«Wie fühlst du dich?», fragt «Barber» Nico. David Constantin (39) schaut skeptisch in den Spiegel. «Ein bisschen nackt», meint er. «Aber unglaublich, wie perfekt das ist.» David hat Nico freie Hand gelassen. Die einzige Bedingung: «Der Schnauz bleibt.» In den nächsten Tagen muss Constantin noch für die letzten «Tschugger»-Trailer als draufgängerischer Polizist Johannes «Bax» Schmidhalter vor der Kamera stehen. Ab dem 19. November läuft die dritte Staffel der Walliser Kultserie auf SRF 1. «Seit ich der Tschugger bin, trage ich aber auch privat ab und zu Schnauz», so David Constantin.
In der neuen Staffel verschlägt es den Tschugger in die «Üsserschwiiz» – konkret nach Bern –, wo er mit einer Therapeutin die Geschehnisse der ersten beiden Staffeln verarbeitet. David Constantin weilt der Arbeit wegen aber auch immer öfter in Zürich, wo er mittlerweile sogar ein kleines Zimmer hat. So pendelt er zwischen der Limmatstadt und seiner WG in Bern. Seine Familie in Salgesch VS besucht er, so oft es geht. «Was gerade eher selten ist, leider. Diesen Herbst half ich kein einziges Mal im Rebberg. Zum Glück sind meine Eltern und Geschwister diesbezüglich sehr grosszügig mit mir», so der Winzersohn.
Blicke, Getuschel, Selfie-Wünsche
Auch an die «katholisch-konservativen» Reaktionen auf seinen «Bax» – auf dessen Fluchen oder Rauchen – hat sich seine Familie im Wallis inzwischen gewöhnt. David Constantin selbst geniesst es dafür umso mehr, dass er, wie heute, durch Zürich ziehen kann, ohne sich alle paar Meter für die Unkorrektheiten seines Tschuggers rechtfertigen zu müssen. Blicke, Getuschel und Selfie-Wünsche gibts zwar auch hier. Und so richtig gewöhnt daran hat er sich immer noch nicht. «Es ist schon seltsam, dass manche Leute so eine Freude haben, wenn sie mich sehen.»
Dass seine wahnwitzige Walliser Krimiparodie dermassen durch die Decke geht – und er selbst mit ihr –, damit hat David Constantin niemals gerechnet. Zumal er nicht nur seinen gesamten Cast mit Laien besetzte, sondern auch selber gerade mal ein Semester an einer Filmschule vorweisen kann. Constantin, der für Drehbuch, Regie und Hauptrolle (mit-)verantwortlich zeichnet, ist weder ausgebildeter Autor noch Regisseur noch Schauspieler, sondern studierter Betriebsökonom. 2023 wird er vom Publikum der SRF-Sendung «Gesichter & Geschichten» zum «Gesicht des Jahres» erkoren und erhält zwei Prix Walo – einen für die beste TV-Produktion, einen als bester Schauspieler. «Ja, ich weiss nicht …», meint er fast etwas hilflos. «Vielleicht merken die Leute einfach, dass ich wirklich Freude habe an dem, was ich hier mache.»
Wie an seinem Alter Ego sind die ersten beiden «Tschugger»-Staffeln auch an David Constantin nicht spurlos vorübergegangen. Denn mit dem Erfolg umzugehen, ist für ihn nicht ganz einfach. «Ich freue mich über die Anerkennung und die Preise. Aber da ist immer diese Stimme in mir, die sagt, dass das nicht richtig ist. Ich wurde zu Bescheidenheit erzogen, dazu, mich selbst zu hinterfragen.»
Umso mehr fährt ihm dieser Moment im Zug nach Bern ein, als er sich, nach zwei Wochen Ferien und mit etwas Abstand, auf seinem Laptop einen «Tschugger»-Rohschnitt anschaut und von Gefühlen übermannt wird. «Freude, dass ich das machen darf. Und auch Stolz. Zum ersten Mal im Leben die Gewissheit, dass ich auch mal stolz auf mich selbst sein darf. Da sind mir die Tränen gekommen.» Ein wichtiger Moment für jemanden, der sich selbst als «lustig, aber total unsicher, etwas komisch und auf jeden Fall voll ambivalent» beschreibt.
David und sein «Cringe»-Tagebuch
«Witzig. Aber doch etwas zu viel.» Die Jacke mit der Comicfigur Popeye auf dem Rücken bleibt im Vintage-Shop Love at the Bus Stop. Auch wenn David Constantin sagt: «Ich komme gern aus meiner Komfortzone. Ich male mir zum Beispiel auch mal die Fingernägel an, färbe die Haare und schaue, wie sich das anfühlt. » Statt der Jacke kauft er sich eine schwarze Hose mit Glitzer. «Für einen Cüpli-Anlass, ich werde ja öfter eingeladen.»
Weils gerade zu viele waren, legt er einen alkoholfreien Monat ein. Was hat sich sonst noch geändert in den vergangenen zwei Jahren ausser den roten Teppichen und der Tatsache, dass er immer wieder mal erkannt wird? «Die Fanpost. Ich bin leider ganz schlecht darin, sie zu beantworten.» Und ja, da sind auch mal «eindeutig zweideutige Zuschriften dabei. Keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Ich finds eher beängstigend, wenn mir jemand schreibt, man habe von mir geträumt», sagt er.
Darüber, dass er als eine Art «nerdiges Sexsymbol» gehandelt wird (ein «Nerd» ist so etwas wie ein Aussenseiter), lacht David Constantin. Immerhin führt er noch täglich sein «Cringe»-Tagebuch («cringe» ist Englisch und bedeutet schämen), in dem er festhält, was ihm Peinliches passiert ist und in welchen Situationen er sich peinlich verhält. «Es ist immer voll – nicht sehr sexy. Aber im Nachhinein unheimlich unterhaltend zu lesen.»
Comeback in zwanzig Jahren?
Ob so ein «Cringe»-Tagebuch dabei hilft, «etwas weniger selbstkritisch und etwas netter zu mir selbst zu sein», wie es sich David vorgenommen hat? «Jedenfalls erinnert es mich daran, mich selbst mit Humor zu nehmen. Das ist ja schon mal ein Anfang.» Und vielleicht ist es ja nach zwei Jahren mit einem ständigen Alter Ego, das kaum ein Fettnäpfchen auslässt, an der Zeit, einfach mal wieder David zu sein. Noch gibt es keinen Grund zur Trauer für «Tschugger»-Fans. Eine vierte Staffel ist bereits abgedreht. Wann sie gezeigt wird, steht noch in den Sternen. Und dann? «Ich hatte noch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich fände Raum für Neues schon schön – aber wer weiss.» Richtig cool fände er «eine Wiederaufnahme in zwanzig Jahren oder so».
Ob der «Tschugger» auch mit angegrautem Schnauz für Furore sorgt? «Vielleicht sogar für noch mehr!»