Er war überall dabei. Überall. Er erlebte Martina Hingis' kometenhaften Aufstieg mit. Verfolgte Roger Federers unvergleichliche Karriere von Beginn an. War hautnah dabei, als Stanislas Wawrinka seinen Status als Eintagsfliege los geworden ist und mittlerweile drei Grand-Slam-Siege zu Buche stehen hat.
Was Heinz Günthardt, 62, im Zuge seiner Experten-Karriere am SRF-Mikrofon alles erlebt hat, ist, wovon andere Sportjournalisten nur träumen können. Doch nun hat es sich für den ehemaligen Tennis-Profi ausgeträumt: Das SRF beendet die Zusammenarbeit mit dem Zürcher per September 2021. Am US-Open-Finale der Männer wird Günthardt zum letzten Mal als Experte zu hören sein. Das Publikum muss sich nach 36 Jahren an eine neue Stimme gewöhnen – beziehungsweise gleich an mehrere.
SRF Sport wird das Tennisgeschehen künftig ohne fixen TV-Experten begleiten, wie der Sender mitteilt. «Mittelfristig müssen wir davon ausgehen, dass Livespiele mit Schweizer Beteiligung einen kleineren Platz im Programm einnehmen werden», begründet Susan Schwaller, Chefredaktorin SRF Sport. «Darum sind wir nach reichlicher Überlegung zum Entschluss gelangt, nach den US Open und dem Weggang von Stefan Bürer einen Umbruch zu vollziehen.»
Bürer, Bürer... stimmt, da war ja was: Denn auch der Kommentator der Tennis-Berichterstattung nimmt den Hut. Er verlässt SRF nach 28 Jahren in Richtung SC Rapperswil-Jona Lakers, wo er Leiter PR und Kommunikation wird. Mit seinem ebenfalls scheidenden Kollegen war Günthardt seit 1995 zu hören – und beim Schweizer Publikum enorm beliebt. Und nicht nur da: 2018 gewannen die beiden gemeinsam den Titel als Sportjournalisten des Jahres. Nun also endet im Leutschenbach auch diese Ära – wie in letzter Zeit so manch andere.
Sportlich gesehen läuft 2021 sehr gut: Die Schweiz ist zum zweiten Mal in Folge die beste Ski-Nation der Welt, Giulia Steingruber ist wieder Europameisterin am Sprung geworden, Mountainbiker Mathias Flückiger ist in der Form seines Lebens und ein heisses Eisen für Olympia, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Doch so gut es den Sportlern läuft, so zahlreich laufen dem SRF die Leute davon, die uns den Live-Sport schmackhaft machen.
Nachdem vor einigen Jahren bereits SRF-Schwergewichte wie Matthias Hüppi, 63, und Steffi Buchli, 42, dem Leutschenbach Adieu gesagt haben, folgten kürzlich zwei weitere gewichtige Kündigungen: Jann Billeter, 49, geht nach 24 Jahren zu MySports, wo er für den Eishockey zuständig sein wird. Dorthin zieht es mit Bürer auch das nächste SRF-Urgestein, das im September ans andere Ufer des Zürichsees wechselt.
Und auch bei den Experten hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Mit dem Abgang von Hüppi war die SRF-Experten-Karriere auch für Bernhard Russi, 72, vorbei. Die beiden bildeten während 31 Jahren ein Ski-Duo, das Kult-Status erreicht hat und an das auch vier Jahre nach dem Mikrofon-Ausschalten noch viele Fans wehmütig zurückdenken.
Und als Hüppi sich nach St. Gallen aufmachte, um dort Präsident des Fussballclubs zu werden, nahm er gleich einen weiteren SRF-Mann mit: Fussballexperte Alain Sutter, 53. Er arbeitet seither an Hüppis Seite als Sportchef des FCSG.
Das Fussball-Team trifft es nun noch einmal: So wird sich SRF auf die nächste Saison ebenso von Andy Egli trennen. Der 63-Jährige war seit 1993 als TV-Experte für Fussball im Einsatz. Weil SRF ab Saison 2021/22 keine Livespiele mehr aus dem europäischen Klubfussball mehr zeigen wird, verzichtet man bei SRF auf Experten für die Europa und die Champions League. Mit Egli für Europa verliert auch Peter Knäbel für die Champions League seinen Job.
Und nun also auch noch Heinz Günthardt. Er war während Jahren Aushängeschild für das Schweizer Tennis – und folgt auf viele Experten, die mit ihrem Kopf und mit ihrer Stimme für eine Sportart im SRF standen. Florence Schelling, 32, und Mark Streit, 43, hätten im Eishockey das Zeug dazu gehabt, eine neue Ära einzuläuten – aufgrund anderer Engagements kehrten sie dem Leutschenbach allerdings schon nach einer beziehungsweise zwei Saisons wieder den Rücken.
Ganz so dramatisch empfindet SRF-Sport-Chef Roland Mägerle die Situation allerdings nicht. Jeder der Abgänge sei «bedauerlich», sagte er nach Bürers und Billeters Kündigungen im Interview mit «Blick». Aber man müsse jeden separat anschauen. «Stefan Bürer war 28 Jahre bei uns und ist 57 Jahre alt. Er hat bei uns alles erlebt.» Und auch Billeter habe «bei uns alles erlebt, alles gemacht. Und dann kommt ein Angebot, das für ihn eine Herzensangelegenheit beinhaltet», erklärte Mägerle. «Eine gewisse Fluktuation ist doch einfach normal.»
SRF biete auch heute noch attraktive Anstellungsbedingungen, ist Mägerle überzeugt. «Wir bieten unseren Mitarbeitenden ein enorm breites Betätigungsfeld mit dem grössten Sportportfolio der Schweiz. Zudem können sich unsere Mitarbeitenden einem Millionenpublikum präsentieren.»
Dennoch ist ihm klar: «Der Sportjournalismus verkauft sich auch immer über Persönlichkeiten.» Dass mit Bürer und Billeter gleich zwei Aushängeschilder gehen, löst beim Sport-Chef dennoch keine Panik aus. «Nun, diese Stars sind ja auch nicht so zu uns gekommen. Die haben alle ihren Weg gemacht.» Sie hätten viele junge Talente, die dran seien, Fuss zu fassen und sich zu entwickeln. «Und ich bin überzeugt, dass es ein paar Namen schaffen.»
Und wer weiss: Vielleicht kehren ein paar Abgängerinnen und Abgänger dereinst auch wieder zum SRF zurück – dass das durchaus auch vorkommt, beweist nicht nur Talkmaster und Nachrichtenjournalist Urs Gredig, sondern auch Stefan Hofmänner. Nach 17 Jahren bei SRF verabschiedete sich der Berner 2014, um bei Swiss-Ski die Stelle als Kommunikationsverantwortlicher anzunehmen. Nur ein Jahr später kehrte er wieder an den Leutschenbach zurück.