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Forscherin Marianne Geiser

Die Frau mit der Koffer-Lunge

Sie ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet – dank einer ­ver­blüffenden Erfindung: Marianne Geiser erforscht, was Feinstaub in unserem Körper alles anrichtet. Wie die Bio­login sich durchsetzte und wo sie am liebsten joggen geht.

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Foto: Joseph Khakshouri 17.04.2023 Prof. Dr. Marianne Geiser, Biologin die zum Thema Feinstaub und Lungen forscht. In der Mikroskopie Uni Bern (BE)

«In der Forschung war ich oft die einzige Frau – dafür kannten alle meinen Namen»: Marianne Geiser im Mikroskopiersaal des Instituts für Anatomie der Uni Bern.

Joseph Khakshouri

Atmen Sie bitte einmal tief ein. Und jetzt grad noch einmal. Soeben ist nicht nur Luft in Ihrer Lunge gelandet, sondern auch eine Menge klitzekleiner Teilchen. Manche haben Sie schon wieder ausgeatmet, andere haben sich in Ihrer Lunge niedergelassen.

Marianne Geiser, 69, ist dem Feinstaub seit 20 Jahren auf der Spur. Die Partikel sind so klein, dass sie für uns nicht sichtbar sind – doch sie richten grossen Schaden an: Zehntausende Menschen sterben in Europa jedes Jahr, weil sie zu viel Feinstaub einatmen. Dass man über diese unsichtbaren Übeltäter immer mehr weiss, ist auch Marianne Geiser zu verdanken.

«Hölle kompliziert»

«Ich habe eine kleine Präsentation vorbereitet», sagt sie und nimmt im Vorlesungssaal des Instituts für Anatomie den Bambusstock zur Hand, weil der Laserpointer nicht funktioniert. 30 Jahre lang hat die heute emeritierte Professorin hier an der Uni Bern unterrichtet, 500 Studentinnen und Studenten pro Jahr. Für die EU beurteilt sie regelmässig Forschungsgesuche. Eine Aufgabe, die ihr angeboten wurde.

Und dann hat sie – mit Schweizer Aerosolforschern – auch noch ein System erfunden, welches das Einatmen und Ablagern von Feinstaub realistisch nachbildet; eine Art Koffer-Lunge. Der Weg dahin, der war «hölle kompliziert».

Marianne Geiser Gerät

Das Gerät, dessen Bau Marianne Geiser initiiert hat: Dem Lungengewebe im Innern der Box wird Luft mit oder ohne Schadstoffe zugeführt.

ZVG

Die Lunge taucht im Leben von Marianne Geiser früh auf. Ihr Mutter hatte Tuberkulose und verbrachte fast ein Jahr im Sanatorium. Als Geiser Anfang 20 war, arbeitete sie im Labor einer Lungenklinik in Davos. Die Sekretärin des Instituts hatte Cystische Fibrose. «Damals musste man diese Personen regelrecht ausklopfen, um den Schleim zu entfernen. Brutal», sagt Geiser. Sie möchte mehr wissen, doch ein Medizinstudium war ihr «zu verschult. Da ist alles vorgegeben. Ich wollte forschen und ausprobieren!»

Erst hat niemand reagiert

Die Gelegenheit erhält sie als Laborantin im Tierspital Bern, als sie mithilft, den oralen Tollwut-Impfstoff für Füchse zu entwickeln. «Hölle interessant!» Es folgen ein Biologiestudium und das Doktorat in Bern und Montreal.

Doch ihr eigentliches Herzensprojekt startet im Jahr 2004. Sie hält einen Vortrag vor Fachkollegen und erwähnt am Schluss, dass sie die Folgen von Feinstaub gern an echtem Lungengewebe testen würde. «Um zu erforschen, welche Auswirkungen diese Partikel auf gesunde und auf kranke Menschen haben.» Keiner der Zuhörer habe auf ihre Idee reagiert, erzählt Geiser amüsiert. «Ausser einem Umweltwissenschaftler der ETH, der wurde dann zu meinem ersten Projektpartner.»

Foto: Joseph Khakshouri 17.04.2023 Prof. Dr. Marianne Geiser, Biologin die zum Thema Feinstaub und Lungen forscht. Joggen über der Autobahn, der Feinstaub Hot Spot Uni Bern (BE)

Husch rüber: Marianne Geiser hält sich nicht gern an viel befahrenen Strassen auf. «In Peking habe ich aufs Joggen verzichtet.»

Joseph Khakshouri

Zu den wichtigsten Feinstaubquellen gehören: Strassenverkehr, Holzöfen und der Abrieb von Pneus. Die gute Nachricht: Wer sich von der Quelle der Schadstoffe entfernt, kann diesen damit teilweise aus dem Weg gehen. «Manche Partikel fallen schnell zu Boden», sagt Marianne Geiser.

Umstrittener Grenzwert

Die weniger gute Nachricht: Die meisten Menschen leben an Orten, wo sie zu viel Feinstaub einatmen. Die Grenzwerte der WHO legen fest, welche Masse an Feinstaub pro Kubikmeter Luft nicht überschritten werden darf. «Das macht bei den ganz kleinen, ultrafeinen Partikeln mit Durchmesser von weniger als 0,1 Mikrometern aber nicht viel Sinn», sagt Marianne Geiser. «Sie haben keine grosse Masse, kommen aber in sehr grosser Anzahl vor und sind gefährlich.» Der Feinstaub-Grenzwert, so Geiser, sollte sich besser auf die Anzahl Partikel statt auf die Masse beziehen.

Zeit für frische Luft! Marianne Geiser zieht die Laufschuhe an. Nicht weit entfernt von der Uni gibts einen Wald, durch den die Wissenschaftlerin regelmässig joggt. Beim Vorschlag, für ein Foto an einer viel befahrenen Strasse entlangzurennen, winkt sie ab. «Da kriegen Sie mich nicht hin!» Der Kompromiss: die Autobahnbrücke, über die Geiser bei ihrer Joggingrunde sowieso rennt.

«Manchmal sehe ich Leute auf einer Bank sitzen, genau hier bei der Autobahn. Da lange ich mir wirklich an den Kopf!» Also schnell rüber über diese Feinstaubzone. Sie selbst wohnt mit ihrem Mann am Bielersee. Kinder? «Hatte ich im Hörsaal genug.»

Ausflug in den Zauberwald

Spricht Marianne Geiser über die Lunge, klingt das manchmal wie ein Märchen aus dem Zauberwald. Da gibt es Makrophagen, die Partikel «auffressen» – darunter liegt das Epithel, die letzte Barriere, welche den Schädling noch abwehren kann. Auch im NACIVT muss dieser Zauberwald «gefüttert und gepflegt» werden, damit er neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefern kann. Erkenntnisse, die Marianne Geiser mit ihrer Erfindung erst ermöglicht hat.

Lynn Scheurer von Schweizer Illustrierte
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Von Lynn Scheurer am 3. Juli 2023 - 15:14 Uhr