Kennen Sie den Ort Ibach? Vielleicht nicht, aber hier sitzt ein Schwergewicht der Schweizer Wirtschaft: die Firma Victorinox mit knapp 1000 Angestellten. Mehr Menschen arbeiten in Schwyz nur bei der Kantonsverwaltung. Um zu verstehen, wie aus einer Messerschmiede ein global erfolgreiches Unternehmen wurde, hilft der Blick auf das Sackmesser und drei seiner typischen Funktionen.
Das Messer
Nach den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 war es plötzlich auf vielen Flügen verboten, ein Messer im Handgepäck mitzunehmen. Die Folgen für Victorinox: 30 Prozent des Umsatzes verschwanden über Nacht, abgetrennt wie von einer scharfen Klinge. «Mein Vater wollte auf keinen Fall Mitarbeitende entlassen», erzählt CEO Carl Elsener (66). Also wurden gut 60 Personen an andere Firmen ausgeliehen. Ausserdem hatten sich Carl Elsener und seine zehn Geschwister schon vor 9/11 zu einem radikalen Schnitt entschieden: Sie trennten sich von all ihren Aktien und gründeten eine Stiftung für die nachhaltige Entwicklung der Firma. Die Folge: «Kein Familienmitglied kann Anteile verkaufen und sich damit selbst bereichern.» Lieber das Messer früh genug ansetzen, dachten sich die Elseners.
In Ibach hört man die Victorinox-Messer. In der Produktionshalle fallen sie klirrend in grosse Metallkisten, eine Klinge auf die andere. Erfahrene Schleifer, sitzend und meist ohne Handschuhe, ziehen Hunderten Klingen pro Tag den «letzten Faden» ab. So heisst das, wenn einem Messer seine endgültige Schärfe gegeben wird.
Immer schärfere Gesetze gelten auch in vielen Ländern, was das Waffentragen betrifft. Darum denkt man bei Victorinox heute sogar an die Entwicklung von Taschenwerkzeugen ganz ohne Messer.
Der Korkenzieher
Man braucht ihn, um beim Picknick eine Flasche Wein zu öffnen. Auch die Familie Elsener hat Grund zu feiern. Nicht nur, weil Victorinox 400 Millionen Franken Umsatz pro Jahr macht. Sondern auch, weil Carls Tochter Johanna ihm «das erste Grosskind geschenkt hat». Die kleine Charlotte macht gerade ihre ersten Schritte.
Die nächsten Schritte der Firma bespricht die Familie bei regelmässigen Treffen. Das Ziel laut Carl Elsener: «Den Zusammenhalt stärken und schauen, dass sich möglichst alle einbringen können.» Im Unternehmen arbeiten diverse Familienmitglieder. Doch aus diesem Grund allein stelle er niemanden ein, betont Elsener – «business first». Sein Sohn, der fünfte Carl in einer langen Reihe von Carls, studiert Wirtschaft. Mehr haben die Elseners zur Nachfolge-Thematik aktuell nicht zu sagen.
Der Korkenzieher dürfte bei ihren Familientreffen wohl nicht exzessiv verwendet werden. «Vorgesetzte und Eltern sollten Vorbilder sein», sagt Elsener mit seinem höflichen Lächeln.
Die Schere
Eine klare Trennung zwischen Privat- und Berufsleben – das dürfte schwierig sein, wenn man ein Unternehmen mit einer derart langen Geschichte vom eigenen Vater übernommen hat. «Gefühlt bin ich immer noch Carl junior», sagt Elsener amüsiert. Sein Vater, Carl senior, starb vor elf Jahren.
Doch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie scheint bei Elseners aus einem Guss zu kommen. Für Familie und Mitarbeitende gelten die gleichen Werte. Die Beziehungen zu den Lieferanten sind so konstant, dass manche Stahlrolle auch heute noch mit der alten Adresse «Messerfabrik Carl Elsener» beschriftet nach Ibach kommt. Carl junior hält 3000 Tonnen Stahl an Lager, weil er auf die sprichwörtlichen sieben mageren Jahre vorbereitet sein möchte. «Der christliche Glaube hat mir schon oft geholfen», sagt Elsener. Dazu gehört für ihn auch Bescheidenheit, einer der selbst auferlegten Familienwerte. Elseners Büro ist schmal, sein Auto klein, und die anderen Familienmitglieder präsentieren sich selten bis nie in den Medien.
Die Arbeit für die Victorinox-Angestellten ist streng und oft auch monoton. Da lässt Carl Elsener es sich nicht nehmen, an der Weihnachtsfeier jedem ein Geschenk zu überreichen. Und wie öffnet man das? Genau, mit Elseners Lieblingswerkzeug an jedem Sackmesser – der Schere.