Die Sonne scheint mit der Kraft des jungen Frühlings. Das Wasser des Vierwaldstättersees leuchtet in allen Blautönen. Ein Kursschiff steuert Richtung Gersau SZ. Im Hintergrund ragen die schneeverhangenen Gipfel der Urner Berge in den Himmel. Obwohl sich das Leben im Ausnahmezustand befindet, verbreitet Corinne Suter Freude und Optimismus: «Ich liebe den Frühling. Es ist immer schön, wenn die Saison vorbei ist, der Druck abfällt und man durchatmen kann.»
Die Skirennfahrerin blickt auf erfolgreiche wie aufwühlende Wochen zurück. Vor Monatsfrist sicherte sie sich dank zwei zweiten Plätzen in Crans-Montana VS vorzeitig den Disziplinen-Weltcup in der Abfahrt. Und als am 7. März der Weltcup-Final in Cortina abgesagt wurde, stand sie unvermittelt auch als Siegerin in der Super-G-Wertung fest. Die ersten Gratulationen erreichten sie auf dem Weg ins Trainingslager in Sils GR: «Ich habe es anfänglich gar nicht kapiert, was eigentlich los ist, und wurde fast ein bisschen hässig über die vielen SMS.»
Mittlerweile hat sich dieses Missverständnis geklärt. Als erste Schweizerin seit Michela Figini 1988 gewinnt Suter die Gesamtwertungen in beiden Speed-Disziplinen: «Das ist der Lohn dafür, dass ich in jedem Rennen alles gegeben und bis zum letzten Meter gekämpft habe.» Die sportliche Leistung wird durch den jähen Saisonabbruch nicht getrübt – der Rahmen der Würdigung dagegen schon. In Brunnen SZ wollte Suter Freunde, Sponsoren und Fans zu einem Fest einladen, in ihrem Heimatort Schwyz sollte ihr ein offizieller Empfang bereitet werden: «Es wäre schön gewesen, hier zu feiern. Aber im Moment stehen andere Dinge im Vordergrund.» Die Corona-Krise mache ihr Sorgen. Gleichzeitig sagt sie aber: «Ich bin nicht ein Mensch, der sofort den Teufel an die Wand malt.»
Die positive Energie nimmt sie vor allem aus ihrem persönlichen Umfeld. Mutter Silvia, 57, und Vater Bruno, 56, sind ihre wichtigsten Bezugspersonen. Die Brüder Andreas, 28, Alex, 27, und Dario, 21, gehören quasi zum erweiterten Team. Und Freund Angelo, 31, ist der Mann, der viel zu ihrem seelischen Gleichgewicht beiträgt.
Bewegt sich die attraktive Sportlerin in der Öffentlichkeit, zieht sie unweigerlich die Blicke auf sich. Es sei ein Gefühl, an das sie sich noch immer nicht gewöhnt hat: «Ich fühle mich nicht als Star.» Trotzdem hat sie seit den beiden WM-Medaillen von Are im Februar 2019 im Umgang mit den Medien sichtlich dazugelernt: «Man wächst auch in diesem Bereich an den Herausforderungen», sagt sie lachend und posiert gekonnt für ein Bild an der Seepromenade.
Gleichwohl ist sich Suter treu geblieben. Mit Medienanfragen geht sie sorgfältig um und lässt oft dem Medienbetreuer bei Swiss-Ski und ihrem persönlichen Manager Rolf Huser das letzte Wort: «Sie sind immer die ersten Kontakte. So kommt das Unwichtige gar nicht mehr bis zu mir.» Früher sei dies anders gewesen. Aber seit sie ihre Telefonnummer gewechselt hat, werde alles von Verband und Management kontrolliert und koordiniert.
Dies sei eine grosse Erleichterung: «Ich konnte nur schlecht Nein sagen», so Suter, «aber mittlerweile habe ich gelernt, dass ich nicht alle Wünsche erfüllen muss.» Dies helfe ihr, den Fokus auf den Sport zu richten. Beat Tschuor, Cheftrainer der Frauen bei Swiss-Ski, beschreibt sie als «Persönlichkeit, die sehr ehrgeizig und zielstrebig ist, sich aber lieber im Hintergrund hält».
«Ich hätte nie gedacht, dass so viele Leute Skirennen schauen und sich damit identifizieren»
Allein ihre plötzlich gewachsene Berühmtheit war Suter etwas suspekt: «Mit den Erfolgen kamen ganz viele neue Freunde – und Menschen meldeten sich wieder, die ich schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte.» Dies sei aber auch schön gewesen, denn es zeigte ihr, was Skisport in der Schweiz bedeutet: «Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen Skirennen schauen und sich damit identifizieren.»
Zu ihren grössten Bewunderern gehört ein Mann, der es selber zu nationaler Berühmtheit geschafft hat: Volksmusik-Papst Sepp Trütsch. Bei ihm absolvierte Suter im Hotel Wysses Rössli in Schwyz während zweier Jahre das Praktikum zur Hotelfachfrau. Dort lernte sie alles kennen, was in diesem Metier wichtig ist: Sie arbeitete an der Réception, im Service, machte die Zimmer, betreute Bankette: «Das war eine megacoole Zeit.»
Es sei gerade in einem gefährlichen Beruf wie dem Skisport wichtig, einen Plan B zu besitzen. Und mit ihrem Chef habe sie es «extrem lustig gehabt»: «Sepp ist eine grandiose Persönlichkeit und ein grosser Skifan. Wir schreiben uns noch immer ab und zu.» Trotz den guten Beziehungen zur Unterhaltungsbranche würde eine Karriere als Sängerin für Suter aber nie infrage kommen: «Dafür bin ich zu scheu», sagt sie lachend.
Umso besser läuft es auf der Bühne des Skisports. Für Trainer Tschuor kommt diese Entwicklung nicht überraschend: «Corinne besitzt grosses Talent. Anfänglich fehlte ihr aber die nötige Gelassenheit. Mit den ersten Erfolgen hat sie diese gefunden.» Der Trainer stuft das private Umfeld als mitentscheidend ein: «Die Unterstützung ihrer Familie und ihres Freundes ist eminent wichtig. Corinne hat nie vergessen, woher sie kommt.»
Die nächsten Wochen stehen aber auch für Corinne Suter ganz im Zeichen der Ungewissheit. Ob das traditionelle Konditionstrainingslager auf Mallorca Ende Mai stattfinden wird, steht in den Sternen. Eine Planung ist nicht möglich. Suter freilich will aus dem Schlechten das Beste machen: «Nun habe ich vielleicht etwas mehr Zeit, um zu reiten oder die Ruhe am See zu geniessen.»
Corinne Suter liebt das Normale. Obwohl sie genau weiss, dass momentan nichts normal ist: gesellschaftlich im Negativen – aber für sie privat und sportlich im Positiven.