Auf dem Rasen zaubert Xhaka (31) mit dem Ball, doch die Kameras richten sich auf die Seitenlinie. Der Schweizer Nati-Trainer Murat Yakin (49) trägt während der Fussball-EM Brillen, über die alle Welt spricht. Seine zwei markanten Modelle – leicht nerdig, sehr cool – stammen von Designer Sven Götti (60) und machen an den TV-Schirmen und auf Social Media Furore. «Klar, wir haben darauf angestossen», sagt der Zürcher am Hauptsitz seiner Firma in Wädenswil ZH.
Der Unternehmer mit den grau melierten Haaren und den ausgefallenen Hemden hat seine Firma vor 30 Jahren gegründet. Zuerst als Optikergeschäft in Luzern mit Urs Niederer, einem Freund aus der Lehrzeit. Mitte der 90er-Jahre begann Götti, eigene Brillen zu designen – erst aus Horn, bald aus Acetat und Titan. Er kniete sich in Computer-Zeichenprogramme hinein, die zu jener Zeit für die Branche unüblich waren und knüpfte Kontakte zu Herstellern in Japan und Deutschland. «Mit diesen arbeite ich bis heute.»
Ein Zürcher Erfolgsrezept
Inzwischen sind 75 Mitarbeitende für Götti im Einsatz, 40 davon in der Gemeinde am linken Zürichseeufer und 35 im Aussendienst – von China bis zur USA.
Die Stimmung in Wädenswil ist locker, überall hängen Werbeplakate, auf einem Regal stehen pinke Flamingos. «Ohne mein Team wäre ich sicher nicht so weit gekommen», sagt Götti. Mit Kerstin Vogt (56) – zuständig für das Administrative – und Felix Moreno (49) Verkaufschef, schmeisst er seit 25 Jahren den Laden.
Dem Verkaufschef ist es auch zu verdanken, dass der Schweizer Nati-Trainer zu seiner Brille kam. Denn Yakin wird nicht gesponsert, sondern hat das Modell gekauft. Moreno und Yakin haben einen gemeinsamen Freund. Bei einem Treffen mit Yakin trug dieser eine Götti-Brille, und der Trainer probierte sie an. Er war begeistert und wollte ebenfalls so eine. Der Freund rief Moreno an und kam mit Yakin vorbei. «Eigentlich verkaufen wir hier in Wädenswil keine Brillen, aber für ihn machten wir eine Ausnahme», sagt Felix Moreno.
Ein Schweizer Superstar
Kaum hatte die Euro angefangen, war die Sehhilfe in den Schlagzeilen. «Das ist schon ziemlich verrückt, oder? Wann wurde schon jemals über die Brille eines Trainers berichtet?», fragt Moreno. Für das Spiel gegen Italien in Berlin wollte Yakin etwas hellere Gläser, weil das Licht im Stadion ziemlich schwach ist. Auch das machte Moreno möglich und brachte ihm in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine angepasste Brille persönlich vorbei. «Das Spiel haben sie dann auch gewonnen», sagt er schmunzelnd.
Sven Götti überlässt den Verkauf gern seinem Freund und Partner. Er konzentriert sich lieber auf das Kreative. «Ich lege Wert auf hohe Qualität, auf ein schlichtes, zeitloses Design.» Stiller Luxus – Quiet Luxury – nennt sich das. Man sieht kein Logo auf dem Bügel. Aber wer sich auskennt, weiss, dass die Modelle aus Göttis Schmiede kommen.
Seit etwa zehn Jahren produziert die Firma einen Teil der Kollektion in Wädenswil. Mit dem 3-D-Drucker. Nach zwölf Stunden im Druck und zwölf Stunden in der Kühlung wird jede Fassung aus dem wiederverwertbaren Nylonpulver geschält, sandgestrahlt, gefärbt und zusammengesetzt – der letzte Schritt dauert 7 bis 9 Minuten.
Ein amerikanischer Traum
Der gedruckte Kunststoff ist leicht, hautverträglich und praktisch unzerstörbar – ideal für Brillen. Das begeistert auch die weltbekannte Talkmasterin Oprah Winfrey. Die 70-Jährige bestellt 2019 über eine Stylistin in Washington (USA) ein Modell des Schweizer Brands. Sven Götti liefert aber nicht nur die gewünschte Brille aus Büffelhorn, sondern schickt auch gleich eine ultraleichte Variante mit. Damit kann er punkten. Seitdem kauft die TV-Talkerin immer wieder Götti-Brillen.
Als Meghan und Harry bei ihr mit dem britischen Königshaus abrechnen, trägt sie ein beiges Model – das Interview sehen alleine in den USA 17 Millionen Menschen. Danach ist die Brille gross im Gespräch. «Wir haben die Artikel gesammelt. Von Alaska bis nach Neuseeland haben die Medien über uns berichtet», sagt Sven Götti. Oprah Winfrey trägt auch bei anderen Interviews «Glasses made in Switzerland» – etwa mit Barack Obama (62) oder Lady Gaga (38).
Jede Brille trägt die Handschrift von Sven Götti und seinem Team. «Und jede würde ich auch selber tragen», sagt er. Mehr als 1000 Modelle haben sie bisher lanciert. Jedes Jahr kom- men zwei Kollektionen mit ungefähr 40 neuen Teilen raus. Die Designs entstehen fast immer bei Götti zu Hause in Zürich. Mit seiner Frau Susanne Wadsack Götti (55) lebt er im Quartier Enge in einer renovierten Altbauwohnung auf zwei Etagen. Ihr Zuhause bietet in jeder Ecke eine Entdeckung: vom lustigen Porzellanpudel über handbemalte Küchenfliesen bis zu bunten Möbelklassikern von Ligne Roset.
Auch Susanne Wadsack Götti arbeitet im kreativen Bereich. Sie ist Gründerin von Pret-a-faire und stellt smarte Strickboxen her, mit denen ihre Kundinnen und Kunden zu Hause mit Anleitung, Wolle und Werkzeug selber Pullover, Cardigans und Mützen stricken können.
Das Ehepaar teilt sich ein grosses Homeoffice. Auf jeder Seite des Zimmers steht ein Schreibtisch, dazwischen drei grosse Kakteen. «Meistens arbeitet jeder für sich», sagt sie. «Wir geniessen die Ruhe hier», meint er. Wenn sie eine Pause brauchen, gehen sie mit Hund Lucky Gassi oder kochen gemeinsam Mittagessen. Ihre erwachsene Tochter Paula ist vor Kurzem in eine WG gezogen. Jeden Freitagabend verbringt das Ehepaar zusammen beim Lieblingsitaliener im Quartier.
Kennengelernt haben sie sich bei der Arbeit. Auch sie war Optikerin. «Das ist praktisch für mich, falls ich mal Rat brauche», sagt er. Doch ausgerechnet die Frau des Brillendesigners will selber keine Sehbrille tragen. «Ich mag Kontaktlinsen lieber», sagt sie. «Da kann man nichts machen», findet Sven Götti und lacht. Aber eine Sonnenbrille trägt sie natürlich von ihm. Ganz im Stil von Yakin und Winfrey.