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SI-Stammtisch in der Kartause Ittingen TG

«Der Thurgau ist ganz speziell»

Viel mehr als Mostindien! Der SI-Stammtisch macht in der Kartause Ittingen halt. Moderatorin Anita Buri und Unternehmer Hans «Hausi» Leutenegger sind sich einig: «Unser Dialekt ist eine Stärke von uns.»

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SI-STAMMTISCH in der Kartause Ittigen TG, mit Werner de Schepper, Moderation, Armin Landerer, CEO DEAR Foundation-Solidarité Suisse, Hausi Leutenegger, Schweizer Unternehmer, Anita Buri, Moderatorin und Johanna Soliva, SI-Leserin am 31. Mai 2022, 8532 Warth TG

Rundgang im Kloster (v. l.): Armin Landerer, Anita Buri, Johanna Soliva und Hausi Leutenegger geniessen die frische Frühlingsluft in der Kartause Ittingen.

Fabienne Bühler

Die Kartause Ittingen ist ein charmanter Ort von historischer Bedeutung. Die Burg aus dem 8. Jahrhundert wurde 400 Jahre später in ein Kloster umgewandelt. 1461 erwarb der Kartäuserorden von den Augustinern das verarmte Chorherrenstift Ittingen – und baute das Anwesen liebevoll um. Heute ist die Kartause ein beliebtes Ausflugsziel mit eigenem Rebberg, Werkstatt, Hotel und Gasthof.

Die Runde, die sich hier am SI-Stammtisch trifft, passt perfekt in diese altehrwürdigen Gemäuer. Moderator Werner De Schepper, studierter Theologe, Anita Buri, 43, Moderatorin, Unternehme-rin und Miss Schweiz 1999, Hausi Leutenegger, 82, ewiger Olympiasieger und Selfmade-Millionär, Armin Landerer, 60, CEO der DEAR Foundation-Solidarité Suisse, sowie als Vertreterin der Leserschaft, Johanna Soliva, 73, Heimweh-Thurgauerin aus Sedrun.

Werner De Schepper begrüsst die Runde im Aussenbereich des Restaurants Mühle – und erkundigt sich zuerst nach der Faszination des Kantons, der als Mostindien landesweit viele Sympathien geniesst.

SI-STAMMTISCH in der Kartause Ittigen TG, mit Werner de Schepper, Moderation, Armin Landerer, CEO DEAR Foundation-Solidarité Suisse, Hausi Leutenegger, Schweizer Unternehmer, Anita Buri, Moderatorin und Johanna Soliva, SI-Leserin am 31. Mai 2022, 8532 Warth TG

Stammtisch mit Schalk und Charme (v. l.): Landerer, Buri, Leutenegger, Soliva und De Schepper.

Fabienne Bühler

Hausi, was ist am Thurgau so speziell, dass du immer darüber sprichst?
Hausi Leutenegger: Der Thurgau hat die grössten Äpfel und den besten Most. Er ist ein ganz spezieller Kanton. Und die Thurgauer sind diskret – sie hängen nicht alles an die grosse Glocke. Bis aber jemand akzeptiert wird, braucht es viel. Ich bin seit über 50 Jahren in den Medien – und irgendwie haben Thurgauer immer auf meinen Niedergang gluuret. Sie haben auf meinen Absturz gewartet und gewartet, bis sie es akzeptiert haben, dass ich oben bleibe. Wir waren acht Kinder – fünf Buben, drei Mädchen. Der Vater arbeitete in der Fabrik. Da entschied ich mich: Das mach ich nicht. Ich lernte den Beruf des Bauschlossers, doch bald kam ich auf die Idee, die Handwerker zu vermieten. Um Erfolg zu feiern, musste ich den Thurgau aber verlassen.

Johanna Soliva: Ich wollte auch nicht den elterlichen Bauernbetrieb übernehmen. Den Thurgau verliess ich der Liebe wegen. Aber ich komme noch immer einmal pro Monat zurück – nach Romanshorn oder nach Amriswil –, um zu jassen und zu fluchen. Das kann man hier so richtig schön.

Anita Buri: Die erste Hälfte meines Lebens verbrachte ich im Thurgau; in Berg. Hier weiss man, was der Nachbar macht – und man interessiert sich für die anderen. In Baden lebe ich heute anonymer. Ich trage den Thurgau aber stets in meinem Herzen, da ist meine Heimat – wir haben einen gut verständlichen und schönen Dialekt. Ich sehe das als Stärke. Wenn mich deshalb jemand schief anschaut, sage ich immer: Bei uns reden alle so. So isch es.

«Ich war für die Leute im Thurgau wie ein Zigeuner»

Hausi Leutenegger
SI-STAMMTISCH in der Kartause Ittigen TG, mit Werner de Schepper, Moderation, Armin Landerer, CEO DEAR Foundation-Solidarité Suisse, Hausi Leutenegger, Schweizer Unternehmer, Anita Buri, Moderatorin und Johanna Soliva, SI-Leserin am 31. Mai 2022, 8532 Warth TG

Heimweh-Thurgauer: Hausi Leutenegger und Johanna Soliva. Die Hotelbesitzerin kommt einmal pro Monat zurück.

