Walter Tresch (76) besitzt etwas Bedeutendes, das Marco Odermatt (27) noch nicht hat: eine Gondel in Kitzbühel, die mit seinem Namen beschriftet ist. Es ist Odermatts Saisonziel, endlich auch auf der Streif zu gewinnen und ein eigenes Gondeli zu erhalten. Walter Tresch machte sich in Kitzbühel 1976 mit dem Sieg in der Kombination unsterblich. Im Weltcup war er in den Siebzigerjahren dauerpräsent: 48 Mal fuhr er in die Top Ten, 15 Mal stand er auf dem Podest, vier Mal davon auf dem obersten Treppchen. Dazu holte er 1972 WM-Silber in der Kombination. Er ist zufrieden damit. «Ich bin gesund geblieben, stehe heute pro Winter bis zu 60 Mal auf den Ski», sagt der 76-jährige Urner, der in Bristen UR aufwuchs und heute in Lantsch/Lenz GR wohnt. «Okay, der grosse Titel fehlt vielleicht.» Dafür darf er für sich in Anspruch nehmen, dass er eine der verrücktesten Geschichten im Skisport mitschrieb.
Es ist ein warmer Winter im Jahr 1971. Mit unschönen Folgen für die Januarrennen im Berner Oberland. Wegen des fehlenden Schnees muss Wengen Abfahrt und Slalom an St. Moritz abgeben. Weltmeister Bernhard Russi (76) gilt als erster Anwärter auf den Abfahrtssieg. Walter Tresch rechnet sich ebenfalls etwas aus: In Sestriere klassierte er sich zuvor auf Rang 6. Bis er an der Reihe ist, muss er sich aber gedulden. Zuerst katapultiert sich Russi bei trübem Wetter mit der Nummer 6 aus dem Starthäuschen. Die Schweizer Illustrierte berichtet nachher von einer meisterhaften Fahrt: «Er parierte alle Schläge glänzend, schnitt die Tore richtig an und sprang an den Kanten kaum in die Luft.» Bestzeit! Triumphierend lächelt Russi in die Kameras. Erst recht, als Österreichs Skitrümpfe Karl Schranz und Karl Cordin geschlagen das Ziel erreichen. Die Fotografen machen sich auf den Weg, um die Bilder vom jubelnden Russi in die Redaktionen zu bringen; die digitale Übermittlung ist damals noch weit weg.
Zuerst Erster, dann Letzter
Dann kommt Walter Tresch. Mit der Startnummer 39. Inzwischen scheint die Sonne, die Piste ist schneller geworden. «Aber», sagt er heute, «man muss es trotzdem runterbringen.» Das gelingt, er kommt vor Russi ins Ziel und jubelt, lacht, kann es nicht fassen – und muss selber zittern, als mit der Startnummer 64 (!) Manfred Jakober angebraust kommt. Sein Schweizer Teamkollege wird Sechster, Tresch darf aufatmen und sich feiern lassen. Seinen Coup nur auf die veränderten Bedingungen zurückzuführen, fände der Skireporter der «National-Zeitung» allerdings unfair: «Wer sein sportliches Hobby halt in den unerschlossenen Skihängen und Skigrächen zwischen Bristen und Maderanertal erlernt, eignet sich ganz natürlich ein solides Grundkönnen an. Tresch ist ein Vollblut-Skirennläufer.» Und an diesem Nachmittag der gefeierte Skistar.
Seine schnelle Fahrt hat allerdings einen Makel: Die Fotografen sind wie gesagt schon abgereist, als er auf der Piste unterwegs ist. Sie hören die Nachricht vom Überraschungssieg im Autoradio – und kehren umgehend nach St. Moritz zurück. «Sie flehten mich an, dass ich für sie hochsteige und nochmals über den Zielsprung fahre. Das habe ich gern getan.» Eine besondere Belohnung gibt es für den Sieg nicht. Tresch erinnert sich nur an ein zweites Dessert, das er am Abend im Hotel offeriert bekam. Doch die Medien feiern ihn. Die Schweizer Illustrierte schreibt, dass der Urner der kommende Toni Sailer oder Jean-Claude Killy der Schweiz sei.
«Okay, der grosse Titel fehlt vielleicht. Doch ich bin gesund geblieben»
Kitzbühel-Sieger Walter Tresch über seine Karriere
Vielleicht wäre tatsächlich noch mehr möglich gewesen», meint er, «wenn mich ein harter Hund wie Karl Frehsner geführt hätte.» Stattdessen habe es stets geheissen: «Als Allrounder kann der Tresch alle Entscheidungen selber treffen.» Das sei nicht immer einfach gewesen. 1973, bei der Hauptprobe für die WM ein Jahr später in St. Moritz, treffen Bernhard Russi und er definitiv die falsche Entscheidung.
Nach Platz 2 im Morgentraining hält er es für möglich, dass er seinen Triumph wiederholen kann. Doch dann, bis zum Rennen am Mittag, kommt plötzlich Föhn auf. Russi und Tresch lassen denselben Wachs auf den Ski wie im Training. Ein fataler Fehler, denn der Schnee bleibt kleben. «Russi kam mit sieben Sekunden Rückstand ins Ziel, bei mir waren es gar 26 Sekunden», erinnert sich Walter Tresch lachend. «Ich, der hier schon gewonnen hatte, wurde 61. und Letzter.»