Fischer und Fischer. Riana und Urs. Sie wurde mit dem FCZ soeben zum achten Mal Schweizer Meisterin, er ist der gefeierte Trainer in der Bundesliga. Was er mit Union Berlin geschafft hat, veranlasst selbst Bayern-Trainer Julian Nagelsmann zu Superlativen: «Urs macht einen herausragenden Job.» Zusammen sind Riana und Urs ein aussergewöhnliches Doppel. Tochter und Vater, die es beide als Verteidiger zu Ruhm und Ehre gebracht haben.
Am Tag nach dem dramatischen Meisterschaftsfinal von Riana in Lausanne gönnen sie sich ein Mittagessen im Restaurant Waid. «Zürich ist die schönste Stadt der Welt», sagt Urs Fischer, «und nirgends ist die Aussicht schöner als hier.» Seine Tochter, die den Arbeitsplatz bei der Gemeinde Buchs für zwei Stunden verlassen konnte, lächelt und nimmt einen Schluck Mineralwasser: «Um 15 Uhr muss ich zurück sein.» Ein Gespräch über Chancengleichheit, den väterlichen Aufholbedarf und Frauenfussball als Haifischbecken.
Die FCZ-Frauen wurden am Pfingstmontag Meister – nach einer an Dramatik kaum zu überbietenden Finalissima gegen Servette. Wie fühlt sich das an?
Riana Fischer: Es war sofort nach dem Spiel eine grosse Erleichterung spürbar. Als wir im Mittelkreis standen und das Penaltyschiessen verfolgten, sagte ich zu den Spielerinnen neben mir: «Haltet mich bitte, wenn ich umfalle.» Es war wirklich dramatisch. Aber so die Meisterschaft zu beenden und sogar die Karriere, ist wunderbar.
Sie stehen nun mit acht Meistertiteln und sieben Cup-Siegen da. Die väterliche Bilanz ist nicht ganz so erfolgreich …
Urs Fischer (lacht): Da muss ich noch brutal Gas geben. Als Spieler gewann ich mit Zürich einmal den Cup, als Trainer mit Basel zweimal die Meisterschaft und einmal den Cup. Aber ich nehme das gelassen – ich bin sehr stolz auf Riana.
War dieser Final nun ein Argument für oder gegen die Playoffs?
Riana: Um ehrlich zu sein: dagegen. Es darf eigentlich nicht sein, dass eine lange Meisterschaft in einem Spiel – und am Schluss im Penaltyschiessen – entschieden wird. Die Partie bot alles, was man sich wünscht. Aber letztlich bleibt der Nachgeschmack, dass die Meisterschaft auch durch Zufälligkeiten entschieden wurde.
Urs: Da bin ich absolut der gleichen Meinung. Wir haben im Fussball mit dem Pokal den ultimativen K.-o.-Wettbewerb. So gesehen ist eine Meisterschaft mit Playoffs wie ein zweiter Cup-Wettbewerb.
Wer hat im Hause Fischer fussballerisch die Hosen an?
Urs: Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber Fussball ist bei uns nicht das zentrale Thema. Auch als Riana noch zu Hause wohnte, war dies nicht so. Das hat vermutlich damit zu tun, dass wir uns beide in diesem Business bewegen. Wenn wir uns aber zum Essen sehen, sprechen wir über andere Dinge.
Aber das Talent kommt vermutlich schon vom Vater …
Riana: Vermutlich schon.
Urs: Ich weiss nicht, ob mein Talent für Riana gereicht hätte. Ich würde eher sagen, dass sie sich ihre Erfolge selber hart erarbeitet hat.
Riana: In unserer Siedlung hatte es fast nur Buben. Da blieb mir gar nichts anderes übrig, als mit ihnen zu spielen. Ich probierte auch andere Sportarten aus: Rollhockey, Skateboard oder BMX. Aber am meisten spielten wir Fussball. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich bei den F-Junioren des FC Affoltern mitspielen möchte – im Alter von sechs Jahren. Dann wechselte ich zu den Letzikids. Bis im Alter von zwölf spielte ich bei den Buben. Dann wechselte ich zu den Frauen des SV Seebach. Heute können Mädchen bis im Alter von 15 mit den Junioren zusammenspielen.