Fabienne Bühler

Fiel Ihnen das Leben in Baden einfacher?
Buri: Das Leben in Stadtnähe ist klar anders als auf dem Land – wie ge-sagt anonymer. Das hat natürlich auch Vorteile: Baden ist eine schöne Stadt. Und es gefällt mir sehr gut. Doch meine Wurzeln bleiben im Thurgau. Als Kinder sind wir ständig zum Unter- oder zum Bodensee gefahren. Ich verbringe auch heute noch einen grossen Teil meiner Freizeit im Thurgau am See.

Leutenegger: Ich war für die Leute im Kanton Thurgau ein Zigeuner. Als Arbeitersohn aus einfachen Verhältnissen erhielt ich von den Banken kein Geld. Aber ich hatte das Glück, dass ich jene Dinge anpackte, die ich beherrschte – beruflich, sportlich, künstlerisch. Ich habe das grosse Glück gehabt, dass ich zum Film kam und so die ganze Welt kennenlernen durfte. Ich besass sogar ein Angebot aus Hollywood.

Wie bitte? Ein Angebot aus Hollywood?!
Zwei Agenten, die Brüder Korner, wollten mich unter Vertrag nehmen. Aber ich musste abwinken, weil ich in der Schweiz schon eine Firma mit über 1000 Angestellten besass. Das war 1986. Wenn man so aufwächst wie ich, vergisst man seine Wurzeln nicht. Ich hatte das Glück, dass ich ein guter Sportler war – als Turner und Bobfahrer. Und als ich eine Firma gründete, machte es wumm! Ich hatte immer die besten Menschen um mich, und ich weiss, was die Menschen über mich denken – vor allem die Frauen (lacht).

Armin Landerer: Ich gebe dir recht, dass es im Bankenmetier auch viel um Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnisse und Empathie geht. Als ich mich bei der Berufswahl für das Bankgeschäft entschieden habe, ging es mir weniger ums Geld als vielmehr um den Kontakt mit Kunden. Ich wollte lernen, Menschen zu führen und neue Geschäftseinheiten aufzubauen.

Soliva: Für mich begann das Leben mit meinem Umzug nach Sedrun in gewissem Sinn wieder von Neuem. Unter anderem musste ich die romanische Sprache lernen, das war ein harter Brocken. Noch immer bevorzuge ich aber den Thurgauer Dialekt. In Sedrun bauten wir unser Gasthaus. Dann kam der Entscheid über den Basistunnel. Beim Bau waren es anfänglich 13 auswärtige Arbeitskräfte – und am Schluss 800. Die haben mir alles erzählt. Sedrun platzte aus allen Nähten, aber es ging gut.

SI-STAMMTISCH in der Kartause Ittigen TG, mit Werner de Schepper, Moderation, Armin Landerer, CEO DEAR Foundation-Solidarité Suisse, Hausi Leutenegger, Schweizer Unternehmer, Anita Buri, Moderatorin und Johanna Soliva, SI-Leserin am 31. Mai 2022, 8532 Warth TG

Wunderbare Zeichen der Menschlichkeit: Armin Landerer freut sich über die Erfahrungen von Anita Buri.

Fabienne Bühler

Kommen wir auf die Aktualität zu sprechen. Die Menschheit blickt sorgenvoll in die Ukraine. Wie seid ihr davon betroffen?
Buri: In meinem Umfeld gibt es viele Frauen und Kinder aus dem Kriegsgebiet. Die Kinder und Jugendlichen sprechen teilweise gut Englisch – und sie übersetzen für ihre Eltern. Alle sagen aber, dass sie so schnell wie möglich wieder nach Hause wollen. Ein Mädchen schenkte mir eine Zeichnung – das hat mich sehr berührt.

Landerer: Das sind wunderbare Zeichen der Menschlichkeit – in einer Zeit, die von Angst, Schrecken und negativen Schlagzeilen diktiert wird. Die Solidarität muss auch in diesem Fall immer an erster Stelle stehen. In unserer Stiftung sind wir von der Ukraine-Thematik aber nicht derart stark tangiert. Schweizer Themen stehen für uns eher im Vordergrund – etwa die Essensausgabe an Bedürftige in der Romandie. Das ist eine Organisation mit 2500 Freiwilligen. Oder das Umschulungsprojekt des Astag, das Stellensuchenden eine zweite Karriere als Lastwagenchauffeur ermöglicht.

Leutenegger: Dieser Krieg ist ein grosses Elend. Und die Ärmsten leiden am stärksten. Die, die Geld haben, sind schon über alle Berge. Dass es möglich ist, dass in der heutigen Zeit so etwas passiert, ist furchtbar. Die Russen können machen, was sie wollen. Da wird mir schlecht. Als man Putin sah, wie er an den Winterspielen in Sotschi mit Russi zusammen am Pistenrand stand, dachte man nie und nimmer, dass dieser Mann ein Massenmörder wird. Noch vor einem Jahr hätte dies niemand für möglich gehalten.

