Xenia Tchoumi, wie fühlen Sie sich?
Traurig. Egal, was ich im Laufe des Tages tue, um mich von den Geschehnissen abzulenken, im Hinterkopf habe ich ein Gefühl tiefer Traurigkeit. Ich habe das Gefühl, dass die Spenden und die Hilfe für die Flüchtlinge sowie das Erheben meiner Stimme nur Tropfen auf den heissen Stein sind. Dadurch fühle ich mich ein wenig machtlos. Andererseits versuche ich, mein Leben weiterzuleben und etwas Leichtigkeit, Stärke und Positivität zu vermitteln. Ich glaube, das haben wir alle im Moment nötig.
Wie oft und wo erhalten Sie Informationen?
Jeden Tag, aus verschiedenen Quellen. Auch wenn ich sehr vorsichtig bin, was ich sehe. Ich stelle immer alle Meinungen in Frage und versuche, sie zu studieren und mir eine eigene Meinung zu bilden. Aber bei einer solchen Flut von sehr traurigen Nachrichten ist es objektiv gesehen sehr deprimierend.
Wie oft stehen Sie in Kontakt mit Freunden und Familie?
Jeden Tag. Ich kenne nicht viele Menschen in den Konfliktgebieten. Das Leben meiner Familie und auch mein Leben spielte sich seit frühester Kindheit immer in Westeuropa ab, so dass ich mich als Schweizer-Italiener identifiziere. Dieser schreckliche Krieg bringt mich jedoch dazu, meine Wurzeln wiederzuentdecken und mehr darüber nachzudenken. Am wichtigsten ist, dass ich noch einen Onkel mütterlicherseits habe, der in der Ukraine ist und zu den Waffen gerufen wurde. Das ist sehr beängstigend.
Wann waren Sie das letzte Mal in einem der beiden Länder?
Ich war einmal in Russland für ein Modemagazin-Shooting, als ich etwa 21 Jahre alt war – und ich hatte eine erstaunliche Erfahrung mit einem herzlichen Empfang und wunderbaren Menschen. Und einmal besuchte ich die Ukraine als ich etwa 24 Jahre alt war, weil ich den offiziellen Miss-Ukraine-Wettbewerb in Kiew im nationalen Fernsehen moderiert habe. Kiew ist eine kultivierte Stadt voller Schönheit, wunderbarer Architektur und einem reichen historischen Hintergrund. Mir blutet das Herz, wenn ich nur daran denke, was dort im Moment vor sich geht.
Wie geht es Ihren Familien?
Sie sind traurig, genau wie ich. Ich mache mir mehr Sorgen um sie, als um meine Gefühle, denn für sie ist es viel persönlicher. Sie sind mit den beiden Ländern verbunden, also können Sie sich vorstellen, wie verwirrend und erschreckend das ist. Sie sind völlig schockiert, wütend und traurig, denn sie haben immer noch persönliche Bindungen zur Ukraine und zu Russland und kennen Menschen dort drüben. Vor allem mache ich mir Sorgen um meine Mutter, eine Ukrainerin, denn ihr Bruder ist dort drüben und ihre Kindheitserinnerungen sind alle in Dnipro – wo sie gelebt hat. Ich versuche, jeden Tag mit ihr zu sprechen.
Sie sind Influencerin, wie gehen Sie mit politischen Themen um?
Das ist ein ganzes Thema für sich. Es ist schwierig, denn auf der einen Seite möchte ich nur helfen und meine Stimme für die richtigen Dinge erheben. In diesem Fall sind es für mich die unschuldigen Menschen. Es geht um den Schutz des Lebens. Aber auf der anderen Seite ist das mein Job und ich muss ihn weiter machen. Ich kann nicht einfach mit allem aufhören, was ich tue, das wäre nicht gesund für mich. Es ist also eine Art Balanceakt.
Was ist Ihre Botschaft an alle Ihre Follower?
Klicken Sie auf den Link in meiner Bio (ig @xenia), um für ukrainische Flüchtlinge zu spenden. Ich werde verschiedene Organisationen anführen, die ich selbst unterstütze. Jedes kleine bisschen hilft.
Worauf konzentrieren Sie sich persönlich derzeit?
Menschen zu helfen, zu lächeln, tolerant zu sein, sensibel für die Probleme anderer zu sein, zu lachen, wenn ich kann. Einen Tag nach dem anderen leben.
Was tun Sie, um mental gesund zu bleiben?
Ich atme. Ich versuche, Flüchtlingen zu helfen. Und ich versuche, abzuschalten und zu arbeiten. Arbeit ist für mich eine Therapie.
Was denken Sie, macht das alles mit der Menschheit?
Es könnte sie leider verängstigt machen und wütend. Und sie zu einem irrationalen handeln verleiten – zum Beispiel auf Influencer losgehen, die einfach nur ihren Job machen. Wir brauchen in Zeiten wie diesen mehr Liebe, Freundlichkeit und Einigkeit.
Was denken Sie, dass das Ganze mit Ihnen macht?
Es macht mir klar, dass das Leben so zerbrechlich und kostbar ist und sich alles in einer Minute ändern kann.
Wie wichtig ist all die Solidarität?
Ich glaube, dass Solidarität und Menschlichkeit gegenüber allen und bedingungslose Freundlichkeit der richtige Weg sind, wenn die Zeiten so hart sind.