Es ist kurz vor sieben Uhr. Die Sonne steigt über Monte Plata auf und taucht die Landschaft in einen orangen Schimmer. Emil Trüeb (66), besser bekannt als «Miki», rumpelt mit seinem Toyota Hilux über die Schotterstrasse. Rechts und links der Piste erstrecken sich endlose Reihen von Ananasstauden – sattgrün, die goldgelben Früchte glänzen im ersten Licht des Tages. Gestärkt mit einem schwarzen Kaffee steigt Emil Trüeb aus und greift nach der ersten reifen Frucht.
In dieser ländlichen Region der Dominikanischen Republik, fernab der Touristenzentren, hat der Schweizer das geschaffen, was heute seinen Stolz ausmacht: eine 150 Hektaren grosse Ananasplantage. Jahr für Jahr gedeihen hier Millionen Früchte – sorgfältig gepflegt, perfekt gereift und bereit für den Export, unter anderem auch in die Heimat. «Meine Ananas ist die beste des Landes», sagt Trüeb und prüft mit Kennerblick die frisch gepflanzten Setzlinge. Ein Handwerk, das er im Lauf der Jahre perfektioniert hat.
Ein neuer Anfang fern der Heimat
Geboren 1958 in Oberhasli im Zürcher Unterland, packte Emil schon als Kind auf dem elterlichen Gemüsehof mit an. «Das Arbeiten habe ich früh gelernt», sagt er heute. Doch auf dem Hof stiess er bald an seine Grenzen – familiäre Spannungen und hohe Kosten machten eine eigene Zukunft in der Schweiz unmöglich. Die Lösung lag Tausende Kilometer entfernt: in der Dominikanischen Republik. Warmes Klima, bezahlbare Flächen und zentral gelegen.
1984 verliess der gelernte Mechaniker endgültig die Schweiz. Mit Maschinen und Ideen im Gepäck, doch wenig Erfahrung mit dem tropischen Klima. «Am Anfang haben wir alles ausprobiert – Reis, Maniok, Spanische Nüssli. Learning by doing», erzählt er. Der Beginn gestaltete sich schwierig. «Es brauchte viel Geduld und Nerven», sagt er rückblickend. Geduld, weil «mañana» hier nicht unbedingt «morgen» bedeutet – und Nerven, weil er sich als Ausländer in einer neuen Kultur beweisen musste. Es dauerte lange, bis er sich den Respekt der Einheimischen erarbeitet hatte. Und dann zeigte auch die Natur ihre gnadenlose Seite: 1998 verwüstete Hurrikan Georges Trüebs gesamte Maracuja-Ernte. Die Böden waren zerstört, die Plantage hinüber. Doch Aufgeben war nie eine Option.
Sein Aufstieg zum Ananaskönig
Ein Abstecher nach Costa Rica brachte ihn schliesslich auf die Idee: Ananas. «Ich holte 25 000 Setzlinge in die Dominikanische Republik und startete neu.» Es dauerte vier Jahre, bis Emil Trüeb die ersten Früchte exportieren konnte. «Ich habe vieles kopiert und angepasst», sagt er. Mit der Zeit perfektionierte er seine Methoden. Er entwickelte eigene Düngemischungen, abgestimmt auf die hiesigen Böden, und baute ein einzigartiges Bewässerungssystem auf. Heute wachsen auf seiner Plantage jährlich mehr als drei Millionen Ananas – fest, süss und haltbar. «Meine Früchte faulen nicht nach drei Tagen. Sie sind das Resultat von harter Arbeit und grosser Selbstdisziplin.»
Der Erfolg hat seinen Preis: tropische Hitze, lange Arbeitstage und die Folgen des Klimawandels. «Früher hatten wir 2400 Millimeter Regen, jetzt sind es noch 1600», erklärt der Unternehmer. Die kritische Grenze liegt bei 1200 Millimetern – darunter müsste künstlich bewässert werden. Sorgen macht er sich dennoch keine. «Man muss immer das Beste daraus machen.»
«Meine Früchte sind das Resultat harter Arbeit und Selbstdisziplin»
Emil Trüeb
Emil Trüeb führt seine Farm mit einer Mischung aus Disziplin und Menschlichkeit. 27 Angestellte arbeiten hier, einige wohnen direkt vor Ort. Zum Frühstück gibts Kakao und frisches Brot, mittags macht eine Köchin ein nahrhaftes Mahl für alle. «Jede Überstunde wird bezahlt», betont er. «Das gehört für mich dazu.» Für ihn ist es ein Geben und Nehmen. «Wer gut behandelt wird, ist bereit, sein Bestes zu geben.»
Verwurzelt in zwei Welten
Obwohl «Miki» längst in der Karibik heimisch ist, bleibt er Schweizer durch und durch. Aromat und Thomy-Senf dürfen in seiner Küche nicht fehlen. «Ich habe der Schweiz nie den Rücken gekehrt», stellt er klar. «Schweizer zu sein – darauf dürfen wir stolz sein.» Fast jedes Jahr kehrt Emil Trüeb zurück, wegen der Temperaturen am liebsten im Frühling oder Herbst. Sein Lebensmittelpunkt aber bleibt Monte Plata. Hier hat er nicht nur sein Lebenswerk aufgebaut, sondern auch seine Familie. Sohn Stefan (27) studierter Agronom, arbeitet bereits im Betrieb und wird eines Tages die Leitung übernehmen. Tochter Sofia (21) macht gerade eine Ausbildung zur Köchin und ist genauso eingespannt in den Alltag.
Nach einem langen Arbeitstag lässt Emil Trüeb den Abend oft mit einem Glas eiskalten Whisky ausklingen. An Ruhestand denkt er mit 66 nicht. «Wer nichts zu tun hat, rostet nur ein», sagt er bestimmt. «Ich mache so lange weiter, wie ich Freude habe. Oder wie man hier so schön sagt: so lange, wie Gott will.» Neues Land will er keins mehr dazukaufen. Stattdessen will er den Anbau auf der bestehenden Fläche weiter intensivieren. «Es kommen so viele Anfragen, aber ich habe nicht genug Ananas», sagt er lachend. Da er Stillstand nicht kennt, tüftelt er an einem neuen Projekt: Papayas.
Auf die Frage, ob Ananas seine Lieblingsfrucht sei, schmunzelt er: «Drachenfrucht mag ich noch lieber, aber davon kann man nicht so viel essen.» Emil Trüeb, der Pionier der goldgelben Frucht, hat nie aufgegeben. Jeden Morgen prüft er seine Früchte, plant Verbesserungen und schaut voraus.