Die EM ist vorbei. Italien gewinnt den Final gegen England im (erneuten) Elfmeterschiessen letzten Sonntag. Die diesjährige Europameisterschaft lässt uns über die vergangenen Wochen feiern, trauern, mitfühlen. Sie führt nicht nur zu fussballerischen Diskussionen, sondern auch zu gesellschaftlichen Debatten. Und gerade das ist für mich das Schöne am Fussball – er bewegt über die Fussballcommunity hinaus, hat Einfluss auf Gesellschaftsgruppen, die dem Fussball ansonsten fernbleiben.
Für meine letzte Kolumne zur EM möchte ich meine persönlichen Highlights aufgreifen, um noch einmal zusammen mit euch in nostalgischen EM-Erinnerungen zu schwelgen.
Der wohl emotionalste Moment für mich ist das Goal von Mario Gavranovic, das er für die Schweiz im Achtelfinalspiel gegen Frankreich erzielt. Mit seinem Traumtor in der 90. Minute versetzt er die Schweiz in Ekstase und Frankreich in einen Schockzustand. Durch diesen Treffer in letzter Minute der Regelzeit gibt er unserer Nati einen solchen Schub von Energie und Kampfwille, dass sie zu zehnt die Nachspielzeit überstehen und es tatsächlich schaffen, den Weltmeister von 2018 im Penaltyschiessen aus der Euro zu bugsieren. Niemand hat vorher erwartet, dass die Schweiz dieses Wunder vollbringen könnte. Und doch haben sie es geschafft. Die Erinnerung an dieses Spiel mitsamt der Anspannung, der Hoffnung und dem märchenhaften Ende erzeugt in mir auch jetzt noch Gänsehaut und ist definitiv das grösste persönliche Highlight dieser EM.
Eine andere wunderschöne Geschichte schreibt diesen Sommer Dänemark. Die Dänen gelten für mich als vielversprechendes Team, das ich mir in den Finalrunden durchaus vorstellen konnte. Als Favoriten für den EM-Titel habe ich Dänemark jedoch nie gesehen. Noch weniger, als einer der Schlüsselspieler, Christian Eriksen, im allerersten Gruppenspiel auf dem Spielfeld zusammenbricht. Die Qualifikation des Teams scheint nach dem Kollaps von ihm nicht mehr im Zentrum zu stehen. Solch ein Schicksalsschlag lässt einen die Prioritäten im Leben hinterfragen, und ein Fussballturnier gehört hier definitiv nicht mehr dazu. Das Team absolviert dennoch alle Gruppenspiele. Entgegen meiner Erwartung schafft es das Team mühevoll und knapp in die Endrunde und kann sich dann sogar zur Überraschung aller bis in den Halbfinal vorkämpfen. Was dieses Team durchstehen und an mentaler Stärke aufbringen muss und dann noch fussballerisch vollbringen kann, ist unglaublich. Für mich ist Dänemark definitiv der Gewinner der Herzen dieses Turniers.
«Wie ein anhaltender Lichtstrahl im Nebel»
Das dritte Highlight ist nicht ein Spiel, ein Team oder ein Spieler des Turniers. Sondern der Fakt, dass das Turnier überhaupt hat stattfinden können. Natürlich darf und soll man hinterfragen, ob die Durchführung zu diesem Zeitpunkt der Pandemie sinnvoll war oder nicht. Doch was dieses Turnier in vielen auslöst, war etwas, das wir seit Langem vermissten. Seit eineinhalb Jahren dominiert Covid-19 die Schlagzeilen, beschäftigt uns tagein, tagaus. Und während der EM steht plötzlich wieder etwas anderes im Fokus. Etwas, das diese bedrückende Zeit ein wenig aufhellt und das uns ein Stück Normalität zurückbringt. Nach langer Zeit der sozialen Zurückgezogenheit verursacht dieses Fussballturnier wieder ein Gefühl der Verbundenheit, der Nähe, der Zusammengehörigkeit. Noch nie haben Autohupen, Feuerwerke, Strassenpartys und Fangesänge mitten in der Nacht mich so mit Freude erfüllt wie diesen Sommer. Denn plötzlich ist an öffentlichen Orten wieder Lachen und Freude anstelle von Besorgnis spürbar. Für mich sind die EM-Spiele wie ein anhaltender Lichtstrahl im Nebel, der uns nun bereits sehr lange umgibt.
Das vierte Highlight ist für mich der Zusammenhalt und die Solidarität, die von einzelnen Spielern, Trainern und Teams ausgehen. Petkovic stellt sich hinter die Nati, als sie von Medien attackiert wird. England, Belgien und weitere Nationen knien von Spiel zu Spiel nieder und setzten ein Zeichen gegen Rassismus. Manuel Neuer trägt eine Regenbogen-Captainbinde, auch nachdem die Uefa die Beleuchtung der Allianz Arena in Regenbogenfarben verbietet. Belgiens Lukaku widmet sein Tor Dänemarks Christian Eriksen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im Spital befindet. Spaniens Thiago tröstet Ruben Vargas nach dem verschossenen Penalty im Viertelfinal.
«Am Flughafen wie Helden empfangen»
Ein letzter Höhepunkt, der mir bleibt, ist der Empfang der Schweizer Nati am Flughafen Zürich. Trotz der bitteren Niederlage gegen Spanien werden sie in Zürich von begeisterten Fans wie Helden empfangen. Die zahlreichen wartenden Fans feiern das Nationalteam für den historischen Sieg gegen Frankreich, für den bemerkenswerten Kampf gegen Spanien, für ihren grossartigen Auftritt an dieser EM und die wundervollen Stunden, die wir mit und dank dieser Nati in diesem Sommer erleben durften.