Urs: Als Eltern nahmen wir bei ihrem Wechsel zu Seebach Einfluss. Denn es wurde immer schwieriger. Damals gab es für Mädchen im Fussball noch keine eigenen Garderoben und Duschen. Das war bei den F- oder E-Junioren noch relativ unkompliziert. Aber irgendwann wurde es komplizierter. Deshalb sagten wir Riana, dass es einfacher wäre, in eine Mädchen- oder Frauenequipe zu wechseln.
Riana: Wenn man in der Garderobe nicht dabei ist, fehlt etwas. Ich war gut integriert in der Mannschaft und hörte keine dummen Sprüche, trotzdem musste ich sozusagen immer einen Sonderzug fahren.
Sportlich bestand aber kein Problem …
Urs: Im Gegenteil. Als Mädchen fiel sie positiv auf, da sie problemlos mit den Buben mithalten konnte. Deshalb schlugen wir ein Probetraining bei Seebach vor. Riana wehrte sich – und ging dann trotzdem. Und sie wurde mit offenen Armen empfangen.
Riana: Ich profitiere auch heute im Beruf, dass ich derart lange und intensiv einen Teamsport betrieben habe. In einem Kollektiv entwickelt man auch die eigene Persönlichkeit und lernt Dinge, die man als Einzelsportler vielleicht nie erlebt. Ganz grundsätzlich spüre ich bei Sportlerinnen eine spezielle Mentalität – und einen grossen Willen, diszipliniert zu arbeiten, das Beste rauszuholen und Ziele zu erreichen. Diese Qualitäten helfen definitiv auch im Beruf.
Ist der Vater auch der beste Trainer?
Riana: Nicht unbedingt. Wir haben eigentlich fast nie zusammen gespielt.
Urs: Ich kann mich nur an zwei, drei Situationen erinnern, in denen wir zusammen auf der Wiese hinter dem Haus übten. Mir war es wichtig, dass der Druck nicht von meiner Seite kommt. Der Fussball war ihr Ding. Wir hatten viele Anfragen für Interviews – aber ich lehnte fast immer ab. Ich hatte selber meine Geschichte als Fussballer. Aber jetzt ging es um Riana. Deshalb hielt ich mich im Hintergrund. Es war stets Rianas Motivation und Antrieb, sich im Fussball durchzusetzen. In meiner Zeit als Trainer im Nachwuchsfussball lernte ich, wie viel Einfluss manche Eltern auf ihre Kinder nehmen. Das wollte ich nie. Es ist Rianas Geschichte und ihr Leben.
Ihr macht faktisch das Gleiche – aber unter total anderen Bedingungen. Lässt sich Frauenfussball mit Männerfussball vergleichen?
Riana: Der grösste Unterschied liegt sicher im Finanziellen. In der Schweiz gibts inzwischen zwar in gewissen Klubs halbprofessionelle Strukturen, aber das ist neu. Ich habe immer zu 100 Prozent gearbeitet – und vom Klub Spesengeld erhalten. Schon dafür bin ich dankbar.
Aber irgendwie ist das doch etwas ungerecht.
Riana: Die Schweizer Liga gilt als Ausbildungsliga. In manchen Ländern ist man da schon weiter. Barcelona beispielsweise spielte im Camp Nou zweimal vor 90 000 Zuschauern. Der Champions-League-Final zwischen Wolfsburg und Barcelona fand in Turin vor 40 000 Fans statt.
Urs: In den USA verdienen Frauen und Männer bei ihren Nationalteam-Einsätzen seit diesem Jahr gleich viel. Ich bin ein grosser Unterstützer des Frauenfussballs, weil ich bei Riana persönlich erlebt habe, wie die Verhältnisse sind – und wie gross die finanzielle Diskrepanz ist. Dabei geht gern vergessen, wie gross der Einsatz und das Bekenntnis der Spielerinnen zu ihrem Sport sind. Die Fussballerinnen führen faktisch ein Leben wie Profis, opfern die ganze Freizeit und die Wochenenden – und arbeiten daneben im Vollpensum. Das verdient für mich höchsten Respekt und Anerkennung.
