, als Fussballexperte oder Talkgast. Langweilig wird mir nicht.
Gibt es etwas, das Sie bereuen?
Jeder Entscheid, den man trifft, ist in dem Moment der richtige. Klar, meine gescheiterte Ehe ist der Tolggen in meinem Reinheft. Aber solche Dinge passieren.
Kommen wir zur letzten Frage. Wie war noch mal Ihre Antwort?
Sie ist: Diese Frage stellt sich noch nicht.
Und die Frage?
«Wird es eine zweite Neuauflage von ‹Benissimo› geben?»
Die Frage lautet aber: Was soll dereinst auf Ihrem Grabstein stehen?
Da passt meine Antwort doch auch ganz gut.