Eine Beiz, eine Schule, 100 Einwohner. Wir sind im Oberwalliser Dorf Bratsch, westlich von Visp. Die eine Strasse, die hier hochführt, ist wohl nicht allzu oft befahren, könnte man meinen. Doch tatsächlich kurven jeden Morgen Busse nach Bratsch und laden 70 Schülerinnen und Schüler aus.
Drei davon sind Hannes, 10, Elin, 11, und Gabriel, 12. Sie empfangen uns in einem Zimmer des Schulhauses, klappen ihre Computer auf und kommen gleich zur Sache: «Das ist unsere Lernplattform.» – «Jetzt arbeite ich zum Beispiel gerade an Mathe.» – «Noten gibts keine.» – «Ufzgi auch nicht.»
«Ich kann alles schaffen»
Hier läuft alles etwas anders. Es ist Damian Gsponer, der dieser Schule seinen Stempel aufgedrückt hat. Doch der 38-jährige Schulleiter hält sich zurück, während Hannes, Elin und Gabriel erzählen. «Mir ist wichtig, dass Kinder merken, wie wirksam sie in der Welt sind.» 2016 gab es im Dorf noch ein einziges Kind. Nun stapeln sich die Taschen und Jacken in den Gängen, Kinder schlüpfen links und rechts an uns vorbei. An den Wänden begegnen ihnen Sätze wie: «Du bist wunderbar und einzigartig.» Und: «Ich kann alles schaffen, was ich mir vornehme.»
Der zwölfjährige Gabriel hat den Architekturwettbewerb für den Bau des Hühnerstalls gewonnen. «Dafür mussten wir Flächen berechnen.» Zudem hilft er manchmal Senioren bei ihren Computerproblemen. Elin plant ein Camp in der Natur, «wo biwakiert wird». Und Hannes hat grad wieder ein kleines Computerspiel programmiert.
«Die Kinder arbeiten projektbasiert», sagt Damian Gsponer. «Prüfungen gibt es auf dieser Stufe nicht, aber Lernkontrollen und jede Woche ein Gespräch, bei dem sie mit uns bereden, wie sie vorangekommen sind.»
Die Digitalisierung gibt den Schülerinnen und Schülern Struktur. Der Umgang mit der digitalen Tages- und Wochenübersicht ist für die älteren Kinder selbstverständlich. Die Tabelle zeigt ihnen, welche Aufgaben verbindlich sind und welche nicht. «Wir sitzen vielleicht etwas häufiger am Computer als andere», sagt Gabriel, «aber dafür sind wir in der restlichen Zeit mehr draussen unterwegs.» Und Elin, die von einer anderen Schule nach Bratsch wechselte, sagt: «Wir haben mehr Freiheiten und mehr Verantwortung.»
Ein neues Dorf
Die gd-Schule ist die einzige im Dorf, und sie ist privat. Der Kanton Wallis hat sie bisher nicht öffentlich gemacht, obwohl Gsponer das lieber wäre. Heute zahlen die Eltern ein Schulgeld von mindestens 650 Franken pro Monat. Die Kinder haben Bratsch verwandelt. Nicht nur den Hühnerstall, auch einen Spielplatz haben sie gebaut. «Digital geplant und offline umgesetzt, von den Kindern selbst», sagt Gsponer.
Auch unten im Tal wandeln sich die Dinge, genauer: die Sprache. David Imseng, 38, hat Recapp gegründet. Das Unternehmen mit Sitz in Visp ist auf Spracherkennung spezialisiert. «Unser Programm versteht alle Schweizer Sprachen und alle Schweizer Dialekte.» Als Walliser muss ers wissen! Imseng hat während seiner Doktorarbeit mit Archivaufnahmen des Walliser Senders Radio Rottu experimentiert. Heute brummen in seinem Büro die Server. Sie verarbeiten gesprochene Sprache von Parlamentssitzungen zu schriftlichen Protokollen oder untertiteln TV-Sendungen – auch wenn der Sprecher breites Berndütsch redet.
«Den Menschen wird es weiterhin brauchen», sagt Imseng. Sein System funktioniert noch nicht fehlerfrei. «Aber das Protokollieren von Sitzungen wird schneller, und man kann
die Archive einfacher durchsuchen.» Recapp erkennt Schlagwörter, die in einer Debatte oft fallen. So kann man sich sekundengenau anhören, wer während der Sitzung etwas zum Thema «Notunterkunft» gesagt hat. Damit hat Imseng einen Nischenmarkt besetzt. Assistenten wie Siri oder Alexa verstehen noch kein Schweizerdeutsch. «Aber Microsoft scheint sich unterdessen auch dafür zu interessieren.»
Lieferdienst in den Bergen
Ortswechsel: Wir sind auf einem Feld ausserhalb von Visp. Hier wachsen Salat, Fenchel, Krautstiel und mehr. Marco Zumoberhaus, 31, ist kein Bauer, sondern ein Bote. Das von ihm mitgegründete Unternehmen Bergbox liefert Gemüse zu Abonnenten. Bestellt und bezahlt wird ausschliesslich im Internet. Ein «digitaler Wochenmarkt» ist das, denn in vielen abgelegenen Dörfern gibt es keine richtigen Märkte.
Über 50 Produzenten haben sich Bergbox angeschlossen. Sie bieten neben Gemüse auch Bier, Wein und Honig an. «Die Kunden bekommen die Produkte des Produzenten, der ihnen am nächsten ist», sagt Zumoberhaus. «Alles andere ist unsinnig.» Bauern, Brauer und Winzer legen die Preise selbst fest, Bergbox schlägt die benötigte Marge drauf. «Wir sind zufrieden damit, wie es ankommt», sagt Zumoberhaus. «Und die Leute schätzen es, dass man was macht, statt nur zu reklamieren.»
Im Wallis sind Beziehungen wichtig, das hatten wir an diesem Tag oft gehört. Vitamin B. Nun ist Vitamin D dazugekommen. Dank Digitalisierung ist das Gemüse frisch, die Schule bleibt im Dorf – und irgendwann verstehen vielleicht alle Walliserdiitsch.
Stimmen Sie jetzt ab und wählen Sie das «Digi-Tal 2021» unter: www.digi-tal-schweiz.ch
Präsentiert von
Digital Valley im Rahmen des Digitaltags