Barcelona-Trainer Xavi sagt, die Fussballerinnen seien für die Männer Vorbilder. Sehen Sie das gleich?
Urs: Absolut. Frauen sind im Fussball Vorbilder. Ich weiss aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, Sport und Beruf zu verbinden. Am Anfang meiner Karriere arbeitete ich noch zu 50 Prozent im kaufmännischen Bereich. Irgendwann wurde es mir zu viel – obwohl ich nur halbtags arbeitete. Wenn ich dann sehe, dass die Frauen 100 Prozent berufstätig sind, ziehe ich den Hut. Ich bewundere sie dafür.
Und nun folgt die EM in England – in den grossen Stadien. Was erwarten Sie von diesem Turnier?
Riana: Das wird dem Frauenfussball nochmals einen Schub geben. Ich denke, dass wir auch grosse Schlagzeilen produzieren. Sportlich ist die Ausgangslage für die Schweiz anspruchsvoll: In der Gruppe mit Schweden, Holland und Portugal wird es nicht einfach, sich zu behaupten. Aber im Fussball ist vieles möglich – und ich drücke den Schweizerinnen die Daumen.
Die erste Spielvermittlerin, Jasmina Covic, sagt: «Auch der Frauenfussball ist schon ein Haifischbecken.» Hat sie recht?
Riana: Natürlich steigen die Begehrlichkeiten mit wachsenden Zuschauerzahlen, medialer Präsenz und finanziellen Engagements der Klubs. Deshalb wachsen auch kommerzielle Interessen. Was bei den Männern schon lange etabliert ist, kommt nun langsam auch bei den Frauen.
Urs: Man kann ja nicht die Entwicklung vorantreiben, ohne die Kommerzialisierung in Kauf zu nehmen. Aber Haifischbecken finde ich zu stark. Dass aber Spielerinnen abgeworben werden, ist nichts als logisch. Übrigens will sich auch Union Berlin verstärkt im Frauenfussball engagieren. Momentan spielt die Equipe in der Regionalliga.
Der Sieg im Meisterschaftsfinal gegen Servette war auch ein Erfolg der Trainerin Inka Grings. Könnte sie auch ein Männerteam coachen?
Urs: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Frau ein Männerteam auf höchstem Niveau coacht. Das ist eine Gesellschaftsfrage. Wir führen nach wie vor die Diskussion, ob Frauen in gleichen Positionen gleich viel verdienen wie Männer. Sie verdienen es oft noch nicht – obwohl sie einen gleich guten oder noch besseren Job machen. Wir haben in der Schweiz Frauen an der Spitze von Konzernen wie Magdalena Martullo-Blocher bei Ems-Chemie Holding. Da müsste es auch möglich sein, dass eine Frau eine Fussballmannschaft führt.
Riana, Sie sind erst 27 und hören schon auf. Weshalb?
Hätte ich noch andere Ziele oder Ambitionen, würde ich weitermachen. Weil es aber nie mein Anspruch oder meine Motivation war, Profi zu werden oder ins Ausland zu wechseln, stellt sich diese Frage nicht. Ich bin nun bereits elf Jahre im gleichen Team –und schon das ganze Leben im gleichen Klub. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an den man sich die Frage stellt, ob es noch etwas zu erreichen gibt, ob man auf demselben Niveau weitermachen oder ob man sich neuen Dingen zuwenden soll und etwas anderes ausprobieren möchte. Dabei denke ich auch ans Berufliche. Weiterbildungen schob ich stets zurück – weil es zeitlich nicht reichte. Ich habe mir die Frage des Rücktritts schon mehr als einmal gestellt. Und nun kann ich sagen: Als Double-Gewinnerin aufzuhören, ist der perfekte Zeitpunkt.