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  4. Die Schweizer Nati-Trainerin Pia Sundhage im persönlichen Porträt
Pia Sundhage trainiert die Frauen-Nati

Der leise Weltstar

Im kommenden Juli spielen die Schweizer Fussballerinnen an der Heim-EM um den Titel. Und sie soll das Team zum Erfolg und das Land in die Euphorie führen: Die Schwedin Pia Sundhage ist eine Frau der leisen Töne und der grossen Taten. Die Welttrainerin 2012 hat keine Allüren.

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Pia Sundhage, Trainerin des Schweizer Fussballerinnen-Nationalteams

Pia Sundhage im Berner Wankdorf-Stadion. Ihr zweites EM-Spiel sollen die Schweizerinnen hier austragen. Die Trainerin träumt bereits von einer Euphorie.

Kurt Reichenbach

Die Ladentür steht offen, der Duft von frisch gebackenen Zimtschnecken zieht nach draussen. Kanelbullar heissen die in Schweden und wecken in Pia Sundhage (64) Heimatgefühle. Ihre Augen leuchten, als sie von Geschäftsführerin Noomi Bauer (42) mit einem herzlichen «Välkommen!» begrüsst wird. Bauer spricht fliessend Schwedisch, weil sie ein Jahr lang im hohen Norden gelebt hat. Die Bernerin stellt schwedische Köstlichkeiten her – nur einen Katzensprung vom Sitz des Schweizerischen Fussballverbands SFV in Muri BE entfernt.

«Es ist wie ein Heimkommen», sagt Pia Sundhage in der Bäckerei. Als die Schwedin wenig später im weiten Rund des leeren Wankdorf-Stadions steht, hat sie die Schweiz und die hiesige Fussballgeschichte wohl mehr im Sinn als ihre Heimat. Vielleicht denkt sie an das «Wunder von Bern» 1954, als Deutschland im WM-Final im ausverkauften Wankdorf das übermächtige Ungarn 3:2 besiegte. Denn kleine Wunderdinge erhofft man sich im SFV auch von der Schwedin. Seit Anfang Jahr ist Pia Sundhage als Nachfolgerin der Deutschen Inka Grings Trainerin des Schweizer Fussball-Nationalteams der Frauen. Im Hinblick auf die Heim-EM 2025 soll sie mit ihrem Team das Feuer entfachen und im Land für Aufbruchstimmung und volle Stadien sorgen.

Pia Sundhage, Trainerin des Schweizer Fussballerinnen-Nationalteams

Zimtschnecken: Zum ersten Mal in ihrem Leben legt Pia Sundhage selbst Hand an beim schwedischen Bullar-Backen. Noomi Bauer (r.) zeigt es vor.

Kurt Reichenbach

Teamwork steht über allem

In weniger als einem Jahr gilt es ernst. Am 2. Juli werden die Spiele in der Schweiz angepfiffen. Qualifizieren müssen sich die Schweizerinnen als Gastgeberinnen nicht. Noch ist die Bilanz unter Sundhage in den Testspielen durchzogen: Im Juni kassiert das Team eine Niederlage gegen Ungarn. Doch im Juli gelingt mit einem 2:0 gegen die Türkei der Aufstieg in die höchste Liga der Nations League. In wenigen Tagen stehen aussagekräftigere Tests an – gegen die Weltklasseteams Australien (25. 10., Zürich) und Frankreich (29. 10., Genf ). Dem SFV ist mit der Verpflichtung des hochdekorierten Weltstars ein Transfercoup gelungen: Als Spielerin führt Sundhage ihr Heimatland 1984 zum EM-Titel.

Als Trainerin gewinnt sie mit den USA 2008 und 2012 Olympia-Gold. 2012 wird sie Welttrainerin des Jahres. «Ich bin stolz, so viel erreicht zu haben. Das gibt mir Selbstvertrauen und die Möglichkeit, als Schweizer Nationaltrainerin zu träumen. Ich möchte Teil eines Veränderungsprozesses sein»,sagt Pia Sundhage. Sie sei eine gute Zuhörerin und gerade daran, die richtige DNA für die Zusammenstellung des Teams zu finden. «Meine Spielerinnen sind technisch beschlagen, sie können ganz schön viel laufen, ihre Einstellung ist gut, und alle sind korrekt. Nun geht es darum, aus ihnen Gewinnerinnen zu formen. Deshalb will ich sie aufrütteln und ermutigen. Sie sollen Biss zeigen. Teamwork steht über allem. Nur gemeinsam können wir Herausragendes schaffen!»

