Wer zu Naomi Lareine, 28, will, muss über die Schwelle auf die dunkle Seite – zumindest suggeriert das ihr Fussabtreter: «Welcome to the dark side» heisst es da neben einem Darth-Vader-Konterfei. «Ich bin ein Riesenfan von ‹Star Wars›», gesteht die R’n’B-Sängerin, als sie die Haustür öffnet. In der Viereinhalbzimmerwohnung in Glattbrugg ZH lebt sie mit ihrer Freundin Gina, 25. Mit einem kurzen Knopfdruck auf ihrem Smartphone reguliert Naomi das Licht. «The dark side» erhellt sich.
Von trüber Stimmung ist bei der Sängerin ohnehin keine Spur. «Seit ich im Herbst aus meinem Bürojob gefeuert wurde, gehts mir wunderbar.» Sie lacht. Die Kündigung war der Kick, den die ausgebildete kaufmännische Angestellte noch brauchte. Denn eigentlich wusste Naomi Lareine – wie auch ihr Arbeitgeber –, dass sie ab 2022 ganz auf die Musik setzen will. «Mein Leben hat sich gewendet. Ich stehe am Morgen auf, und nichts belastet mich. Ich mag sogar das Homeoffice.» Daheim arbeitet die Musikerin an Songs, beantwortet Mails, bewirtschaftet ihre Social-Media-Kanäle – und verfolgt eine Regel: «Nach dem Frühstück darf ich mich nicht aufs Sofa setzen, sonst beginne ich zu chillen und es ist vorbei.»
Ende 2018 taucht der Name Naomi Lareine – gebürtig heisst sie Bruderer – erstmals in den Medien auf, als ihre Songs «Sweet Latina» und «Issa Vibe» veröffentlicht werden. Die Soul/R’n’B-Tracks sind gleichzeitig ihr öffentliches Outing. Naomi Lareine besingt Frauen, weil sie auf Frauen steht. «Ich halte meine Sexualität nicht plakativ jedem unter die Nase, es ist einfach normal für mich.»
Naomi Lareine ist eine Spätzünderin. Dass sie lesbisch sei, habe sie erst vor vier Jahren erkannt. «Ich dachte immer, dass ich wie meine Freundinnen einen Mann brauche, überlegte gar, ob ich im falschen Körper lebe.» Doch irgendwie wusste sie, dass es dies nicht ist – aber auch nicht, was es ist. Bis sie ihre erste Erfahrung mit einer Frau hatte. «In dem Moment löste sich mein Knopf und gab vieles frei. Ab dem Moment habe ich mich voll und ganz selbst respektiert.» Darüber zu reden, fällt ihr leicht. Sie versteht, dass sie als Künstlerin immer wieder darauf angesprochen wird. «Vielleicht liest jemand genau diese Zeilen und fühlt sich verstanden. Allein dafür lohnt es sich.» Nicht alle hätten das Glück, eine so unterstützende Familie zu haben, wie sie. Mit der Tätowiererin Gina Madskull hat Naomi ihr Liebesglück gefunden. Vor vier Jahren lernten sich die Nachbarinnen kennen, zwei Jahre später verliebten sie sich. Seit November lebt das Paar mit den beiden British-Kurzhaar-Katzen Misty und Moon in der ersten gemeinsamen Wohnung.
Naomi Lareine wuchs als Tochter eines Schweizers und einer Französin mit zwei Geschwistern in Wallisellen, Dübendorf und Bern auf – ihre Mutter ihrerseits war adoptiert worden und stammt aus Westafrika. Wegen des Berufs ihres Vaters – der ehemalige Eishockey-Profi Martin Bruderer – ziehen sie oft um. «Wallisellen ist mein Herzensort. Hier lebten wir in einer guten Siedlung.» Auch die Grosseltern väterlicherseits wohnen in der Nähe. Als ihre Mutter psychisch erkrankt, findet Klein Naomi bei ihnen Halt. Zudem spielt ihr Grossvater Klavier, was Naomi fasziniert. Sie hört und schaut «Papi» – angelehnt an Frankreich, wo die Grosseltern Mami und Papi genannt werden – einfach zu und beginnt autodidaktisch das Instrument zu lernen. «In meiner Wunschvorstellung hat mich auch meine mütterliche Seite musikalisch geprägt», sagt Lareine, die unbedingt einmal in ihre andere Heimat Senegal reisen will.
Sie ist neunjährig, als sich ihre Eltern trennen, sie zieht zum Vater. Naomi, bei der damals ADHS diagnostiziert wird und die Ritalin erhält, powert sich im Sport aus. Mit elf verliebt sie sich beim Probetraining für den ersten Frauen-Fussballklub in Wallisellen in den Mannschaftssport und schaffts als Verteidigerin in die U19-Frauen-Nati. Das Spiel im Team hilft ihr auch abseits des Rasens in ihrer Entwicklung. «Weil ich jung Situationen ausgesetzt war, die kein Kind erleben sollte, hatte ich eine Schutzmauer aufgebaut», sagt sie. «Ich war ein sehr schüchternes Kind. Fussball half mir, mich zu sozialisieren.» Doch mit 20 beendet sie ihre Karriere, widmet sich vermehrt der Musik.
«Ich war ein sehr schüchternes Kind. Fussball half mir, mich zu sozialisieren»
Naomi Lareine
Misty und Moon kuscheln sich zu Naomi Lareine auf das Sofa. «Seit ich mich auf die Musik konzentriere, kann ich zu 100 Prozent ich selbst sein. Ein Privileg», sagt sie und strahlt. Soeben hat sie bei Sony Music einen Plattenvertrag unterschrieben. Sie arbeitet auch mit H&M und Magnum zusammen. Festivals stehen an, EP und dann ein Album sind ihre Ziele. Aktuell nimmt Lareine bei der 3+-Sendung «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» auf dem Sofa Platz – unter anderem neben ihrem Mentor, Rapper Stress, 44. Ihn lernte sie vor vier Jahren kennen. «Er ist eine der Personen, die ich jederzeit anrufen kann, ob bei persönlichen oder musikalischen Fragen.» Lareine wirkt gelassen, demütig. «Ich musste in mir viel sortieren, bis ich so geworden bin, wie ich bin. Die Arbeit ist noch nicht fertig.»