Landerer: Es ist tatsächlich erschütternd, was sich da abspielt – und ein Ende ist nicht in Sicht. Wir führen mit unserer Stiftung Kinderheime in Russland. Sie funktionieren glücklicherweise noch – auch weil wir im letzten Moment noch Geld überweisen konnten. Aber je länger, je mehr fehlen uns die Ärzte. Sie werden zum Militär abberufen und zum Kriegsdienst gezwungen. An die humanitären Einrichtungen denkt niemand. Das ist schlimm.

SI-STAMMTISCH in der Kartause Ittigen TG, mit Werner de Schepper, Moderation, Armin Landerer, CEO DEAR Foundation-Solidarité Suisse, Hausi Leutenegger, Schweizer Unternehmer, Anita Buri, Moderatorin und Johanna Soliva, SI-Leserin am 31. Mai 2022, 8532 Warth TG

Spuren und Wurzeln im Thurgau: Anita Buri verewigt sich auf dem SI-Stammtischtuch.

Fabienne Bühler

Zum Schluss noch etwas ganz anderes. Anita Buri, ist Hausi Leutenegger für Sie eigentlich Sportler, Unternehmer oder Schauspieler?
Buri (lacht): Hausi war mein erster persönlicher Chauffeur! Als ich 1999 meine ersten Einsätze als Miss Schweiz hatte, war ich mit Hausi an eine Grill-WM eingeladen. Wir sassen in der Testjury. Hausi hat mich abgeholt. Seit damals verstehen wir uns bestens. Mit Hausi ist es immer lustig.

Leutenegger: Ich sagte ihr: Ich hol dich ab. Und du musst keine Angst haben.

Landerer: Ich verbinde Hausi Leutenegger am ehesten mit dem Sport. Sein Olympiasieg ist legendär – und seine Auftritte als Entertainer sind es ebenfalls. Hausi ist eine lebende Legende und ein Stück Thurgauer – pardon –Schweizer Kulturgut.

Soliva: Ich sehe ihn heute zum ers-ten Mal. Er ist ein Vorbild für mich – und er spricht einen schönen Dialekt (lacht). Als ich wusste, dass ich hierherkomme, schickte mir eine Serviertochter ein Selfie von Hausi und ihr. Und fragte mich: Weshalb kennt sie ihn – und nicht ich?

Leutenegger: Aber das hat sich jetzt glücklicherweise geändert. Jetzt sehen wir uns endlich das erste Mal.

Soliva: Ich bin ein Fan von dir.

Leutenegger: Ich möchte mich herzlich bedanken, dass ich an diesem Gespräch teilnehmen konnte. Und ich bin sehr stolz, dass ich diesen schönen Ort kennengelernt habe. Bisher bin ich immer nur durchgefahren – dank der SI kam ich endlich in die Kartause Ittingen. Aber ich gebe es ehrlich zu: Eine Sekretärin musste vorausfahren und mir den Weg weisen.

Homogen und spezifisch

Katharina Hofer und Claudio Saputelli UBS
ZVG

Landwirtschaft und Industrie sind im Thurgau die dominierenden Sektoren. Dank tiefen Steuern und niedrigem Lohnniveau ist der Thurgau attraktiv für Unternehmer.

Im Kanton Thurgau haben die beiden Sektoren Landwirtschaft und Industrie einen stärkeren Stellenwert als im landesweiten Durchschnitt. Wachstumsstarke Branchen wie einige Dienstleister nehmen in Mostindien eine insgesamt schwächere Rolle ein, sodass sich die kantonale Wettbewerbsfähigkeit im Schweizer Mittelfeld bewegt.

Dabei bietet der Kanton am Bodensee mit seinen relativ tiefen Steuern für Unternehmen bei gleichzeitig eher niedrigem Lohnniveau ein attraktives Kostenumfeld für Firmen. Gesunde Staatsfinanzen und ein schlanker Verwaltungsapparat verschaffen dem Thurgau zudem finanzpolitischen Spielraum.

Im regionalen Vergleich kommen die Thurgauer Regionen recht homogen daher, allerdings mit spezifischen Stärken. Das Thurtal profitiert aufgrund seiner Nähe zum Nachbarkanton Zürich von der schnellen Erreichbarkeit der urbanen Infrastruktur. Die Region Untersee wiederum verfügt über die tiefste Steuerbelastung des Kantons und die Region Oberthurgau über die meisten Arbeitsstellen in innovativen Betrieben. Der Bereich Innovation fristet im Thurgau im kantonalen Vergleich aber generell noch ein stiefmütterliches Dasein, weshalb er Potenzial zum Zugpferd künftigen Wirtschaftswachstums hat.

 

Die Ökonomen Katharina Hofer und Claudio Saputelli sind die Autoren des UBS-Wettbewerbsindikators.

Von Thomas Renggli am 16. Juni 2022 - 14:55 Uhr