Pia Sundhage, Trainerin des Schweizer Fussballerinnen-Nationalteams

Pia Sundhage geniesst das Interview: Sie will aus ihren Spielerinnen Gewinnerinnen formen.

Kurt Reichenbach

Für Pia Sundhage bedeutet Leadership in erster Linie, «Vertrauen zu schaffen, gut zu kommunizieren und Feedback zu geben». Dann erst komme die Taktik ins Spiel. Diese Philosophie hat viel mit Flippan zu tun. So heisst ihr Pferd, das bei der Schwester in Schweden lebt. «Reiten ist mein Hobby. Um Fortschritte zu machen, brauchst du auch beim Reiten diese drei Dinge: Vertrauen, Kommunikation und Feedback», sagt Pia Sundhage. Als Trainerin der Schweizer Fussballerinnen ist sie die Reiterin, das Pferd ist ihr Team! Sie sei eine herausfordernde Spielerin gewesen, sagt Pia Sundhage. «Meine armen Trainer hatten es nicht leicht mit mir. Ich hatte so viele unterschiedliche Ansichten, wie man spielen sollte. Ich hinterfragte alles, machte aber auch immer wieder Vorschläge, weil ich unbedingt lernen wollte.»

«Teamwork steht über allem. Nur gemeinsam können wir Herausragendes schaffen»

Pia Sundhage

Rendez-vous mit der Geschichte

Als sie mit dem SI-Team später den Bauch des Wankdorf-Stadions betritt, entdeckt Pia Sundhage dort im YB-Museum in einer Vitrine das Foto ihres Landsmanns Robert Prytz, 1986 Schweizer Meister mit YB. «Ein Fussballmuseum mit all seinen Geschichten zu besuchen, hinterlässt gute Gefühle. Mir wird dann bewusst, dass es ein Privileg ist, Teil dieses weltumspannenden Sports zu sein», sagt Pia Sundhage. Auf dem Rasen trifft sie an diesem Nachmittag auch noch YB-Frauen-Trainerin Imke Wübbenhorst.

Die 35-Jährige sagt über ihre berühmte Kollegin:«Pia ist nahbar, engagiert, guckt viele Spiele, um sich ein Bild zu machen, und beobachtet auch junge Spielerinnen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Sie ist offen gegenüber anderen Meinungen. Eine Riesenstärke von ihr!»

Pia Sundhage, Trainerin des Schweizer Fussballerinnen-Nationalteams

Fachgespräch: YB-Frauen-Trainerin Imke Wübbenhorst (l.) trifft Sundhage. «Pia ist offen gegenüber anderen Meinungen. Eine Riesenstärke!»

Kurt Reichenbach

Küchenarbeit? Lieber nicht!

In ihrer Freizeit joggt Pia Sundhage gern durch den Wald bei Bolligen BE, wo sie ihren Wohnsitz hat. Oder sie spielt auf der Gitarre ihr Lieblingslied «The Sound of Silence» von Simon & Garfunkel. Doch gerade jetzt, in der Backstube von Noomi Bauer, wird die kinderlose Single-Frau ganz anderweitig auf die Probe gestellt. «Hilf mir beim Teigausrollen. Dann kannst du gleich die Vanille-Mohn-Füllung draufstreichen», sagt Noomi Bauer. Und bedankt sich für die Hilfe: «Tack, Pia!»

Sundhage legt erstmals selbst Hand an beim Bullar-Backen. «Bis jetzt haben das immer meine Schwestern gemacht. Mir ist es stets gelungen, Küchenarbeiten zu vermeiden», sagt die in Ulricehamn geborene Fussball-Fachfrau und lacht. Pia Sundhage steht schon draussen auf der Strasse, als Noomi Bauer schwärmt: «Ich bin überwältigt von Pia. Sie ist sehr ‹bödelet›, zugänglich – und hat mir ihre E-Mail-Adresse gegeben, falls ich Tickets für ein Spiel brauche.»

Von Thomas Wälti am 13. Oktober 2024 - 18:00 Uhr